In San Francsico findet Ende der Woche zum ersten Mal eine Konferenz zum Thema „Sex in Videospielen“ statt. Die Eröffnungsrede hält Regina Lynn (35) Sex-Kolumnistin des Magazins Wired.com. Sie ist außerdem Autorin des Buches „The Sexual Revolution 2.0“. Wir sprachen mit ihr über Liebe und Sex in Onlinespielen.
Vielleicht habe ich zu lange keine Computerspiel mehr gespielt, aber das letzte Mal, als ich dort auf Sex stieß, musste ich zermürbende Pokerpartien ertragen, um irgendwann die Brüste einer pixeligen Zeichentrickfigur zu sehen.
Seitdem hat sich natürlich schon einiges getan (lacht). Aber Strip Poker ist eine Variante der Sexspiele: Man spielt für sich alleine, löst Aufgaben oder Rätsel und wird dafür mit Erotik belohnt.
Gegenüber DVDs und Internetpornos klingt das mühselig. Wo liegt der Reiz?
In der Unvorhersehbarkeit. Wer sich einen Pornofilm ansieht, weiß, was ihn erwartet, selbst wenn er den Film noch nicht kennt. In den Spielen muss man sich Dinge verdienen, man wird überrascht, manchmal hingehalten. Als Internetpornos Anfang der Neunziger auftauchten, war für mich und viele andere, die Suche der größte Reiz: Man musste lange stöbern, um das zu finden, worauf man scharf war.
Mittlerweile findet man auch dann Pornoseiten, wenn man eigentlich etwas ganz anderes sucht . . .
. . . (lacht) ja, und unsere E-Mail-Eingänge sind auch voll damit.
Was ist mit Seiten wie myspace.com oder Karrierenetzwerken? Manche sagen, das sind die wichtigen Seiten in Sachen Sex.
Das ist nicht ganz falsch: Egal, wo man Leute zusammenbringt, irgendwer wird anfangen zu flirten. Im Netz noch viel schneller als von Angesicht zu Angesicht. Auf Partnerschaftsseiten ist das offiziell, auf Karriereportalen passiert es aber auch andauernd.
Diese Woche findet in San Francisco eine große Konferenz zum Thema Sex in Videospielen statt. Wer trifft sich dort?
Neben Journalisten und Rednern wie mir treffen sich dort vor allem zwei große Gruppen: Die Videospielbranche und die Sexindustrie.
Zwei Branchen mit viel Geld . . .
. . . die aber beide wissen, dass sie von einander profitieren können. Die „Erwachsenenunterhaltung“ sucht Wege, um modern und frisch rüberzukommen, die Videospielfirmen hoffen, mit dem Thema Sex auch Leute anzuziehen, die sich bislang nicht dafür interessieren, virtuelle Raketen abzufeuern oder Fußballpartien am Bildschirm nachzuspielen.
Sind Videospiele in Ihren Augen immer noch so eine Männerwelt?
Es ändert sich langsam. Ein Schwerpunkt der Konferenz wird sein, wie man Frauen für Videospiele begeistern kann. Eines der großen Sexspiele, die dieses Jahr erscheinen, heißt „Naughty America – The Game“ und kombiniert ein soziales Netzwerk mit einer virtuellen Spielwelt. Ich habe es noch nicht gespielt, aber es soll eine Mischung aus The Sims, myspace.com und match.com sein.
Naughty America ist eine Pornofirma, oder?
Ja, aber die Chefentwicklerin des Spiels ist eine Frau – und sie betonen immer wieder, wie sehr sie das Spiel bei Frauen vermarkten wollen. „Es ist für Frauen, für Frauen, für Frauen.“ Ihre Logik: Wenn die bei dem Spiel mitmachen, kommen die Männer automatisch.
Das gleiche Rezept wie bei einer Party. Glauben Sie, dass das Spiel Erfolg hat?
Ich glaube, dass diese Kombination aus erfolgreichen Elementen eine ganz logische Konsequenz ist. Was spannend wird: Wie schmutzig wollen die Kunden diese Spiele haben? „Naughty America“ wird es in zwei Varianten geben: Einer romantischeren, die für Jugendliche freigegeben ist, und einer deutlich expliziteren für Erwachsene. Es kann passieren, dass sich viele Erwachsenen für die softere Variante entscheiden.
Thema Altersfreigabe: Sind junge Menschen durch Sex-Videospiele gefährdet?
Die Medien dramatisieren das Thema Sexualverbrechen via Internet. Im Grunde ist Cybersex eine harmlose Variante für junge Menschen ihre Sexualität zu erforschen. Man kann nicht schwanger werden, es gibt keine Krankheiten. Wichtig ist, dass Erwachsene sich offen und ehrlich mit ihnen unterhalten: Gib nicht deine Telefonnummer raus, triff dich nicht in echt. Teenager haben immer Wege gefunden, ihre sexuelle Neugier zu stillen.
Ändert sich durch den technischen Fortschritt, die Art, wie wir uns verlieben?
Ein Wort: nein. Wir denken oft, die Menschen vor 1000 Jahren wären nicht so klug, wie wir es heute sind. Aber das waren sie. Wir haben schnellere Leitungen erfunden, aber die menschliche Interaktion, die Grundgefühle und Instinkte sind die gleichen geblieben. Wir verlieben uns noch genauso, sind auf die gleiche Art eifersüchtig und machen genauso Schluss.
Gar kein Unterschied zu handschriftlichen Liebesbriefen?
Ich habe Jahre in Online-Communities verbracht. In manchen ging es um Sex, in manchen um den Job – aber es ist überall das gleiche. Die Leute flirten, die Leute streiten sich, sie werden wütend und sagen, dass sie nie wieder kommen. Nach fünf Wochen sind sie wieder da.
Trotzdem hat man das Gefühl, dass im Internet mehr geht, als in der Realität.
Natürlich – wenn man es will. Aber viele wollen das gar nicht. Ich erinnere mich an eine Frau, die zwei Cybersex-Liebhaber hatte. Sie erlaubte den beiden aber nur, eine Partnerin zu haben – sie. Es war interessant zu sehen, wie sie in einer anonymen Welt, in der es keine Regeln geben kann, Regeln aufstellen wollte. Man muss sich vor den Klischees hüten, dass Frauen online die große Liebe suchen und Männer nur jemanden fürs Bett. Ich habe Männer kennen gelernt, denen im Internet das Herz gebrochen wurde.
Pessimisten fürchten, dass Cybersex den normalen Sex verdrängt. Unsinn?
Ja, denn trotz Fernsehen gibt es ja immer noch Zeitungen, Bücher. Was passieren kann: Dass Sexgames an manchen Abenden den Fernseher ersetzen oder – wenn wir müde sind – das Ausgehen. Für Distanzbeziehungen kann es ein guter Weg sein, einander nah zu bleiben. An manchen Abenden telefoniert man, an anderen trifft man sich im Spiel. Aber Menschen werden immer echten Kontakt brauchen, manche mehr als andere – doch virtuelle Spielwelten werden uns bereichern, weil sie die Vielfalt erhöhen.
Schlägt die Stunde der Schüchternen?
Manche Menschen, die schüchtern und nervös sind, entwickeln durch virtuelle Flirts Selbstbewusstsein, das sie mit raus in die Welt nehmen. Und selbst wenn nicht, dann haben sie zumindest ein angenehmeres Leben. Vor 20 Jahren waren sie nur traurig und allein.
Kennen Sie Leute, die sich über eine Sexseite kennen gelernt haben und jetzt eine echte Beziehung führen?
Ja, ich kenne ein Paar, die zuerst Cybersex hatten, dann anfingen, zu telefonieren und jetzt ein glückliches Paar sind. (Lacht) Und sie sind im selben Raum, wenn sie es miteinander tun.
Interview: Christoph Koch
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung
Fotos: Naughty America