Es ist durchsichtig. Es riecht und schmeckt nach nichts. Warum geben wir trotzdem für eine Sorte Wasser mehr als 100 Mal so viel Geld aus wie für eine andere?
1970 hieß Mineralwasser noch Sprudel. Es steckte in einheitlich genoppten Glasflaschen, die in hellbraunen Getränkekisten verkauft wurden. Der Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland betrug damals 12,5 Liter im Jahr. Heute ist er mehr also zehnmal so hoch (2006: 127 Liter) und wird vor allem aus aufwendig gestalteten Plastikflaschen gestillt. Dabei sprudelt es auch immer weniger: Stilles Wasser hat die höchsten Zuwachsraten – 2006 stieg der Konsum um 17 Prozent. Doch woran liegt es, dass wir immer mehr Geld ausgeben für Wasser, das eigentlich Leitungswasser ist?
„Bequemlichkeit ist entscheidend“, sagt Arthur von Wiesenberger, „inzwischen bekommt man an jeder Straßenecke gekühlte handliche Halbliterflaschen.“ Der Kalifornier ist so etwas wie der Guru des Flaschenwassers: Er betreibt die Branchenwebseite www.bottledwaterweb.com, hat seit 1978 diverse Bücher über Mineralwasser geschrieben und von Evian bis Perrier zahlreiche Marken beraten.
Auch der allgemeine Gesundheitstrend hilft den Wasseranbietern: „Es ist im Moment sehr einfach, Marketing für Mineralwasser zu machen“, sagt Kaise-Marie Delden von der schwedischen Traditionsmarke Ramlösa. „Die Menschen achten stärker darauf, was sie zu sich nehmen. Dadurch entsteht eine große Nachfrage.“
Doch die Verfügbarkeit und der Wunsch nach einem gesunden Durstlöscher reichen als Begründung nicht aus. Schließlich ist – von sehr wenigen alten Häusern mit Bleileitungen abgesehen – das Leitungswasser in Deutschland von hervorragender Qualität und für einen Preis von rund 0,2 Cent pro Liter ohne Schlepperei verfügbar. Einige Marken wie Bonaqa (Coca-Cola) oder Aquafina (PepsiCo) machen daraus ein Geschäft: Sie reichern das Leitungswasser ihrer Abfüllorte mit Mineralien und Kohlensäure an und verkaufen es als Mineralwasser. Die wenigsten Käufer wissen das. „Viele Leute trauen dem Wasser ihrer Stadtwerke nicht mehr“, sagt Ole Sandberg, Präsident und Marketingchef der Nobelmarke Voss. Seine unverwechselbaren zylindrischen Flaschen haben große silberne Deckel und sehen edler aus als manch teurer Wodka. Dahinter steckt Absicht: „Eine einzigartige und edle Verpackung ist ebenso wichtig, wenn man sich im oberen Segment des Wassermarktes behaupten will, wie sein Produkt gut zu platzieren.“ Nicht nur Supermärkte und Tankstellen führen ein immer umfangreicheres Sortiment an Wassersorten – auch Restaurants können es sich mittlerweile kaum mehr leisten, nur noch eine Sorte Wasser auf der Karte zu haben. „In Restaurants vertreten zu sein ist für Wassermarken entscheidend“, sagt von Wiesenberger und nennt die US-Kultmarke Fiji als Beispiel – eine viereckige Flasche mit durchsichtigem Etikett aus exotischen Blumen und einem Wasserfall. „Fiji hat es vor einigen Jahren geschafft, als erstes Wasser auch in Nobelrestaurants in der Plastikflasche gereicht zu werden. So etwas ist unschätzbar wichtig für die Akzeptanz.“ Auch die Preispolitik kann von Wiesenberger erklären: „Wasser einer exklusiven Marke zu trinken ist ein wenig teurer, so dass man das Gefühl hat, sich etwas Besonderes zu gönnen. Zugleich ist es nie so übertrieben teuer, dass man es sich nicht mehr leisten könnte. Evian oder San Pellegrino ist ein Hauch von Luxus für beinahe jeden.“
Dazu kommt geschicktes Product-Placement vor allem in Filmen und Fernsehserien: So nippt die Schauspielerin Tea Leoni in Deep Impact an einer Plastikflasche der Marke Avalon, in der Kultserie Friends ist in beinahe jeder Folge einer der Charaktere mit einer handlichen Wasserflasche zu sehen. „In vielen Kinofilmen zu sehen!“ – damit wirbt der Deutschland-Vertrieb des Fiji-Wassers.
„In den harmloseren Fällen ist die Marke, die zu sehen ist, einfach diejenige, die kostenlos Wasser für die Dreharbeiten zur Verfügung stellt“, erklärt von Wiesenberger. „Aber immer häufiger fließt auch Geld, damit eine bestimmte Marke ins Bild kommt.“ Regisseur Robert Altman nahm den Flaschenwasser-Hype in seinem Film The Player aufs Korn: In der Satire über die Filmbranche ist jedes Mal eine andere Wassermarke im Bild, insgesamt mehr als ein Dutzend verschiedene. Seitenhieb und Nebenverdienst zugleich: „Wir hatten kein großes Budget für den Film“, sagte Altman später der New York Times, „also dachten wir, wir könnten ein wenig Geld machen, indem wir eine ganze Reihe unterschiedlicher Marken benutzen.“
Autor: Christoph Koch
Erschienen in: Fluter