Auf der Suche nach Pete Doherty, von den einen als größter Musiker seiner Generation verehrt, von anderen als dümmlicher Junkie im Schlepptau von Kate Moss verachtet.
Junge trifft Jungen. Sie gründen die Libertines, „die beste Band ihrer Generation“ (NME). Band trinkt viel und nimmt Drogen, Junge nimmt immer am meisten. Junge fliegt aus der Band, Junge bricht bei Band-Freund ein, um Heroinsucht zu finanzieren. Junge geht ins Gefängnis. Junge und Band söhnen sich wieder aus. Band nimmt zweites Album auf. Bodyguards verhindern Prügeleien und Crackhead-Besuche im Studio. Junge versucht Entziehungskuren – bricht alle ab. Band wirft Jungen endgültig raus, Junge trifft neue Band: die Babyshambles. Junge trifft Mädchen: Kate Moss. Band gilt als unfähige Chaostruppe, Mädchen wird im Studio beim Koksen gefilmt. Mädchen trennt sich von Junge, Menschen schließen Wetten ab, wie lange Junge noch lebt. In die Ecke getrieben, tritt Junge nach Welt aus. Welt tritt zurück – mit einem Mal beschissen viel härter.
Gegen die Welt, gegen den Strich
Es ist schwer, derzeit an die Babyshambles heranzukommen. Ein Interview in London im Rahmen eines Konzerts in der Brixton Academy wird kurzfristig abgesagt. Niemand weiß, wo Pete ist. Das einzige Lebenszeichen seiner Musiker besteht aus „This is Drew’s phone“-Mailboxansagen. Irgendwann steht dann doch eine Verbindung in ein turbulentes Pub irgendwo in East London. „Es ist alles gerade sehr schwierig und chaotisch“, erklärt Babyshambles-Bassist Drew McConnell. „Wir haben keinen Manager mehr. Unser Gitarrist Patrick fliegt gerade aus seinem Haus raus. Pete will zu Kate zurück, aber er darf sie nicht sehen. Vielleicht, wenn sie wieder in England ist …“ Kurz begrüßt er ein neues Gesicht am Tisch, dann ist er wieder bei der Sache. Erzählt von ihren Instrumenten, die die Polizei seit geraumer Zeit beschlagnahmt hält: „Es ist zum Kotzen. Wir spielten ein Konzert in einem Pub. Kate war auch da, es war ein toller Abend. Zwei Stunden nach dem Konzert saßen wir noch herum und feierten, als die Polizei erklärte, es habe Beschwerden über zu viel Lärm gegeben, und alle Instrumente konfiszierte. Ich war sieben Mal auf der Polizeiwache und wollte die Ausrüstung abholen, aber sie rücken sie nicht raus. Jedes Mal sagen sie mir, der zuständige Beamte sei gerade nicht da.“
Drew ist jetzt in Fahrt und klagt darüber, wie Ian Blair, der neue Chef von Scotland Yard und der Londoner Polizei, die Band auf dem Kieker hat: „Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, gegen den Drogenkonsum der Oberschicht anzugehen, oder was er dafür hält. In einem zynischen PR-Schachzug hat er sich Kate und Pete als prominente Zielscheibe für seine Aktionen ausgesucht. Mann, wir haben noch nie so wenig Drogen genommen wie in letzter Zeit – trotzdem wurden wir beinahe täglich gefilzt. Aber sie haben nie etwas gefunden, außer Petes Medikamenten. Ich finde es deprimierend, dass eine so leere Sensationsgeilheit Politik und Polizeiarbeit derart beeinflussen kann.“
Das Frappierende: Selbst wenn man weiß, dass acht Meilen highe Musiker nicht zu den objektivsten Informationsquellen zählen – man möchte jedes Wort sofort glauben und im Freundeskreis Instrumente sammeln und sie als karitative Geste nach London schicken. Auch wenn sie wohl schneller verkauft sein dürften, als man Crackpfeife sagen kann.
Schlau und weise – wenn’s nichts ausmacht
„Es gab eine Zeit, da dachten wir, es würde kein Album mehr geben“ – Rough Trades Chef Geoff Travis bringt die allgemeinen Zweifel an der Restkreativität der menschlichen Abrissbirne Pete Doherty, ja, an seiner Überlebensfähigkeit auf den Punkt. Und dann ist „Down In Albion“ doch auf einmal da. Es ist ein wundervolles, rohes Album, das Romantik und Blut schwitzt und manchmal nach Rosen riecht und manchmal eben auch nach Kotze.Wie auf einer 24-Stunden-Sauftour poltert und scheppert es anfangs noch, als würden Pete und seine Shambles spielen, während sie die Treppe eines Übungskellers hinunterpurzeln. Dann, wenn die Nacht am tiefsten, kommen die großen Gesten zum Vorschein, die Leutseligkeit und der Überschwang, und am Schluss – Afterhours – zerfasert alles ein wenig.
Produziert hat „Down In Albion“ wie schon die beiden Libertines-Alben Mick Jones. „Pete hat nicht nur Respekt für die Musik, die Mick früher mit The Clash gemacht hat, sondern auch für dessen Einstellung“, beschreibt Travis die Rolle von Jones. „Mick hat dasselbe durchgemacht wie Pete. Auch er stand plötzlich ohne seine Band da. Er hatte mit Joe Strummer eine ähnlich intensive Beziehung, wie Pete sie mit Carl Barat bei den Libertines hatte. Joe hat später den Satz gesagt: ‚Auf Talent lohnt es sich zu warten.‘ Wir mussten bei den Aufnahmen sehr oft auf Pete warten.“ Travis lacht ein weises, gemütliches Lachen. „Aber Mick hat das nichts ausgemacht, denn er war immer sehr enthusiastisch, was die Babyshambles angeht. Er hat immer die Britishness ihrer Musik verstanden, ihr Gespür für London.“
Textlich ist „Down In Albion“ vor allem Petes Chronik der letzten zwei Jahre. Nicht nur die vielzitierte Wahl zwischen „death and glory“, auch Zeilen wie „Oh the sun, they make you out to be a tearaway“ oder „Why would you pay to see me in a cage, which the whole world calls the stage?“ sind nicht schwer zu entschlüsseln. Romantisch und mit Kämpferherz, nie weinerlich windet sich Pete durch die 16 Songs – die Texte sind kunstvoll, lyrisch und dennoch sehr unmittelbar und eins zu eins, die Smiths klingen öfter an, The Clash und alte britische Folktradition.
Glückliche Wendungen langweilen nie
Wie gerne hätte man sich also in Europa davon überzeugt, dass Pete noch am Leben ist, hätte ihn gefeiert – aber die Konzerte wurden, wie so viele zuvor, abgesagt. „Jemand ist herumgerannt und hat Shows für uns gebucht“, verteidigt sich Drew. „Keine Ahnung, wer der Typ ist – aber er ist nicht unser Booker. Wir wissen nichts von diesen Konzerten. Die Leute denken jetzt: Klar, die Scheißjunkies haben’s mal wieder verbockt. Aber das stimmt nicht.“ Auch Geoff Travis bestätigt, die Konzerte seien nie mit den Babyshambles abgesprochen worden. Die deutsche Konzertagentur Karsten Jahnke streitet das ab: „Die Band wusste von den Konzerten, Pete Doherty hat sich sogar eine bestimmte Vorband gewünscht“, erklärt ein Mitarbeiter. Ein gewisser Adam Alfen der englischen Agentur First Contact, der die Auftritte in Deutschland gebucht hat, ist telefonisch für einen Kommentar nicht zu erreichen.
Doch angeblich könnte sich nun alles zum Besseren wenden. Nach dem Skandal um Kates Drogenfotos hat sich Pete von dem Manager James Mullord getrennt, der sich um ihn gekümmert hatte, nachdem Alan McGee sich bei der Libertines-Trennung auf Carl Barats Seite geschlagen hatte. Im Rough-Trade-Office wird Tee schlürfend Optimismus verbreitet: „Es war ein Schock für Pete, dass jemand aus dem Kreis seiner Freunde die Aufnahmen zu Geld machte. Dass ihn jemand so böse betrügen könnte, hätte er wohl nicht für möglich gehalten – und das hat vielleicht dazu geführt, dass er sich von einigen Leuten losgesagt hat. Leute, die keinen besonders guten Einfluss auf ihn hatten. Das gibt mir große Hoffnung.“
Text: Christoph Koch
Erschienen in: Intro
Fotos: Promo