Ob bei der Präsentation neuer Geräte wie dem iPod oder iMac oder in seinen Apple Stores: Apple inszeniert seine Computer als Religion
Der Gottesdienst beginnt mit lauten Beats. „Let’s Get It Started” peitscht ein Stück der Black-Eyed Peas auf das vieltausendköpfige Publikum im Moscone Center in San Francisco ein. Als der Prediger auftritt, brandet Beifall auf, Blitzlichter flackern. Der Mann auf der Bühne trägt Jeans ohne Gürtel und einen schwarzen Rolli. Sein Name ist Steve Jobs, und über ihm leuchtet kein Mosaikfenster, sondern ein angebissener Apfel. Doch selbst wenn Jobs kein Geistlicher ist, sondern der Chef des Computerkonzerns Apple – er ist hier, um zu predigen. Wie jedes Jahr stellt er die neuen Produkte persönlich in seiner „Keynote” auf der alljährlichen Macworld-Messe vor. Nach einem festen Ritual: Zuerst erzählt er vom Geschäftsjahr, dann stellt er Softwareneuerungen vor. Und dann, wenn er schon am Ende zu sein scheint, trägt er lächelnd die Zauberformel vor: „One more thing” – eine Sache noch. Und enthüllt Apples neue Geräte: in diesem Jahr einen extrem preisgünstigen Einsteiger-Rechner namens „Mac Mini” sowie einen winzigen MP3-Player namens „iPod Shuffle” (SZ vom 13. Januar).
Die Hohepriester der Apple-Religion sind neben Steve Jobs vor allem Chef-Designer Jonathan Ive, der für das legendäre Design von iPod, iBook und iMac so gut wie jeden Designpreis der Welt eingesammelt hat. Ive und seine zehn Designer, deren Namen das Unternehmen hütet wie ein Beichtgeheimnis, residieren in der Zentrale im kalifornischen Cupertino in einer Art Hochsicherheitstrakt. Besuche sind fast unmöglich, selbst den meisten Apple-Mitarbeitern ist der Zutritt verwehrt. Wer das Heiligtum betritt, muss auf einem Sofa Platz nehmen, das viermal so groß ist wie eine gewöhnliche Couch. Und während der Besucher sich immer kleiner fühlt, werden drinnen weiße Seidentücher über die Tische mit den neuen Projekten gelegt.
Die gefälschte Firmentoilette
Höchste Geheimhaltungsstufe – das gilt nicht nur für Form und Farbe, sondern auch für die generelle Frage, welche Produkte Apple auf den Markt bringt. Trotzdem überschlagen sich vor jeder Keynote die Gerüchte, was für steinerne Tafeln Steve Jobs diesmal vom Berg San Francisco herunterbringen wird. Auf Websites wie macrumors.com werden anonyme E-Mail-Formulare für Hinweise von Insidern angeboten. Oft wird liebevoll erdachter Blödsinn für bare Münze genommen. Unscharfe Fotos von weißen Plastikgehäusen – angeblich auf einer Firmentoilette des Apple-Hauptquartiers geknipst – heizen das Gerede an. Bis jemand die Fälschung erkennt. Oder ein glaubwürdigeres Gerücht kursiert.
Die Straßen des regennassen San Francisco wurden jedenfalls über Nacht mit Plakaten für den neuen „iPod Shuffle” überzogen und Slogans wie „Give Chance a Chance” – Gib dem Zufall eine Chance. „Wir wollen noch mehr Leute an die Revolution der digitalen Musik heranführen”, hatte Jobs angekündigt. Wie keine andere Firma versteht es Apple, sich als Underdog zu inszenieren. Als David gegen den Goliath Microsoft, als Robin Hood – ganz nach Geschmack. „Ich bin ein Mac-Rebell und stolz darauf”, steht auf dem T-Shirt eines Gläubigen, der Steve Jobs ebenso begeistert applaudiert wie es im VIP-Bereich ein paar Reihen weiter vorne Al Gore, Robin Williams und andere Prominente tun. Sie alle wissen: Apple-Nutzer gehören zu den Guten. Und werden von den Geißeln anderer Computernutzer verschont: Zum Beispiel gibt es so gut wie keine Viren für Apple-Rechner. Auch ist das Betriebssystem OS X für Fehler weniger anfällig, viele Apple-Besitzer wissen nicht einmal, wann ihr Gerät zuletzt abgestürzt ist.
„Das können auch wir einfachen Sterblichen.” Mit dieser Phrase betont Steve Jobs oft, wie einfach seine Produkte zu bedienen sind – und oft hat er recht damit. Gleichzeitig verrät die Wortwahl, dass es noch etwas anderes, Großes, Unsterbliches geben muss. Niemand kann es in Worte fassen, aber wo zwei oder mehr in seinem Namen versammelt sind, da ist es mitten unter ihnen. Sei es in der Nächten vor den Keynotes, wenn Apple-Jünger vor der Halle campieren, um noch ein Ticket zu ergattern. Sei es, wenn sie von ihren iMacs so zärtlich reden, als seien es die Geliebten. Oder wenn in Internetforen Ungläubige getadelt werden, die für den iPod nicht die korrekte Klein- und Großschreibung verwenden.
Die „Genius Bar“ als Beichtstuhl
Ist der Apple-Firmensitz in Cupertino also der Vatikan der Apple-Gläubigen, so gilt die so genannte „Genius Bar” als Beichtstuhl. In den 101 Apple-Stores der Welt können sich Mac-User mit ihren Problemen an die „Genies hinter dem Tresen” wenden. Oder ihre Sünden beichten – wenn sie ein nicht-kompatibles Laufwerk an ihr Powerbook angeschlossen haben. Der Tonfall an der Genius Bar ist vertraut, auf einem Bildschirm über dem Tresen stehen die Vornamen der nächsten Ratsuchenden. Auch in der Schlange vor dem Apple-Store in San Francisco, die nach der Keynote eine Länge von rund 300 Metern erreicht hat, kommen fremde Menschen ins Gespräch. „Ich habe zwar schon einen iPod, aber ich will mir einen ’Shuffle’ zum Joggen kaufen”, sagt eine Geschäftsfrau aus Boston, „meinem Sohn bringe ich auch einen mit”. Eine Japanerin mit Lippenpiercing ergänzt: „Ich habe Urlaub – wenn es sein muss, stehe ich den ganzen Tag hier”.
Apple glich lange Zeit einer kleinen elitären Sekte – der Marktanteil im Computerbereich liegt relativ konstant bei etwa drei Prozent. Ob der mit rund 500 Euro erschwingliche „Mac Mini” das ändern kann, wird sich zeigen. Die am Mittwoch vorgelegten Geschäftszahlen waren jedenfalls die höchsten, die Apple je in einem Quartal vorweisen konnte. Vor allem im Musikbereich ist Apple durch den sagenhaften Erfolg des iPod und des „iTunes MusicStore” zu einer Art Massenreligion geworden. So klingen viele Erfahrungsberichte wie Erweckungserlebnisse. „Seit ich den iPod habe, hat sich die Art, Musik zu hören, vollkommen geändert”, diesen Satz hört man oft. Doch selbst User, die keine Konfession, sondern nur ein Elektro-Gerät erwerben wollen, können auf Apple zurückgreifen: Ein Gratisprogramm namens BiblePod erlaubt es, die komplette Bibel auf dem iPod zu speichern.
Text: Christoph Koch
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung
Foto: Apple