„Halo 3” wird das wichtigste Videospiel 2007 – für Microsoft und seine Xbox.
Die ersten Rekorde hat das Videospiel „Halo 3” schon in den ersten 24 Stunden nach der Veröffentlichung am Dienstag gebrochen. Vor den Läden, die ab Mitternacht den dritten Teil der Egoshooter–Serie verkauften, standen die Fans ähnlich geduldig in der Schlange, wie beim Erstverkauf des iPhones. 170 Millionen Dollar setzte Microsoft um. 20 Stunden nachdem die ersten Spiele verkauft waren, zählte man schon eine halbe Million Spieler, die sich über das Internet in die Online-Version eingeloggt hatten.
Die ersten beiden Teile des Spiels, die 2001 und 2004 erschienen, definierten das Genre des sogenannten First-Person-Shooters neu, also jener Art von Videospielen, in denen der Spieler die Welt aus den Augen der Spielfigur sieht – meist über den Lauf einer Schusswaffe hinweg. „Halo” überzeugte, weil es eine halbwegs intelligente Rahmenhandlung gab, cineastische Zwischenschnitte und eine für Ballerspiele ungewohnt melancholische Atmosphäre. Eine ebenfalls wichtige Neuerung: War man bei vergleichbaren Spielen dazu verdammt gewesen, endlose Gänge entlangzurennen und einem völlig linearen Spielverlauf zu folgen, spielte sich „Halo“ größtenteils im offenen Feld ab. Man konnte durch weite Schneetäler rennen, und in Militärbuggys an Stränden entlangfahren und selbst wählen, wie die Story voranging – eine ungekannte Art der Freiheit.
Das Spiel wurde zu einem Meilenstein der Spielekultur und seine Titelfigur Master Chief zu einer, wie das Time Magazine schrieb, „neuen Art von Celebrity für ein neues und höchst merkwürdiges Jahrtausend”. Fans in aller Welt stellen sich Barbiepuppen-große Plastikfiguren des Weltraumkriegers neben ihre Monitore und digitale Kurzfilme ihrer besten Schlachten beim Videoportal Youtube online. 15 Million Exemplare wurden bislang verkauft, Raubkopien nicht mitgerechnet. Zahllose andere Spiele imitierten in den Folgejahren den Verkaufsschlager, der bis heute regelmäßig in den Bestenlisten landet, wenn Spielemagazine oder Internetseiten die zehn, 50 oder 100 besten Videospiele aller Zeiten prämieren.
Digitale Celebrities
Längst hat die Videospielindustrie die Kinobranche umsatzmäßig überholt. Was kein Kunststück ist, denn ein Spiel wie „Halo 3” kostet mehr als das Fünffache einer Kinokarte. Doch auch die Geschäftsmodelle des Films werden von der Spieleindustrie kopiert. Vom Blockbuster-Prinzip der einzelnen, mit großem Etat befeuerten Vorzeigeerfolge bis hin zum Phänomen der Studios. Genauso wie sich in Hollywood immer größere Filmproduktionsgesellschaften bildeten, findet auch in der Spielebranche ein Konzentrationsprozess statt. Kleinere Studios werden unter großen Firmendächern zusammengefasst. Ähnlich wie in Hollywood neigt die Spieleindustrie auch dazu, mit bewährten Erfolgen zu kalkulieren. Mit Fortsetzungen von Hits sowieso, aber auch mit Parallelveröffentlichung von Spielen zu Filmen wie „King Kong” und „Spider-Man”. Und auch Videospiele kommen inzwischen nicht mehr ohne Superstars aus. Waren die ersten Spielfiguren noch comicähnliche Männchen ohne Eigenschaften wie Super Mario und Donkey Kong, so haben die modernen Konsolenhelden wie Lara Croft oder eben der Master Chief eine Biographie, klar definierte Charakterzüge und sogar Fanclubs. Als auf einer Vorab-Präsentation von „Halo 3” Ende Juli in Amsterdam ein Statist in einem lebensgroßen Master-Chief-Kostüm die Gäste empfing, begannen die Digitalkameras zu klicken, als sei Brad Pitt vorbeigekommen.
Meister der Pommes-Packung
Die Erwartungen an „Halo 3” waren also hoch. Nicht nur von Seiten der Spieler, auch Microsoft erwartete sich eine Menge, denn die beiden ersten Ausgaben erwiesen sich als sogenannte „Platform Sellers”, Spiele also, mit denen man Leute dazu bewegen konnte, sich eine Xbox statt einer Playstation zu kaufen. Denn während viele erfolgreiche Spiele für alle Konsolentypen angeboten werden, gibt es „Halo” ausschließlich für die Microsoft-Plattform. „Wir wissen genau, dass wir ohne ‚Halo‘ niemals so viele Exemplare der Xbox verkauft hätten”, gibt Phil Spencer zu, der bei Microsoft die Entwicklung neuer Spiele leitet. „Ebenso wenig wäre unser Onlinedienst Xbox Live ohne ‚Halo 2‘ ein solcher Erfolg geworden.” Die dritte Halo-Episode soll Microsoft nun helfen, möglichst viele Exemplare der Xbox 360 zu verkaufen – denn der „Krieg der Konsolen“ geht gerade in eine entscheidende Phase: Viele Besitzer der alten Xbox-Version zögern noch mit dem Aufrüsten, die „Playstation 3“ von Sony gilt als grafisch überlegen und mit der Nintendo-Konsole Wii ist klammheimlich ein zweiter starker Konkurrent herangewachsen. Im Juli verkaufte Microsoft beispielsweise nach Angaben der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) nur etwa 5000 Xbox-360-Konsolen, während Sony rund 8000 Exemplare der Playstation 3 absetzte und Nintendo mit seiner Familienkonsole Wii sogar auf 26 000 Verkäufe kam. Nun soll es (neben einer Preissenkung für die Xbox 360) also „Halo 3“ richten. Und auch wenn es auf den ersten Blick absurd anmutet, das ein einziges Spiel helfen soll, eine rund 300 Euro teure Konsole zu verkaufen – es ist gar nicht so unrealistisch: Wie stark die Vormachtstellung der „Halo“-Reihe als Verkaufsargument ist, zeigt die Tatsache, dass in der Branche inzwischen ein eigener Ausdruck für das Gegenmittel existiert, das die Konkurrenz händeringend sucht: Einen „Halo Killer“ bräuchte man – ein Spiel also, das den Microsoft-Meister vom Platz fegt.
Microsoft überließ dabei nichts dem Zufall. In einem futuristischen Testlabor wurden monatelang über 600 Spieler durch Videokameras beobachtet. Wie viel Spaß machen ihnen die einzelnen Abschnitte? An welchen Stellen kommen sie nicht weiter, langweilen sich oder geben frustriert auf? Wo muss das Spiel einfacher werden, wo schwieriger? Welche Waffen sind zu schwach und welche Aliens zu fies? Ein immenser und nahezu wissenschaftlich betriebener Aufwand, vergleicht man ihn mit dem Vorgehen anderer Spielehersteller, die in der Regel nur ein paar passionierte Spieler dafür bezahlen, in Testpartien tatsächliche Programmierfehler zu entdecken.
Gleichzeitig brennt Microsoft derzeit ein Marketingfeuerwerk ab, wie man es noch für kein Computerspiel gesehen hat. Die Figur des „Master Chief” wird auf Pommes-Packungen ebenso auftauchen wie auf limitierten Editionen des neuen Modells vom Autohersteller Pontiac. Pepsi hat gerade ein Getränk namens Mountain Dew Game Fuel auf den Markt gebracht, das mit einem extra hohen Koffeingehalt dabei hilft, nachts noch ein paar Stunden länger durchzuhalten „So werden normalerweise nur die größten Kino-Blockbuster vermarktet”, stellte das Wall Street Journal fest, erinnert aber gleichzeitig an die technischen Schwierigkeiten, mit denen die Xbox 360 zuletzt zu kämpfen hatte, und für die Microsoft rund eine Milliarde Dollar an Reparatur- und Rückrufkosten veranschlagen musste.
Trotz allen Erfolgsdrucks auf die Bungie Studios, die als Microsoft-Tochter das Spiel entwickeln, könne man dort stets unbeeinflusst vom Megakonzern arbeiten, betont Frank O’Connor, einer der Erfinder von Halo auf der Präsentation in Amsterdam: „Microsoft hat da einen sehr zurückhaltenden Ansatz. Den Druck machen wir uns vor allem selbst“, sagt der 36-Jährige. „Jeder von uns versteht die Bedeutung, die unsere Arbeit für die Spieleplattform hat, aber wir legten letztlich den Erscheinungstermin und ähnliche Dinge selbst fest – nicht Bill Gates.“
Während „Halo 2” für viele Fans das schwächere der beiden ersten Spiele darstellt, trumpfen die Entwickler in der dritten Runde noch einmal richtig auf: Neben dem üblichen Mehr an Waffen und Fahrzeugen, Gegnern, die es zu besiegen und Landschaften, die es zu durchqueren gilt, begeisterte die Kritiker beim Test vor allem die „Instant Replay”-Funktion. Jedes Spiel, egal ob alleine oder im Mehrspielermodus, wird automatisch gespeichert und kann anschließend in perfekter Bildqualität angesehen, vor- und zurückgespult werden. Die Kameraperspektive ist dabei völlig frei wählbar, sodass man endlich auch eine Chance hat zu sehen, wo der verdammte Laserstrahl herkam, der einen so heimtückisch von hinten niederstreckte. Die Filme können anschließend geschnitten und online gestellt werden – eine Reaktion der Entwickler auf die immer populärer werdende Kunstform der „Machinima”. Machinima sind Kurzfilme, die mit Hilfe von Videospielen „gedreht” und anschließend nachvertont werden. Eine der populärsten Machinima-Produktionen ist die Serie „Red vs Blue“, die mit den Spielen „Halo und „Halo 2“ erstellt wurde, millionenfach im Internet und auf DVD angesehen wurde und in vielen der insgesamt 100 Folgen das Humorniveau guter Sitcoms erreicht.
Weil Hollywood aber längst auf die Erfolge der Gaming-Industrie schielt und mitspielen will, weil sich Verfilmungen von Videospielen wie „Lara Croft”oder „Resident Evil” als Hits bewiesen haben, könnte es auch die „Halo”-Saga auf die Kinoleinwand schaffen. Bereits 2005 begann Microsoft gemeinsam mit den Studios Universal und Fox eine filmische Umsetzung des Spiels zu planen. Herr-der-Ringe-Regisseur Peter Jackson wurde als Produzent angeheuert, Alex Garland („The Beach”, „28 Days Later”) schrieb ein Drehbuch. Ende 2006 zogen sich beide Studios aus dem Projekt zurück, Gerüchten zufolge wegen Microsofts Forderungen nach kreativer Kontrolle und hoher Umsatzbeteiligung, was der Softwaregigant jedoch abstreitet. Knapp ein Jahr später liegt das Filmprojekt immer noch brach: „Es gibt aber nach wie vor Vereinbarungen”, gibt sich Spielentwickler Frank O’Connor optimistisch. „Ich glaube jedenfalls fest daran, dass es den Film geben wird.”
Text: Christoph Koch
Gekürzte Version erschienen in: Süddeutsche Zeitung
Bilder: Bungie / Microsoft