Gute Lage, Laufkundschaft: Die Trend-Läden der letzten 18 Jahre

Written by on 28/03/2006 in jetzt.de with 0 Comments

Das staatliche Monopol auf Sportwetten ist vom Bundesverfassungsgericht immer noch nicht nicht beendet worden. Trotzdem macht überall, wo ein Geschäft pleite macht, ein Wettbüro auf. Was war in diesen Geschäften eigentlich vorher drin? Wir haben nachgesehen.

1988: Sonnenstudios
Was brauchte man als Grundlage für all die weißen Schulterpolstersakkos, zitronengelben Bündchen-Shirts, Tennissocken und cremefarbenen Cabrios? Braune Haut! Nach den Strähnchen bei Jean Jacques ging’s mit Walkman ins „Sun-Fit“ und danach in die Disco – so sah in den arglosen 80ern eben „savoir vivre“ aus.

1989: Videotheken
Gerne in Gewerbegebieten von Kleinstädten angesiedelt – gegründet von Familienvätern, die ein wenig Geld gespart hatten. Mitgliedskarten waren noch nicht zum Scannen, sondern trugen oft nur eine vierstellige Kundennummer, mit der alles gebucht wurde.

1990: Teeläden
Hier gab es Tee nicht nur als Getränk, sondern er wurde gleich zum Romantik-Event hochstilisiert. Eingepackt mit ein paar Kandisstäbchen in raschelnde Folie – das ideale Geschenk in den Neunzigern, wo eh alle alles hatten.

1991: Dönerbuden
Den allerersten Dönerstand gab es schon in 70er Jahren in Berlin. So richtig flächendeckend mit Säbelfeisch wurde die Nation aber erst Anfang der 90er eingedeckt- deswegen trat 1991 auch die „Berliner Verkehrsauffassung“ in Kraft, in der behördlich festgehalten wurde, wie ein Döner beschaffen sein muss.

1992: Premiere-Shops
Der im Vorjahr gestartete Bezahl-Sender versuchte in modern-leeren Läden seine Abos und damals noch klobigen Dekoderboxen an den Mann zu bringen – bis heute mit mangelhaftem Erfolg.

1993: Creperien
Wer vom Frankreichaustausch mit Schokomund zurückkam, hatte dort Crepes genascht und wollte auch in Deutschland welche verzehren. Creperien – und in ihrem Windschatten Crepe-Wägen auf Festivals und Straßenfesten – öffneten überall ihre wohlriechenden Pforten.

1994: T-Shirt-Druckläden
Für die T-Shirt-verliebten Individualisten der Neunziger Jahre ein Traum: Individuell bedruckte T-Shirts! Zur Auswahl standen stets drei Shirt-Qualitätsklassen (No-Name, Fruit Of The Loom, und Hanes ) sowie vorsorglich ein Ständer mit vorbereiteten Witz-Shirts a la „Bier formte diesen…“ – falls einem mal selber nichts Knallkomisches einfiel.

1995: Game-Stores
Mit dem Siegeszug der PCs, der Game Boys und der Playstation wurden auch Computerspiele erfolgreicher und bald gab es die ersten Geschäfte, die sich ausschließlich mit ihnen beschäftigten: Das Eldorado der pickligen Mittelstufenjungs – die heute als E-Sportler mehr Geld verdienen als die Lehrer, die ihnen Verweise geben würden, wenn sie nicht wüssten, dass diese ihnen dann das Taschengeld streichen würden.

1996: Donut-Shops
Amerikanische Entsprechung zur Creperie: Die hier genossenen Donuts schmeckten aber auch nie so gut wie die, die man mitten in der Nacht in einem 7-11 in Ohio gekauft hatte. Besonders verfemt: Minidonuts, die von kleinen Förderbändern purzelten.

1997: Snow- und Skateboard-Shops
Im Schaufenster einige dunkle Kapuzenpullis mit Tribal- oder Logo-Aufdruck, am Boden Schuhkartons mit dicken Skaterbotten. Das Personal tätowiert und schlechtgelaunt, weil das mit dem Kommerz nicht so recht klappte und dauernd was geklaut wurde..

1998: Handyläden
Zur Ausstattung größerer Bevölkerungsschichten mit Mobiltelefonen schien es bald angebracht, eigene Handy-Boutiquen einzurichten. Weil die außer angeleinten Mustertelefonen nicht viel zu bieten hatten, beschränkte sich das Publikum bald auf Verträge unterzeichnende Väter mit ihrer Kaugummi-Töchtern und Leuten, die sich mit lautstarken Beschwerden trugen.

1999: 99-Pfennig-Läden
Nähzeug, Plastikkochlöffel, Taschenspiegel, Warndreieck, Kerzenset – noch vor der großen „Geiz ist Geil“-Offensive holten sich hier die Deutschen ihre Billigramsch-Wühlerei, für die sie doch sonst mindestens über die polnische Grenze wenn nicht gar nach China Town fahren mussten. Öftester Satz: „Manches ist da echt brauchbar, zum Beispiel der Nagelclipser.“

2000: Callshops
Billige Telefongespräche in ferne Länder – für eine Klientel, die sich zu 95 Prozent aus Immigranten und zu fünf Prozent aus frisch umgezogenen und von der Telekom vertrösteten Deutschen besteht. Bis heute festes Inventar jedes Bahnhofsviertels, das etwas auf sich hält.

2001: Internetcafés
Ein paar Schreibtische, ein paar Computer und ein schmieriger Tresen – fertig waren die Kaffeehäuser des neuen Jahrtausends. Am wichtigsten für Backpacker, die trotz aller Aussteigerei ab und zu checken mussten, ob ihre Praktikumbewerbungen erfolgreich waren.

2002: DSL-Verhökerer
“Neu! Jetzt keine Anschlussgebühr!“ Was ein paar Jahre zuvor auf dem Handymarkt funktioniert hatte, kehrte wenig später bei DSL-Anschlüssen zurück. Grellbunte, dennoch billige Werbezettel brüllten das neueste Schnäppchen von Arcor, 1&1, Freenet oder einen lokalen Anbieter heraus. Hergestellt wurden sie in der Regel von Leuten, die bereits mit einer -> Sonnenstudio oder -> Handyshop Baden gegangen waren.

2003: Billigbäckereien
Hilfe, ein Brötchen-Discounter, der wird doch wohl nicht die armen Müller- und Kamps-Filialen verdrängen? Nö, hier umging man beim Einkauf nur die unfreundlichen Schüler-Verkäuferinnen.

2004: DVD-Verleih-Automaten
Scheinbar brillantes Konzept, in dem keine Menschen mehr benötigt werden, um Geld zu verdienen. Gerne wurden Automatenvideotheken als schlecht sortierte Mainstream-Dealer verteufelt. Dabei ist das Angebot in der Regel nicht schlechter als bei 90 Prozent der regulären DVD/Videotheken auch. Die Hemmschwelle beim Pornoleih dafür deutlich niedriger – und der macht nach wie vor den Löwenanteil der Branche aus.

2004: Tintenpatronen-Auffüll-Geschäfte
Während Drucker „ich bin ja nicht blöd“-mäßig immer billiger wurden, reichten die Druckpatronen gleichzeitig für immer weniger Seiten – und wurden immer teurer. Abhilfe versprachen Geschäfte, in denen findige Ex-IT-Profis Tinte in die 300 verschiedenen Patronenmodelle spritzten. Umweltfreundlich, billig – und trotzdem hatte man immer Angst, dass es ausgerechnet beim Drucken der Diplomarbeit „alles voll verschmiert“.

2005: Drop Shops
Wer früher an die Ampeln Abreißzettel mit der Überschrift „Wir entrümpeln kostenlos!“ klebte, eröffnete später einen drop-shop und betete Tag und Nacht, dass die klapprige Lady von gegenüber endlich ihre Biedermeir Schmuckstücke vorbeibrachte und sich bei der Abrechnung gut übers Ohr hauen ließ. Stattdessen kam aber nur der Familienvater von oben und wollte seinen alten Monitor loswerden.

2005: Schokoladenläden
Beliebte Idee von sinnlichen Berliner Existenzgründern, die sich von den total schönen Bildern des Films „Chocolat“ verleitet sahen und fortan davon träumten, dass attraktive Leute für ihren Kakao hundert Kilometer weit fahren. Tun sie nicht, denn attraktive Leute essen keine Schokolade sondern Salat.

2006: Wettbüros
Karge Orte mit wenig Sitzgelegenheiten, dafür Fernseher unter der Decke und kleinen Schreibpulten an der Wand. Im ausschließlich von Männern bevölkerten Aufenthaltsraum wird viel geraucht und wenig geredet, das Schild „Neueröffnung“ hängt noch im Schaufenster.

Text: Christoph Koch & Max Scharnigg
Erschienen auf: jetzt.de

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About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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