„O.C. California” ist nicht nur die beste Jugendserie seit Jahren – sie ersetzt auch das Musikfernsehen
Über keine Fernsehserie wurde im vergangenen Jahr in den USA so viel geredet wie über „The O.C.” (in Deutschland „O.C., California”). Die Abkürzung steht für Orange County, eine wohlhabende Gegend im Süden Kaliforniens, in der es nach Sandstrand und frisch polierten Autos riecht – und manchmal nach stiller Verzweiflung. 9,6 Millionen Zuschauer sahen im Schnitt die erste Staffel der Serie. Und das, obwohl die Geschichten aus Orange County alles andere als eine Werbung für den kalifornischen Way of Life sind: Zwei Mädchen legen ihre stockbesoffene Freundin vor deren Elternhaus auf den Boden und suchen kichernd das Weite, eine Mutter verführt den Ex-Freund ihrer Tochter – und auf nahezu jeder Party wird entweder gekokst oder die Abendgarderobe abgelegt, um sich zu prügeln. Schon die erste Folge der Serie (am Mittwoch auf ProSieben) ist so voller Tempo, Ereignisse und Spannung, dass man denkt, man würde einen kompletten Spielfilm sehen. Dabei sind es nur rund 45 Minuten einer Fernsehserie.
Im Zentrum von „The O.C.” steht Ryan (Benjamin McKenzie), dem das Leben übel mitgespielt hat: Der Vater im Knast, die Mutter Alkoholikerin, der Bruder Autoknacker. Als Ryan durch diesen beinahe selbst ins Gefängnis muss, holt ihn der herzensgute Pflichtverteidiger Sanford „Sandy” Cohen (Peter Gallagher) zu sich nach Hause – in die behütete Gemeinde von Newport Beach. Während Sandys schüchterner Sohn Seth (Adam Brody) sich freut, in Ryan vielleicht endlich so etwas wie einen Freund zu finden, ist Mutter Kirsten (Kelly Rowan) weit weniger begeistert, einen wortkargen Unterhemdträger in ihrem Poolhaus zu haben, der noch dazu Zigaretten raucht.
Der Erfinder: ein cooler Nerd
Es liegt vor allem an einer Person, dass die Serie glaubwürdiger, lustiger und bewegender ist als „Melrose Place” oder die meisten anderen ihrer Vorgänger: Josh Schwartz. Der 28-Jährige ist der Erfinder, Autor und Produzent von „The O.C.” und war im Alter von 26 Jahren der jüngste Mensch, der jemals eine eigene Serie bei einem amerikanischen Sender bekam. Aufgewachsen in Rhode Island an der amerikanischen Ostküste, kam Josh erst im Zuge eines Filmstudiums an der University of South California mit dem dortigen Lebensstil in Berührung. Schon während des Studiums verkaufte er im Alter von 20 Jahren ein Filmdrehbuch für rund eine Million Dollar an Sony. Nachdem er die Uni abgebrochen hatte, schrieb er mehrere Seriendrehbücher für Fox, ABC und Warner Brothers, die zwar meist nie über die Planungsphase hinaus kamen, ihm aber dennoch in der Branche einen Ruf als guter Autor einbrachten. Diesem Ruf ist es vermutlich auch zu verdanken, dass Josh „The O.C.” nicht gemeinsam mit irgendjemandem entwickelte, sondern mit McG, dem ebenfalls relativ jungen Produzenten und Regisseur des Kinofilms „Charlie’s Angels”. Neben Josh und McG ist Doug Liman ausführender Produzent der Serie, er machte sich unter anderem mit seinem großartigen Regiedebüt „Swingers” einen Namen und drehte später „The Bourne Identity”.
„Ich hatte vorher nie einen festen Job mit einem Büro und so was”, erinnert sich Josh Schwartz während des Interviews (siehe nebenstehender Artikel). „Ich saß einfach nur zu Hause und habe geschrieben. Jetzt werde ich langsam erwachsen, glaube ich.” Der O.C.-Erfinder, der sich in den USA mit seiner neuen Ostküsten-Serie „Athens” demnächst selbst Konkurrenz machen wird, ist vor allem stolz darauf, dass die Serie ehrlich ist und der moralische Zeigefinger Folge für Folge unten bleibt: „Wenn ich über Themen wie Alkohol oder Drogen schreibe, will ich nicht unbedingt kritisch sein – das machen Jugendliche nun mal: Sie rauchen Zigaretten, trinken zu viel und haben Sex.”
Die Geschichte: biographisch
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Josh Schwartz die Rolle des Seth Cohen stark nach seinem eigenen Leben gestrickt hat: Ein schwächlicher Comic-Fan jüdischer Abstammung, der sein Zimmer mit Postern von Indie- und Emobands tapeziert hat, Mädchen gegenüber schüchtern ist und auf Reisen einen Luftbefeuchter mitnehmen muss, damit er kein Nasenbluten bekommt. „Ich habe mein Leben in die Show hineingeschrieben”, gibt Josh in einem Interview zu Protokoll. „Ich wäre wohl gerne wie Sandy, aber vermutlich bin ich eher wie Seth.” Der vielleicht krasseste Pradigmenwechsel zum bisherigen Weltbild von Serien wie „Beverly Hills, 90210” ist jedoch, dass in der Welt von „The O.C.” nicht die breitschultrigen blonden Sportskanonen, die Seth den Sand ins Gesicht kicken, die Stars sind. Sondern die unsicheren Außenseiter – diejenigen, denen beim besten Willen kein anderer Weg einfällt, um einem Mädchen ihre Liebe zu beweisen, als ihr eine Konzertkarte für einen Auftritt der Band The Killers zu schenken.
Dass das Leben im sonnigen Orange County nur scheinbar ein unbeschwerter Spaß ist, wusste schon die Achtziger-Punkband The Adolescents, die in ihrem Song „O.C. Life” von dummen kleinen Mädchen und egozentrischen Jungs singen. Über den Druck, der auf einem lastet und den künstlichen Vergnügungen, mit denen man versucht, seinem Dasein einen Sinn zu geben. Eigentlich ist es nur eine Frage der Zeit, bis das Lied in einer Folge von „The O.C.” zu hören sein wird. Denn nicht nur macht sich die Serie ständig über sich selbst lustig (zum Beispiel wenn die O.C.-Protagonisten obsessiv eine fiktive Fernsehserie namens „The Valley” gucken), auch die Musik ist exzellent ausgewählt und weit von dem Mainstream entfernt, der sonst im Fernsehen zu hören ist. Die Poster in Seths Zimmer sprechen Bände: Da hängt ein Plakat des Punk-Labels Revelation Records neben Bandpostern von Death Cab For Cutie, Ben Folds Five und den Ramones. Die Charaktere unterhalten und definieren sich nicht nur ständig über Musik („Ja, ich bin ein Nerd, und ich höre Emo”, legt Seth zum Beispiel einmal auf einem Cafeteria-Tisch stehend sein Glaubensbekenntnis ab) – es wird auch erstaunlich viel Livemusik gezeigt: Modest Mouse treten in der Serie ebenso auf wie The Walkmen, Rooney oder The Killers.
Die Musik: das neue MTV
„The O.C.” ist also mehr als eine Teenie-Soap – die Serie ist in den USA so etwas wie das neue MTV geworden. Und dient in Zeiten, in denen selbst unsere Großeltern mitbekommen haben, dass strenge Radioformate nur noch etablierte Mainstreamkünstler zulassen und im Musikfernsehen nur noch Flirtshows und Zeichentrickfilme laufen, als die perfekte Plattform für unbekannte Bands. Die Musik der ersten sieben Folgen stellte Josh Schwartz noch eigenhändig aus seinem iPod zusammen. Inzwischen hat „The O.C.” eine eigene Musikbeauftragte, die von Bands ohne Vertrag und von Plattenfirmen mit Material überschwemmt wird. Für Josh Schwartz ist eine gute Musikauswahl essentiell für Handlung und Dialoge: „Ich kann viele Szenen erst schreiben, wenn ich die richtige Musik dazu im Kopf habe.”
Dass „The O.C.” als Trendschmiede den Musikfernsehsendern tatsächlich den Rang abgelaufen hat, zeigen auch die vier Compilation-CDs zur Serie, die inzwischen veröffentlicht wurden – ebenso wie die Tatsache, dass die in der Serie vorgestellten Bands seitdem deutlich mehr Platten verkaufen oder wie zum Beispiel die Band Death Cab For Cutie lukrative Plattenverträge bei großen Labels unterzeichnet haben. Der endgültige Beweis für die Relevanz der Serie war jedoch erbracht, als in einer Folge plötzlich vertraute Stimmen ein lautes „Ch-ch-check it out” ertönen ließen. Die Beastie Boys hatten sich für die Weltpremiere ihrer neuen Single nicht etwa MTV ausgesucht. Nein, ihr erstes Lebenszeichen nach über sechs Jahren sollte auf ausdrücklichen Wunsch der Band bei „The O.C.” zu hören sein.
Text: Christoph Koch
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung
Fotos: Warner Bros.