A bis Z: Das Festival

Written by on 09/07/2005 in Neon with 2 Comments

Zelten, Bier trinken, rumknutschen und dazu seine Lieblingsbands live hören – Festivals sind Sommer in hochkonzentrierter Form: 26 Tipps von A bis Z.

Anreise:
Am schönsten bleibt die klassische Festivalanreise: den altersschwachen Kleinwagen mit vier guten Freunden vollstopfen. Den iPod zu Hause lassen und ein letztes Mixtape machen – für die Fahrt. Auf den Boden einer Dosenbierpalette ein schwachsinniges Motto schreiben und diese Pappe so auf den Gepäckberg im Kofferraum legen, dass auf der Autobahn jeder durch die Heckscheibe sehen kann, wer hier wohin fährt: »Proseccojugend goes Taubertal« oder auch »Dresden Dolls Ultras: No Sleep Till >Glastonbury«. Wer selbst kein Auto hat, findet in Internetforen zumindest bei größeren Festivals oft gute Mitfahrgelegenheiten. Dabei kann es sinnvoll sein, vorher zu klären, ob man nur gemeinsam fährt oder auch gemeinsam feiert. Sonst hat man plötzlich einen Schlafsack neben sich im Zelt, den man da eigentlich nie wollte.

Burning Man:
Statt Bands zu bestaunen, versammeln sich rund 25 000 Freaks und Freigeister Ende August in der Black-Rock-Wüste von Nevada zu einer »temporären Community«, die alles bietet – von gigantischen Kunstinstallationen über exquisite DJ-Sets bis zu einem dicken Mann, der winkend in einer Badewanne voller M&Ms liegt. Statt Schwarzer-Krauser-Ständen und teurem Merchandise wird beim Burning Man ausschließlich geschenkt und getauscht. Und statt Desperados sind kleine Löschpapierblättchen die beliebtesten Wegbegleiter. Mehr Infos: www.burningman.com.

Es kann der Festivalcamper nicht in Frieden leben - wenn es dem grillenden Nachbarn nicht gefällt.

Es kann der Festivalcamper nicht in Frieden leben - wenn es dem grillenden Nachbarn nicht gefällt.

Comedy-Bühne:
Neben klassischen Nischen wie der Acoustic-Stage, dem DJ-Zelt, der Newcomer-Bühne usw. hielten es manche Veranstalter vor einigen Jahren für notwendig, auch den Spaßmachern ein Forum zu bieten. Wer sich seine gute Laune bewahren möchte, sollte die Comedy-Bühne meiden – im Grunde eigentlich gleich jedes Festival, das eine solche anbietet.

Dixi-Klos:
Der wahre Grund, warum alle hinter die Bühne wollen. Nicht um mit den Stars abzuhängen. Sondern um endlich mal wieder eine vernünftige Toilette benutzen zu können.

eBay:
Manchmal die letzte Quelle, um noch an Tickets für ausverkaufte Festivals zu gelangen. Aber Vorsicht: Häufig werden Tickets angeboten, die erst der schwarz gekleidete Bulldozer am Einlass (>Ordner) als Fälschung erkennt. Im Zweifelsfall den E-Bay-Treuhandservice nutzen, bei dem der Verkäufer erst an sein Geld kommt, wenn du die Tickets in Augenschein genommen hast.

Fehler:

  • Versuchen, auf einem >Dixi-Klo Sex zu haben
  • T-Shirts von Bands tragen, die auf dem Festival auftreten
  • »Der Zaun ist gar nicht so hoch« – das dachten die anderen auch, die das ganze Wochenende mit einem verstauchten Fuß am Rand sitzen oder sich mit einer Astgabel als Krücke zum Rotkreuzzelt schleppen
  • Barfuß Fußball spielen
  • Leute kennen lernen, die vor ihrem Zelt Fahnen gehisst haben
  • Den Fleischsalat essen, den man zwei Tage zuvor im Auto auf dem glutheißen Teerparkplatz vergessen hatte
  • Duschen wollen

Glastonbury:
Zusammen mit Reading das essenzielle britische Festival. Regelmäßig ausverkauft und an einem Wochenende mit mehr Topbands bestückt, als man in zwei Monaten schaffen würde. Wichtigster Satz: »Sorry ’bout your tent, mate.« Infos: www.glastonburyfestivals.co.uk.

Helga:
Weiblicher Vorname (>Xanthippe), der nachts gerne auf Festivalzeltplätzen gerufen wird. Weshalb dieser Brauch als lustig gilt (>Comedy-Bühne), konnte bislang so wenig ergründet werden wie sein Ursprung. Den schreibt sich nämlich jedes Provinzfestival von »Rock in Biberach« bis zum »Wangener Seefest« auf die Fahnen.

Indierock zwischen ostdeutschen Wäldchen: das Immergut-Festival

Indierock zwischen ostdeutschen Wäldchen: das Immergut-Festival

Immergut:
Großmolkerei in Mecklenburg-Vorpommern. In Musikkreisen hat sich der Name jedoch längst als Synonym für das Immergutrocken-Festival etabliert, das Ende Mai als eines der ersten Festivals die Saison eröffnet. Schwerpunkt: deutsche Bands und melancholischer Indierock. »Hier haut einem der >Ordner auf die Schulter, nicht ins Gesicht«, wusste schon Hamburgs Indielegende Thees Uhlmann. Info: www.immergutrocken.de.

Joints:
Sind wie die meisten anderen Rauschmittel von Festivals nicht wegzudenken. Der Konsum wird meist von den Veranstaltern augenrollend geduldet, an den Eingängen wird trotzdem gefilzt.

Gute Verstecke:

  • In der Bassdrum von Metallica (Achtung: Zugriff schwierig)
  • In einer Dose Kaffee (»Da riechen die Hunde nix, Alter!«)
  • Einen Monat vorher auf dem Festivalgelände vergraben (gut merken, wo)
  • Im Kofferraum von Papas Wagen (wenn dieser diplomatische Immunität genießt)

Schlechte Verstecke:

  • Im Portemonnaie
  • Unter der gelb-rot-grünen Rastamütze
  • In der Glasbong

Kater:
Simon Raß, regelmäßig mit Bands wie Kettcar und Tomte auf Tour, verrät, was sich in seiner Festivalapotheke befindet: »Vergiss Aspirin oder Paracetamol. Die wahre Macht gegen Kopfschmerzen heißt Ibuprofen. Gegen Übelkeit gibt es MCP-Tropfen. Die sind rezeptpflichtig, helfen aber wirklich. Nach zehn Minuten fühlt man sich super – und hat sogar Hunger.«

Luxusvariante:
Alles, was über das löchrige Igluzelt hinausgeht. Also sowohl das Übernachten in Pensionen, die Anreise im Wohnmobil oder das Durchfeiern im Backstagebereich. Natürlich ist es angenehmer, nicht davon geweckt zu werden, wie ein Betrunkener an deine Zeltwand kotzt oder die Sonne die Innentemperatur morgens auf 55 Grad Celsius anhebt – aber irgendwie fährt man doch auch genau deswegen zu einem Festival, oder?

Mitnehmen:

  • Billigsonnenbrille
  • Billigfotoapparat
  • Billighandy
  • Sonnencreme
  • Korkenzieher
  • Frisbeescheibe
  • ein großer Suchscheinwerfer (zum Wiederfinden von Freunden)
  • Tauchermesser (um sich aus Zeltschnüren zu schneiden, in die man gestrauchelt ist)
  • Ohrenstöpsel
  • Kopfschmerztabletten (>Kater)

Nachts:
Wird es gerade am Anfang und Ende der Festivalsaison auch mal kälter. Und wer seine Lieblingsband verpasst, weil er in Flipflops und Badehose gegen 23 Uhr frierend zurück zum Zelt muss, ärgert sich – zu Recht.

Ordner:
Je nachdem, mit wem man spricht, hat man den Eindruck, dass auf Festivals Naziglatzen oder ausländische Straßengangs für die Security zuständig sind. Was in Einzelfällen auch stimmt, aber eben nicht überall. Die meisten sind nicht schlimmer, besser, dümmer oder klüger als alle anderen Bademeister, Strafzettelverteiler, Türsteher und sonstigen Machtmenschen, bei denen es für mehr nicht gereicht hat.

Programm:
Beim lokalen »Umsonst & draußen«-Festival des AStA kann man sich auch noch mit ein paar Bier im Kopf merken, dass erst »Subway To Sally« und dann die Weltmusik-Combo die Hüften von Menschen mit schief gelegten Köpfen zum Kreisen bringen. Bei Großveranstaltungen (>Glastonbury) mit einem telefonbuchartigen Programm ist es kniffliger: Der Ablaufplan wird eingehalten, Pünktlichkeit ist ausnahmsweise eine Rock’n’Roll-Tugend.

Q:
Seltener Anfangsbuchstabe bei Bandnamen, der jedoch häufig für Qualität steht: Quicksand, Q And Not U, Qntal, Queens of the Stone Age, etc.

Rückreise:
Macht sich die Polizei bei der >Anreise noch manchmal einen Spaß aus Drogenkontrollen, so ist bei der Rückfahrt darauf zu achten, dass jemand am Steuer sitzt, der nicht bis eine Stunde vor Abfahrt >»Helga« rufend Dosen geshootet hat. Lieber noch mal ein paar Stündchen zum nahe gelegenen Baggersee gehen – oder ganz gemütlich den One-Night-Stand von letzter Nacht suchen und sich eine Dreadlock von ihm abschneiden.

Sonar:
Zwei spanische Events widmen sich vor allem elektronischer Musik: Benicassim in Camping-Umgebung, das Sonar mitten in Barcelonas Altstadt.

Tickets:
Rechtzeitig um Karten kümmern! Wer auf >E-Bay, Reinklettern (>Fehler) oder einen Schwarzhändler auf dem Parkplatz vertraut, muss sich unter Umständen genau dort herübergewehte Songfetzen von Franz Ferdinand, Mando Diao oder anderen Bands anhören, für die man die >Anreise in Kauf genommen hat.

"Sorry bout your tent, mate!"

"Sorry bout your tent, mate!"

Umgebung:
Nicht zu unterschätzen. Schlechte Bands spielen fast überall mal – und wer dann Badeseen, Wälder und Wiesen oder das Mittelmeer statt einer Industriebrache griffbereit hat, dem winkt das beste Wochenende des Jahres.

Verluste:
Sollten einen nicht wundern, wenn man mit Kamera und Geldbeutel in der Tasche crowdsurfen will.

Wristband:
Auf Deutsch: Armband. Wird bei mehrtägigen Festivals verwendet, um die Schlangen am Eingang kurz zu halten. Also gut drauf aufpassen. Das ganze Jahr muss man das speckige Ding trotzdem nicht als Andenken tragen.

Xanthippe:
Frauenname, deutlich seltener als >Helga

Yoga:
Auf esoterisch angehauchten Festivals (>Burning Man, >Glastonbury) ein Muss; wird auf rocklastigen Festivals durch die Erdbong ersetzt.

Zelt:
Basislager jedes Festivalbesuchers. Bei der Standortwahl sind >Dixi-Klos, Trommelgruppen, Junggesellenabschiede und Autos mit Kenwood-Aufklebern zu vermeiden.

Text & Fotos: Christoph Koch
Erschienen in: NEON

About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

Subscribe

If you enjoyed this article, subscribe now to receive more just like it.

Subscribe via RSS Feed

2 Reader Comments

Trackback URL Comments RSS Feed

  1. Denny sagt:

    T-Shirts von Bands tragen, die auf dem Festival auftreten??? Das würde ich nicht als Fehler sehen!!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Top

Entdecke mehr von Christoph Koch

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen