"Ähm…" – Rhetorik von A bis Z

Written by on 30/05/2005 in Neon with 0 Comments

Du sollst einen kleinen Vortrag halten, ein Referat, eine Präsentation oder bloß ein paar nette Worte auf einer Feier sprechen? Das fällt dir schwer, das kannst du nicht? Doch! 26 Rhetorik- Tipps, die alle der Rede wert sind. A bis Z

Anfang: Der Vortrag beginnt, bevor das erste Wort gesagt ist. Denn das wartende Publikum beobachtet natürlich schon vorher, wer da ankommt und seine Unterlagen auspackt. Wer also in letzter Minute noch panisch auf seinem > Manuskript herumkritzelt oder sich gar mit eventuellen Mitreferenten streitet, wirkt von Beginn an unsouverän.

Blickkontakt: Das Allerwichtigste, um eine Verbindung zum Publikum herzustellen. Beim Sprechen immer jemanden ansehen, mindestens eine Sekunde lang, am besten so lange, bis du merkst, dass die Person zurückschaut. Am Anfang am besten jemanden im Publikum ansehen, mit dem du befreundet bist oder bei dem du von Anfang an merkst, dass er oder sie gerne zuhört und dir wohlgesonnen ist. Nach und nach verschiedene Personen im Publikum verteilt suchen, die du der Reihe nach einzeln ansiehst.

Chance: Jeder Vortrag, jede öffentliche Rede, die du hältst, ist nicht etwa eine lästige Pflicht, sondern eine Chance. Eine Chance, anderen etwas zu vermitteln, etwas zu erklären, ihnen deinen eigenen Standpunkt (> Thesen) näher zu bringen, sie zu überzeugen – oder einfach auch nur die Chance, sich an solche Auftritte zu gewöhnen und sie jedes Mal ein bisschen besser zu machen.

Durchatmen: Das Wichtigste, um ruhig zu bleiben (oder es zu werden), ist eine langsame, kontrollierte Atmung. Immer in den Bauch, nicht in den Brustkorb atmen.

Emotionen: Ein sachlicher Vortrag oder ein ernstes Thema bedeuten nicht automatisch, dass dabei keine Emotionen im Spiel sein dürfen. Im Gegenteil: Durch Humor, Anekdoten, Mimik (> Körpersprache) oder anschauliche Beispiele weckst du Gefühle bei den Zuhörern – und sorgst dadurch oft erst dafür, dass sie überhaupt zuhören.

Faden: Gerade hattest du ihn noch, jetzt ist er weg. Erst mal: Ruhig bleiben. Das ist ganz normal und wird, genauso wie Versprecher, nur in den seltensten Fällen wirklich wahrgenommen, geschweige denn am Ende des Vortrags erinnert. Oft hilft es, den letzten Gedanken noch einmal zusammenzufassen oder nachzufragen, ob bisher alles verstanden wurde. Reicht das nicht, oder musst du im > Manuskript herumblättern, darfst du auch ruhig einmal sagen: »Jetzt habe ich gerade den Faden verloren, einen Moment bitte …«

Girlandensätze: Die Sprachmelodie der meisten von uns sieht aus wie durchhängende Girlanden: Unmittelbar vor dem Ende eines Satzes heben wir die Stimme an, wieder und wieder. Dadurch klingt der Vortrag nicht nur leiernd, sondern auch unsicher und unvollständig. Profis sprechen stattdessen in einem Bogen, gehen am Ende jedes Satzes also mit der Stimme nach unten. Die Dynamik durch das Heben der Stimme gehört in die Satzmitte, das Absinken am Satzende bringt Ruhe und strahlt Souveränität aus.

Handouts: Natürlich ist es sinnvoll, den Inhalt des Vortrags den Zuhörern auch schriftlich zukommen zu lassen. Aber mal ehrlich: Wer hat noch Lust zuzuhören, wenn er exakt die gleichen Informationen einmal als Zettel ausgeteilt, einmal als Folie an die Wand geworfen (-> PowerPoint) und einmal mündlich erzählt bekommt? Deshalb sollte das Handout nicht mit dem, was du als Overheadfolie auflegst, identisch sein. Oder du teilst die Papiere erst am Ende des Vortrags aus – als Erinnerungsstütze.

Ich: Darf in einem guten Vortrag ruhig vorkommen, denn nichts ist trockener, als ständig »man« oder »die meisten« zu sagen. Trotzdem nicht vergessen, dass das Wichtigste nicht du als Redner bist, sondern das Publikum. Deshalb mindestens ebenso häufig wie »ich« die Ansprache »Sie« oder »Ihr« (oder ein gemeinschaftliches »wir«) verwenden.

Jogging: Kann man auch für die Stimme betreiben. Der oft belächelte Korken zwischen den Zähnen hilft tatsächlich, wie Schauspielschüler bestätigen. Wer (etwa im Auto auf dem Weg zum Vortrag) singt, lockert seine Atemmuskulatur (> Durchatmen) und festigt seine Stimme.

Körpersprache: Untersuchungen haben ergeben, dass die Wirkung einer Rede in etwa zur Hälfte durch die Körpersprache erzielt wird – die andere Hälfte teilen sich Worte (ca. 10 Prozent) und Stimme (ca. 40 Prozent). Selbst wenn man das für übertrieben hält: > Blickkontakt und eine freie, natürliche Gestik sind für einen guten Vortrag unerlässlich. Deshalb darauf achten, dass die »starke« Hand (also die, in die du einen Schläger nehmen würdest oder mit der du die meisten Dinge besser kannst) frei ist, um mit Bewegungen das Gesagte zu unterstreichen – das Manuskript deshalb immer in die schwächere Hand nehmen. Bei der Gestik darauf achten, dass sie a) nicht aus dem Handgelenk, sondern aus dem Arm kommt, b) oberhalb der Gürtellinie stattfindet, c) aus ruhigen und harmonischen Bewegungen besteht, nicht aus ruckartigen, hektischen Gebärden.

Luftholen: Unerfahrene Redner kommen oft richtig außer Atem, weil sie so durch ihre Sätze hetzen, dass zum Luftholen keine Zeit bleibt – zum Zuhören und Verstehen natürlich ebenso wenig. Deshalb, auch wenn es sich komisch anfühlt, nach jedem Satz innerlich sagen »Punkt. Pause.« Dadurch hat das Publikum, das sich in der Materie meist weniger auskennt als du, mehr Zeit das Vorgetragene zu begreifen. Außerdem haben innere Bilder, die deine Rede im Idealfall erzeugt, mehr Zeit sich zu entwickeln.

Manuskript: Hat mehrere Funktionen: Du schaust drauf, wenn du nicht mehr weiter weißt, du kannst kompliziertere Formulierungen (nur die!) wortwörtlich drauf notieren – und du kannst dich gut dran festhalten, wenn du am > Anfang nicht weißt, wohin mit deinen Händen. Als gutes Format hat sich A5 quer bewährt. Unbedingt darauf achten, dass seitlich genügend Rand zum Festhalten bleibt, dass der Zeilenabstand und die Schrift groß genug sind und die Blätter nur einseitig bedruckt und nummeriert sind – sonst entsteht irgendwann Chaos.

Nackt: Der wohl älteste Rhetoriktrick der Welt besagt, man solle sich einfach sein Publikum nackt vorstellen, um die Nervosität vor dem Auftritt abzulegen. Die Praxis hat gezeigt, dass so etwas je nach Alter und Attraktivität des Publikums entweder mit einer schweren Übelkeit oder massiver sexueller Erregung einhergeht – beides schwer zu verbergen und beides dem Vortrag nicht dienlich. Den Zuhörern die Kleidung gedanklich also anlassen und sich stattdessen lieber dran erinnern, wann man das letzte Mal eine Sache so dermaßen vergeigt hat, dass man gefeuert, exmatrikuliert, verhaftet oder aus der Stadt gelacht wurde. Na also, ist doch gar nicht so schlimm. Was? Du merkst während des Vortrags, dass du selbst nackt bist? Keine Angst, so was passiert nur im Traum. Dort dafür aber erstaunlich häufig.

Organisation: Ein guter Vortrag hat weniger mit Talent zu tun als mit guter Vorbereitung. Der erste Schritt ist, dir klar zu machen, was das Ziel der Rede ist. Was du erreichen möchtest, was das Publikum braucht und woran es interessiert ist. Sind diese Ziele geklärt, beginnst du mit einer Stoffsammlung und trägst Stichworte zum Thema zusammen. Hast du genügend zusammengetragen, beginnt die Gliederungsphase, jetzt entscheidet sich auch, welche Hilfsmedien (Folien, > Power- Point, etc.) du einsetzt. Danach geht’s ans Ausformulieren, wobei nicht jeder Satz wortwörtlich festgelegt werden muss, das verführt zum Herunterleiern. Nur bei sehr wichtigen Reden oder Passagen muss jedes einzelne Wort genau durchdacht und festgelegt werden. Stehen Ablauf und Inhalt fest, musst du dir die Rede einprägen und am Ende noch ein- oder mehrmals durchprobieren, also laut vor dich (oder einen Testzuhörer) hinsprechen. Dabei merkst du automatisch, wo es noch hakt, welche Stellen holprig klingen und woran du noch arbeiten musst. Direkt vor dem Vortrag ist es dann wichtiger, innerlich ruhig zu werden (> Durchatmen) und sich zu lockern (> Jogging), als das Manuskript noch ein hundertstes Mal durchzusehen.

PowerPoint: Ob in Unternehmen oder an der Uni, fast kein Vortrag findet heutzutage mehr ohne PowerPoint statt – eine zweifelhafte Errungenschaft. Denn einerseits ist das Microsoft-Programm relativ leicht verständlich und ermöglicht seinem Anwender auch ohne große Computerkenntnisse, ansehnliche Folien an die Wand zu beamen. Andererseits ist es ein Kreativitätskiller, da alles von einer »Strategie-Empfehlung« bis zum »Verkünden einer schlechten Nachricht« mit Hilfe des sogenannten Autoinhalt-Assistenten in vorgefertigte Schablonen eingetragen werden kann. Und wer schon mal eine solche Malennach- Zahlen-Präsentation durchlitten hat, weiß, dass dagegen jeder vergreiste Professor, der hinter seinem Stehpult hervorächzt, die reinste Zauberbrause in Sachen Kurzweil darstellt.

Quatsch! Gegen solche oder ähnliche Killerphrasen (»Unsinn!«, »Das kann ja jeder behaupten!«) wehrst du dich als Redner am besten, indem du sie gleich beim Namen nennt: »Totschlagargumente bringen uns jetzt auch nicht weiter …«. Freundlicher Humor nimmt deinen Angreifern (> Zuhörer) auch oft den Wind aus den Segeln, bitterböser Sarkasmus lässt einen Streit dagegen oft erst eskalieren. Den Konflikt nicht scheuen darf, wer persönlich von seinen Zuhörern angegriffen oder beleidigt wird (»Betrüger!«, »Halt’s Maul!«). In solchen Fällen aber unbedingt selbst sachlich bleiben, den Zwischenrufer auf seinen ausfallenden (und eventuell strafbaren) Tonfall hinweisen und deinem gesamten Publikum klar machen, dass du auf keinen Fall bereit bist, auf einer solchen Ebene zu debattieren.

Richtig stehen: Nach Möglichkeit immer stehend vortragen, auch wenn’s Überwindung kostet. Wenn ein Rednerpult da ist, solltest du es unbedingt benutzen. Ansonsten das Manuskript auf Brusthöhe mit einer Hand locker an der Seite festhalten, die andere Hand ist frei für Gestik – oder um Störenfriede (> Quatsch) mit einer 45er Magnum in Schach zu halten.

Substantive: Gerade wenn wir uns in einem Thema unsicher fühlen, versuchen wir gerne, uns hinter Hauptwörtern zu verstecken. Dabei wissen wir eigentlich, dass Verben fast immer besser klingen. Also statt Scheußlichkeiten wie »die Konsequenz daraus ist die Tatsache …« lieber »daraus folgt …« sagen.

Thesen: Mehr als drei große Thesen verkraften die wenigsten Vorträge. Wenn es doch mehr sind, musst du sie bündeln.
Die Thesen werden dann durch jeweils drei bis fünf Argumente und Aussagen untermauert, wobei gute Rhetoriker mit dem zweitstärksten Argument beginnen und mit dem stärksten enden. Die am wenigsten starken Argumente kommen in die Mitte. Schwache Argumente solltest du am besten ganz weglassen, da sie mehr schaden als nutzen können.

Ur-Opas Geburtstag: Der einzige Anlass, an dem solche Phrasen fallen dürfen: »Ich verspreche, mich kurz zu fassen …«, »Ihr dürft ja gleich weiterfeiern …«, »… wie sagt schon so schön der Volksmund …«, » … wurde ich gebeten, ein paar Worte zu sagen …« »Ich habe da mal im Lexikon nachgesehen – da steht zu diesem Begriff folgendes: …«, »… mit einem lachenden und einem weinenden Auge …«, »… oder wie man auf Neudeutsch sagt …«, »Also, äh …«

Verlockung: Wenn du dich gut vorbereitet hast, willst du auch alles erzählen, was du zu einem Thema weißt. Das führt dazu, dass du den Vortrag zu voll packst, schnell redest, um möglichst viel zu schaffen, und am Schluss alle gelangweilt Papierflieger nach vorne werfen oder sich rausschleichen, um an der Bar schon mal einen Drink zu nehmen. Und da du dort ja so schnell wie möglich auch selbst sein willst: Lieber nicht mal die Hälfte von dem erzählen, was du selbst weißt. Tut jedem Vortrag gut.

Wörter: Vorsicht bei negativ beladenen Wörtern. Formulierungen wie »keine Mühen gescheut«, »wird unser Schaden nicht sein«, »will niemanden langweilen« drücken eigentlich etwas Positives aus. Die Wörter »Mühe«, »Schaden« oder »langweilen« wecken beim Zuhörer jedoch negative Assoziationen – und töten dadurch häufig jegliche Lust ab, weiter zuzuhören.

X-mal: Wichtige Sachen ruhig mehrmals sagen. Mehrmals. Wirklich, kein Problem. Lieber einmal zu oft. Wenn etwas wichtig ist: ruhig wiederholen. Mehrmals.

Yggdrasil: Wie alle anderen komplizierten Fremdwörter besser weglassen oder den deutschen Begriff verwenden. In diesem Fall lieber sagen: »Der Weltmittelpunkt in der nordischen Sagenwelt«.

Zuhörer:

Die Wissbegierige: Fragt dich schon während des Vortrags Löcher in den Bauch. Am besten: Sie freundlich darum bitten, die Fragen am Ende zu stellen. Sollte sie dann weiterbohren und immer weiter ins Detail gehen, kannst du ihr anbieten, die Fragen in einem Einzelgespräch zu klären. Wenn du dann schlecht dastehst, kriegt es wenigstens niemand mit.

Der Schläfer: Du bist noch nicht mal mit der Begrüßung fertig, da fällt sein Kopf das erste Mal nach vorne. Einerseits kein wirkliches Kompliment, andererseits kann er gelegen kommen, wenn du einmal den > Faden verlierst: Stell dich einfach vor ihn hin und betrachte ihn eine Weile. Das Publikum wird sich amüsieren, und du kannst in der Zeit wieder darauf kommen, wie es weitergeht.

Der Saboteur: Er ist immer noch sauer, weil du ihm a) das Zimmer in der Model-WG weggeschnappt hast, b) nicht mit ihm in »Starlight Express« gehen wolltest. Deshalb versucht er jetzt, deinen Vortrag zu sabotieren. Wie du mit ihm fertig wirst, steht unter > Quatsch!

Die Naive: An ihren Fragen beweist sich der gute Redner: Sie trotz ihrer Einfachheit ernst zu nehmen und den Vortrag gleichzeitig nicht zu einer Teletubbies-Sendung werden lassen – das muss das Ziel sein. Hilfreich: »Wenn wir die Frage kurz zurückstellen, klärt sie sich im nächsten Teil von selbst, da bin ich sicher.«

Text: Christoph Koch
Erschienen in: NEON

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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