Grime + Indie = Grindie

Written by on 12/05/2006 in jetzt.de with 0 Comments

In England wird in diesen Tagen ein neuer Trend ausgerufen: Die Kapuzenrapper der Grimeszene vermählen sich mit den blassen Jeansjungs mit umgeschnallten Indiegitarren. Heraus kommt: Grindie. Der nächste große Wurf nach Crossover und Bastard-Pop? Oder nur ein musikalisches Strohfeuer?

Flyer zur Launch-Party des Grindie-Mixtapes

Am Anfang klingt alles noch ganz normal: Zu einer entspannt geschrummten Gitarre singen die Arctic-Monkeys „And what a scummy man, Just give him half a chance, I bet he’ll rob you if he can …“, die Welt ist in Ordnung. Doch dann plötzlich fräst sich ein Störgeräusch in den Song und eine Stimme bellt ins Mikro: „Yeah, this is what happens when the sun goes down! Brrrrrrrrrap! Shameless, smoker’s die younger“. Was danach kommt, ist kaum noch zu verstehen, mit 200 Silben pro Sekunde spittet MC Shameless eine textliche Fortsetzung der Geschichte des „Scummy Man“ ins Mikro, erst zum Refrain dürfen die Arctic Monkeys wieder ran. Der „Southern Monkey Remix“ des Hits „When The Sun Goes Down“ ist nur ein Beispiel für den jüngsten Trend aus der an Moden nicht gerade armen Stadt London: Grindie.

Bei den bisherigen Vermischungen von traditioneller Rockmusik und moderner Elektronika, galt es immer als abgemacht, dass die fortschrittlichen Computerbastler den drögen Gitarrentypen aus der Stagnation halfen. Das Raps (modern!) frischen Wind in eingefahrene Bandgefüge (lahm!) brachten. Diesmal scheint es andersherum zu sein. Die britische Grime-Szene, die wie der Guardian feststellt, deutlich mehr Artikelzeilen als Plattenverkäufe vorzuweisen hat, dümpelt vor sich – zu viel Gewalt bei den Shows, zu wenig Hits, zu wenig Stars, zu wenig wirklich gute Tracks. Indierock ist dagegen in den letzten Jahren auferstanden aus Ruinen: Die Konzerte sind voll wie nie und schlacksige junge Typen mit Post-Punk-Riffs und New-Wave-Chic machen es sich oben in den Charts gemütlich.

Pete Doherty am Telefon

„Anfangs habe ich den Begriff Grindie nur im Spaß benutzt“, erzählt Statik, der mit seinem Mixtape „Grindie Vol. 1“ derzeit als Blaupause für das Genre gilt. „Aber dann ist es irgendwie dabei geblieben“. Die CD, die Statik zuerst umsonst verteilte und die inzwischen auch im Internet kursiert (hier als ZIP-Datei downloadbar). Wie gut der Draht des schwarzen Produzenten – der mit „Connected“ eines der respektabelsten Grime-Alben vorzuweisen hat – zur Indierockszene ist, zeigt das Intro der Mix-CD: „Hey, this is Pete Doherty“, lallt Englands liebstes Drogengenie durchs Telefon „ and you’re listening to Grindie Volume one“. Musiker von den Rakes und den Test Icicles tun es ihm in bester Dub-Plate-Manier gleich. Dann geht es los: Clap Your Hands Say Yeah, The Cribs, Babyshambles, The Rakes, Arctic Monkeys, Maximo Park, Kaiser Chiefs – aber auch gute alte Rocktunes von Blondie oder den Rolling Stones kommen zum Einsatz. Und in der anderen Ringecke: Grime von DaVinChe, Scorcher oder Ghetto and Demon.

Lethal Bizzle

In schlechten Momenten ist Grindie nicht viel mehr als ein paar Gitarrensongs aus den Charts in den Computer hineingeklaubt und dort mit Pistolenschüssen unterlegt. What mal exakt niemand was waiting for. Aber in guten Augenblicken, passiert etwas Eigenartiges: Die Energie einen leicht angespeedeten Arctic-Monkeys-Stücks wird durch die aufgepumpten elektronischen Beats noch einmal gesteigert, der Hüpffaktor noch einmal erhöht. Doch es geht nicht nur um die Musik: Statik zeigt auch, dass beide Szenen im Grunde ähnliche Themen haben: Ein Rap über Nippelzärtlichkeiten fügt sich nahtlos an ein Stück von Bloc Party, in dem von Brüsten die Rede ist („She says I’m gonna use my teeth and my breasts“ aus „Positive Tension“). Und Grime-MC Wylies gewalttäige Drohung gegen jeden, der ihm blöd kommt, wird mit der Forderung der Indieband The Kills gegengeschnitten „to get the guns out“.

Gewalt-Asyl im Indie-Club

Statik gibt sich bescheiden, will von einer “Szene” oder einer „Bewegung“ nichts wissen. Trotzdem ist er nicht der einzige, der die Brücke zwischen den beiden Musikstilen schlägt. Der Rapper Lethal Bizzle zum Beispiel, der aufgrund gewalttätiger Ausschreitungen bei Auftritten in Grime-Clubs kaum noch gebucht wurde, merkte plötzlich, dass Gigs in eher indielastigen Londoner Clubs wie „333“ oder „Barfly“ genauso gut funktionierten wie in seinen Stammläden im Eastend. Inzwischen hat er mit The Rakes eine Version des Stücks „22 Grand Job“ aufgenommen, den die Band prompt auf die B-Seite der Single nahm. Wie Grindie im Studio aussieht, kann man sich hier ansehen:

Andere Grime-Künstler ohne Berührungsängste sind die Why Lout? Crew, die bereits vor geraumer Zeit „Emily Kane“ von den Konzeptkunstrockern Art Brut in die Mangel
nahmen. Auf ihrer Myspace-Seite haben sie derzeit eine aufgepeppte Version eines alten Elastica-Hits im Programm sowie mit „I’ve Never Seen It“, „Prime Number“ und „Steve’s At It Again“ auch drei eher klassische Hiphop-Stücke zum Download freigegeben. Überhaupt ist Grindie nur bedingt ein brandneues Phänomen: Das Streets-Stück „Fit But You Know It“ wurde bereits im letzten Jahr von den Futureheads durch den berühmten Wolf gedreht und mit der neuen Single „When You Wasn’t Famous“ hat die Sheffield-Band Bromheads Jackets gerade dasselbe getan.

Unten mit Indie: Lethal Bizzle und seine Fire Camp Crew

Doch inzwischen sind nicht nur Medien wie NME und Guardian auf die musikalische Allianz aufmerksam geworden – sondern auch die etwas größeren Player der Musikbranche: Den „totally fucked stay connected mix“, den Statik vom Test Icicles-Stück „Boa Vs. Python“ anfgefertigt hat, wurde von Domino Records veröffentlicht. Und was die anfassen, wird ja derzeit beinahe von selbst zu Chartgold. Ob das auch mit Grindie funktionieren wird, muss ich zeigen. Aber Statik ist zuversichtlich dass dies der Sommer des Schulterschlusses wird : „Wenn du heute einen Piratensender einschaltest, spielen die nicht nur Grime, sondern auch The Rakes und die Kids, die sonst nur auf ,urban‘ standen, fragen mich plötzlich nach Bloc Party und Test Icicles„. Na, dann: I bet you look good on the danceflooor, brrrrrap!

Text: Christoph Koch
Erschienen auf: jetzt.de
Fotos:
lethalbizzle.co.uk / Statik

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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