Dov Charney, der Gründer der Modefirma American Apparel, erklärt, warum er seine Mitarbeiter gut behandelt – und trotzdem kein Engel ist
Wer heute Mode produziert, muss sie in Fernost fertigen lassen. Muss die billigste Baumwolle verwenden und seine Arbeiter ausbeuten. Oder etwa doch nicht? Eine T-Shirt-Firma aus Los Angeles geht einen anderen Weg.
Auf den ersten Blick ist es ein ganz normales T-Shirt. Ein etwas langweiliges sogar. Es hat keinen Aufdruck, nicht einmal unterschiedliche Farben. Nur ein winziges Schildchen hinten im Kragen verrät, warum es dennoch ein besonderes T-Shirt ist. „Sweatshop free“ steht da und dass das T-Shirt statt in einer menschenunwürdigen Schwitzbude in Fernost mitten in Los Angeles gefertigt wurde. Die Firma, die dieses T-Shirt herstellt, heißt American Apparel und hat gerade Läden in Düsseldorf, Frankfurt und Berlin eröffnet. Alle drei bieten die Kollektion der US-Firma an, die vorwiegend aus Baumwollshirts, Unterwäsche und Trainingskleidung besteht. Schlichte, farbenfrohe Kleidung, die nicht nur sauber aussieht, sondern auch sauber produziert wurde.
Mit 3500 Mitarbeitern ist das American-Apparel-Werk die größte Textilfabrik in den USA. Die Arbeiter und Arbeiterinnen in dem rosafarbenen Gebäude verdienen im Durchschnitt 13 Dollar pro Stunde, einige von ihnen bis zu 25 Dollar. Der Mindestlohn in Kalifornien, der für viele Menschen dort die einzige realistische Verdienstgröße darstellt, liegt bei 6,25 Dollar. Eine Arbeitskraft in Indonesien bekommt nach Angaben der unabhängigen Gruppe „Sweatshop Watch“ einen Stundenlohn von 24 Cent. Das ist weniger als ein Sechzigstel des Stundenlohns, den American Apparel bezahlt. Zusätzlich zu den guten Gehältern gibt es eine Gesundheits- und Zahnversorgung, kostenlose Sprachkurse und Massagen, Telefonpausen, einen kostenlosen Fahrrad-Service und – nicht selbstverständlich in der Textilbranche – helle und gut belüftete Arbeitsplätze. Ein T-Shirt aus dieser heilen Welt, in der eigentlich nur noch ein Streichorchester und eine Waldlichtung mit Rehkitz fehlen, müsste nach allem, was man bisher über die Textilbranche gelernt hat, mindestens 200 Euro kosten. Dov Charney, der Gründer von American Apparel, verkauft sie für 16 Euro. Die telefonische Frage, wie er das hinbekommt, beantwortet der 35-jährige Firmenchef aus der Badewanne: „Wir machen alles unter demselben Dach“, sagt er und plätschert vergnügt mit dem Wasser, „vom Design über die Herstellung bis zu den Fotos und der Werbung. Dadurch sparen wir Transportkosten und haben eine bessere Kontrolle über die Qualität.“ Während andere Firmen Wochen brauchen, um die Produktion in Bangladesch von grünen auf gelbe T-Shirts umzustellen, kann American Apparel innerhalb weniger Tage auf den Markt reagieren, was in der schnelllebigen Modebranche ein immenser Vorteil ist. Außerdem: Zufriedene Arbeiter stellen in kürzerer Zeit bessere T-Shirts her, das ist Dovs Überzeugung: „Wir haben die besten Näher der ganzen Industrie“, brüstet er sich. „Wer einmal in unserer Fabrik arbeitet, geht nicht mehr weg. Unsere Arbeiter verbessern ihr Handwerk stattdessen immer weiter – wir sind sozusagen die moderne Version des Gesellenwesens, wie ihr es in Deutschland habt.“ Es gibt eine Warteliste für Jobs in Dov Charneys Fabrik, auf der zeitweise über 1000 Menschen stehen, die für ihn arbeiten wollen.
Eine Liebe zu den Shirts
Dov Charney, der aussieht wie eine Mischung aus Woody Allen und dem Skandalfotografen Terry Richardson, rattert beim Reden wie eine Nähmaschine. Er behauptet von sich, bereits im Alter von fünf Jahren seinen eigenen Limonadenstand betrieben und mit acht Jahren seine eigene Zeitung veröffentlicht zu haben. Was man dem hibbeligen Mann mit der großen Brille auch durchaus abnimmt. Als die Liebe seines Lebens stellten sich aber T-Shirts heraus: Aufgewachsen im kanadischen Montreal, wurde er auf ein Internat im US-Staat Connecticut geschickt. Dort deckte er sich vor jeder Heimreise mit den Baumwollshirts der Marke Hanes ein („Das waren die besten, in Kanada nicht zu kriegen“) und verkaufte sie zuhause auf der Straße. Als er später zur Uni ging, überredete er seinen Zimmernachbarn, ihm 2000 Dollar zu leihen, kaufte davon T-Shirts und bedruckte sie mit dem Logo der Uni – und verdiente damit binnen sechs Wochen 4000 Dollar. Nachdem er das Studium abgebrochen hatte, zog Dov Anfang der neunziger Jahre nach South Carolina und arbeitete dort für eine Reihe von Textilherstellern. Während einer Liaison mit einer Stripperin entwarf er gemeinsam mit ihr sein erstes eigenes T-Shirt, das American Apparel auch heute noch herstellt. Als die Textilbranche begann, die Produktion mehr und mehr in Billiglohnländer zu verlegen, verlor auch Dov seinen Job und ging nach Los Angeles, um etwas Neues zu beginnen. 1997 gründete er American Apparel, belieferte mit den hergestellten T-Shirts jedoch zunächst nur Großabnehmer wie die Polizei von New York, die Columbia University oder die amerikanische Biomarktkette Whole Food. Auch heute noch gehen 90 Prozent der T-Shirts, die in dem siebenstöckigen Werk in Downtown Los Angeles hergestellt werden, an Großabnehmer, die sie nach eigenen Wünschen bedrucken. Doch auch auf die Kleidungsstücke, die in den weltweit rund 40 Geschäften verkauft werden, will Dov seine Marke nicht drucken: „Die Zeit, als jeder mit einem riesigen Logo auf der Brust herumlaufen wollte, ist zum Glück vorbei.“ Was das Wichtigste an einem guten T-Shirt ist? Dov hat die Badewanne inzwischen verlassen und ist dabei, sich abzutrocknen: „Die Passform – es muss eng sitzen. Schau dir alte Hiphop-Fotos an, da trägt niemand dieses Schlabberzeug. Außerdem muss das Material gut sein, feines Gewebe aus hochwertiger Baumwolle.“ 20 Prozent der American-Apparel-Produktion werden inzwischen aus Baumwolle hergestellt, die ohne chemische Pestizide gezüchtet wird. In den nächsten vier Jahren will die Firma den Anteil auf 80 Prozent erhöhen.
American Apparel hat fünfmal in Folge seinen Jahresumsatz verdoppelt, 2003 lag er bei 83 Millionen Dollar. Doch die wahre Leistung liegt woanders: Der Firma ist es gelungen, das tief gespaltene Amerika zu einen – ihm ein eng sitzendes T-Shirt überzuziehen. Die konservative Rechte findet Dov Charney gut, weil er dem Standort USA die Treue hält und Arbeitsplätze sichert, die liberale Linke mag ihn, weil er die Arbeiter fair behandelt und die Umwelt schont. Dov Charney, der schon Vorträge an der Business School von Harvard und vor der UNO gehalten hat, distanziert sich von beiden: „Die einen fahren auf uns ab, weil sie merken, dass Kapitalismus auch sozial sein kann, die anderen finden uns geil, weil wir bewiesen habe, dass man mit Menschlichkeit auch Geld verdienen kann“, lästert er gut gelaunt. „Wir brauchen weder die einen noch die anderen – wir starten etwas ganz Neues, wir sind der neue Kapitalismus. Kapitalismus, der funktioniert.“
Keine neuen Mauern
Auch die seit dem 1. Januar dieses Jahres gefallenen Importquoten, die es zum Beispiel China nun erlauben, so viele Textilien in die USA oder die EU zu liefern, wie es will, machen Dov Charney keine Angst. „Natürlich bin ich niemand, der seine Konkurrenten liebt. Tief in mir drin will ich natürlich jede dieser Fabriken niederbrennen“, kichert der Kanadier in sein Telefon. Dann wird er ernst: „Ich glaube an den freien Handel. Wir können es auch mit China aufnehmen, davon bin ich überzeugt. Ich halte nichts davon, in Berlin eine Mauer niederzureißen und eine neue um die westliche Welt herum aufzubauen. Der Markt wird es richten.“
Auch was den Arbeitsmarkt anbelangt, vertraut Dov Charney auf die Kraft des Marktes: „Jedes Jahr kommen drei Millionen Menschen illegal in die USA. Das wird die Gesellschaft der Zukunft sein, und die konservativen Politiker, die das nicht wahrhaben wollen und versuchen, mit höheren Grenzzäunen dagegen anzukämpfen, werden sich noch wundern.“ In einer fairen Welt, wie Dov Charney sie sich wünscht, dürfen nicht nur Amerikaner oder Europäer in die Dritte Welt gehen, um dort Geschäfte zu machen. Es muss auch umgekehrt erlaubt sein: „Wenn ein Pakistani ein Café in Disneyland oder auf dem Kudamm eröffnen will, hat er es ungleich schwerer als die westliche Franchisekette, die in seiner Heimat alles mit ihren Filialen zupflastert. Das ist nicht gerecht.“
Seine neoliberale Haltung hat dem Firmengründer die Kritik der Gewerkschaften eingebracht, die beklagen, American Apparel würde sie blockieren. „Das ist ausgemachter Blödsinn“, ereifert sich Dov, während er nach draußen auf die morgendlichen Straßen seines Stadtteils Echo Park tritt. „Jedem unserer Mitarbeiter steht es frei, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Es wäre strafbar, das zu verhindern. Aber niemand will in die Gewerkschaft, weil sie unseren Arbeitern nichts zu bieten hat.“ Jetzt gerät der schmächtige Unternehmer so richtig in Fahrt. In einer flammenden Rede, die von der im Jahr 1217 verfassten Magna Carta bis zu den Wahlen von Saddam Hussein reicht (und auf dem Weg dorthin so manche Steilkurve nimmt), erklärt Dov das System der Gewerkschaften für überholt, die nichts weiter täten, als Belegschaft und Firmen gegeneinander auszuspielen. Sein zweites großes Feindbild: die politisch korrekte Linke. Dort stößt die Firma bisweilen auf Ablehnung, weil Dov seine neuen Entwürfe oft in einer Stripbar nahe der Fabrik testet, und weil in den Anzeigen der Firma deutlich häufiger Mitarbeiterinnen in Unterwäsche als Mitarbeiter in Trainingsjacken zu sehen sind. „Einige Leute werfen uns vor, wir würden unsere Kleidung zu stark über Sex vermarkten. Ich würde eher sagen, wir feiern den Sex, weil er etwas Wunderbares ist. Wenn zwei erwachsene Menschen etwas tun, was beiden Freude bereitet, verstehe ich nicht, wie man sich darüber aufregen und gleichzeitig zu ausbeuterischer Kinderarbeit schweigen kann.“
Den Siegeszug von American Apparel scheinen derzeit weder Gewerkschaftsfunktionäre noch Sittenwächter aufhalten zu können: Noch in diesem Jahr will American Apparel drei weitere Läden in Berlin eröffnen. „Es ist eine Stadt, in der viele junge Leute ihr eigenes Ding machen, und die noch nicht von großen Unternehmen gekapert wurde“, erklärt der Mann der 1000 Shirts begeistert. „Es ist eine Stadt, die genau richtig ist für uns.“
Text: Christoph Koch
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung
Fotos: American Apparel