Der Sänger der Hamburger Band Kettcar darf seinem Kind nicht einfach alles vorsingen, dafür aber manchmal sein Publikum beschimpfen. Und früher dachte er, Musik funktioniere wie eine Waffe. Ein Interview über das Singen.
Marcus, wurde in deiner Familie viel gesungen?
Wir waren ja eine relativ kleine Familie: Da gab es nur meine Mutter – meine Eltern waren geschieden – meinen Bruder und mich. Aber auf langen Autofahrten, zum Beispiel wenn wir von Lüneburg aus, wo wir wohnten, die Oma in Berlin besuchten, wurde oft gesungen. Meine Mutter hat uns „Wir lagen vor Madagaskar“ oder „He, ho, spann den Wagen“ als Kanon beigebracht – vermutlich weil sie gemerkt hat, dass ihre streitenden Söhne dann beschäftigt sind.
Du bist gerade Vater geworden – singst du deinem Kind etwas vor?
Das tue ich, denn es beruhigt Kinder tatsächlich. Meine Freundin hat mir allerdings verboten, „La, Le, Lu“ zu singen, weil sie das Lied so sehr hasst.
Was singst du stattdessen?
„Super Trouper“ von Abba, eigentlich fast alles von denen. Manchmal auch aktuelle Sachen wie „Everytime“ von Britney Spears. Klassiker wie „Der Mond ist aufgegangen“ singe ich kaum, davon kenne ich ehrlich gesagt auch zu wenig.
Hast du durch Singen einmal das Herz einer Frau gewonnen?
Meine jetzige Freundin, die Mutter meines Kindes, nicht. Aber davor habe ich schon Frauen durch Musik kennengelernt. Ob das konkret am Singen lag oder an der Band oder der Gitarre, das kann ich nicht sagen. Grundsätzlich ist es natürlich immer anziehend, wenn jemand auf einer Bühne steht und das macht, worauf er Lust hat.
Der Sänger der Band Travis hat mit „Sing“ ein Lied darüber geschrieben, dass seine Freundin sich in seiner Gegenwart nicht mehr zu singen traute, als er berühmt war – kannst du das nachvollziehen?
Das kann ich schon nachvollziehen, dass man eingeschüchtert ist, wenn jemand das beruflich macht. Meine Freundin würde auch niemals vor mir singen, sie hat aber nicht von einem Tag auf den anderen damit aufgehört, sondern behauptet einfach, sie könnte nicht singen.
Wann hast du zum letzten Mal ohne deine Band gesungen?
Gerade erst, beim Komponieren für unser neues Album.
Singst du, wenn du betrunken bist?
Nein. Auch im Stadion singe ich nie.
Unter der Dusche oder beim Abwasch?
Beim Abwaschen nicht, unter der Dusche manchmal.
Und was singst du dann?
Auf keinen Fall Lieder meiner Band Kettcar. Das fände ich arg komisch. Je nach Stimmung Oasis oder Abba.
Ist es ein komisches Gefühl, wenn je-and anders deine Lieder singt – zum Beispiel wenn das Publikum mitgrölt?
Das ist eine Ambivalenz, mit der ich gerade umzugehen lerne. Vor kurzem erst habe ich auf einem Konzert gesagt: „Ihr verhaltet euch so wie das Publikum von Bands, die ich immer gehasst habe.“ Denn Mitgrölen ist ja wirklich so ein furchtbarer Rockquatsch, wie bei Pur und BAP halt. Gleichzeitig ist es natürlich eine unfassbare Bestätigung.
Du hast mit Freunden eine eigene Plattenfirma gegründet – das Grand Hotel Van Cleef. Warum?
Wir hatten das sehr starke Gefühl, dass wir mit Tomte und Kettcar an einer Sache basteln, die anders ist als alles, was vorher da war. Rockmusik mit deutschen Texten gab es entweder nur als „Deutschrock“ Marke Heinz-Rudolf Kunze oder als so genannte „Hamburger Schule“ von sehr intellektuellen Bands wie Blumfeld. Wir unterscheiden uns von beidem sehr deutlich.
Welche Lieder braucht Deutschland?
Lieder voller Wahrhaftigkeit, mit visionärem Gestaltungswillen, die vielleicht das Gefühl vermitteln, dass nicht alles verloren ist. Die Sprache ist dabei relativ egal: Wenn jemand sich wohler fühlt, wenn er Englisch singt, soll er es ruhig tun. Wir brauchen auf jeden Fall keine Lieder, die darauf abzielen, dass man etwas hat, woran man sich festhalten kann. Die eine nationale Identität stiften oder vermitteln wollen.
Gibt es noch typisch deutsche Lieder?
In der Gegenwart nicht mehr. Wir sind alle nur Kinder von englischer und amerikanischer Popmusik.
Originär deutsche Popmusik gibt es also nicht?
Bei Bands wie Rammstein, die ihr Deutschsein so betonen, ist es für mich eine bewusste, rein strategische Entscheidung. Die besinnen sich nicht auf irgendeine deutsche Kultur, die stehen in keinerlei Tradition. Für mich ist das alles wahnsinnig mechanisch und nur auf den Schockeffekt bedacht.
Du hast früher in der sehr politischen Punkband …but alive gespielt – aus welchem Antrieb hast du damals gesungen?
Ich war einfach ein sehr zorniger junger Mensch, genauso zornig wie die ganze Szene, in der ich mich damals bewegt habe. Ich wollte, dass Musik mehr als reine Unterhaltung ist. Musik sollte als Waffe funktionieren, ich wollte Bewusstsein transportieren, wollte aufklären, Inhalte vermitteln, den Leuten klar machen, dass Tierversuche schlecht sind und so weiter.
Können Lieder denn eine Gesellschaft verändern?
Nein. Sie können sicherlich Sachen befeuern, aber das, was letztlich Veränderung ausmacht, kommt von woanders. Wenn man zum Beispiel die letzte große Subkultur betrachtet: Punk hat schon das Leben vieler Menschen geändert. Die Gesellschaft insgesamt hat sich dadurch jedoch nicht vom Kurs abbringen lassen. Ich will die Kraft von Musik nicht schmälern, aber die „Rodney King Riots“ in Los Angeles wären auch ohne HipHop passiert.
Marcus Wiebusch, 36, hat mit Thees Uhlmann von Tomte die Songs für den Film „Hansen – Keine Lieder über Liebe“ geschrieben, in dem Jürgen Vogel einen Sänger spielt.
Interview: Christoph Koch
Erschienen in: Fluter
Fotos: GHVC