Nachdem Studenten und Berufsanfänger das heimische Nest verlassen haben, melden sie sich nach Meinung der Eltern nur noch viel zu selten – per Brief, E-Mail oder Telefon. Das liegt daran, dass die meisten einfach nicht wissen, wie Sie – gerade in kritischen Momenten – ihre Anliegen so formulieren sollen, dass Mutter & Vater sie verstehen. Der UniSpiegel-Sprachkurs hilft bei diesem Dilemma.
Lektion 1 – Die Reise
Die Situation:
Sie wollen mit einer Handvoll Unifreunden eine wilde Wochenendreise unternehmen – leider fehlt Ihnen dazu das nötig Kleingeld
Aufgabe:
Verfassen Sie eine E-Mail, mit der Sie sich das nötige Reisebudget bei Ihren Eltern besorgen.
Das wollen Sie schreiben:
„Ich brauche leider mal wieder mehr Geld, weil ich mit ein paar Freunden übers Wochenende nach Amsterdam fahren will – und leider immer noch keinen Job gefunden habe. Es wäre super, wenn Ihr mir bis allerspätestens Donnerstag so um die 500 Euro überweisen könntet, denn am Freitag wollen wir mit Oschis VW-Bus schon früh los – nachmittags sind die Coffeeshops noch nicht so voll. Wir pennen zwar auf dem Campinglatz, aber der Eintritt für den Club, in dem Leute live auf der Bühne Sex haben, kostet allein 60 Euro. Aber keine Angst, dafür sind aber auch schon eine Menge Freigetränke drin, es ist also wirklich kein zum Fenster rausgeworfenes Geld. Und überhaupt, was soll denn der ganze Stress – Ihr wart doch schließlich auch mal jung.“
Das sollten Sie schreiben:
„Wie ich Euch sicher schon einmal erzählt habe, lässt es mein Stundenplan derzeit nicht zu, dass ich mich nach einem Nebenerwerb umsehe. Deshalb befinde ich mich ausgerechnet jetzt in einer finanziell angespannten Lage, wo der Ausflug unseres Orientierungskurses ansteht. Dort soll für den Schwerpunkt „Großstadtsoziologie“ das Phänomen der Gentrifizierung in der Innenstadt von Amsterdam analysiert werden. Es wäre nicht nur für mich, sondern auch für meine Kommilitonen sehr schade, wenn ich aus finanziellen Gründen auf diese Exkursion müsste. Der Professor hat die Teilnahme zwar nicht zur Bedingung gemacht, aber ich bin sicher, dass es sich negativ auf meine Endnote auswirken wird, wenn ich nicht mitfahren kann.“
Lektion 2 – Die Verbindung
Die Situation:
Ihre Eltern bezeichnen sich gerne als Alt-68iger. Sie hingegen sind gerade einer studentischen Verbindung beigetreten.
Aufgabe:
Übermitteln sie per Post die Nachricht von ihrer neuen Mitgliedschaft ihren Eltern.
Das wollen Sie sagen:
„Seit gestern bin ich Mitglied einer studentischen Verbindung. Ja, ich weiß, welche Vorurteile euch jetzt sofort durch eurer engstirniges APO-Gehirn gehen: „Da sind doch chauvinistische Sexisten und Rassisten, ewig Gestrige, aufgepustete Männer, die Angst vor Frauen haben, weil sie sich ihnen im tiefen Innern unterlegen fühlen.“ Aber hey: Sie bieten die geilsten Altbauwohnungen der Stadt für kleines Geld. Wenn es hart auf hart kommt, findet man dort immer jemanden, der einem die Jura-Hausarbeit schreibt. Sie können sich gut anziehen. Tanzen gut. Und zu ihren Feten kommen die schönsten Frauen der Stadt. Diese Oberflächlichkeit macht Dich wahnsinnig wütend, Papa? Du, vielleicht solltest Du dann einmal an Dir und Deinen Aggressionen arbeiten. Um heraus zu finden, dass Du dich tief im Inneren doch nach Oberflächlichkeit sehnst.“
Das sollten Sie sagen:
„Du Papa, Mama, ihr liebt doch Günther Wallraff. Und ihr wisst, dass ich bewundere, wie er sich aufgeopfert und in andere Identitäten schlüpft nur um die Missstände in unserer Gesellschaft aufzudecken. Ich habe beschlossen, es ihm gleich zu tun. Gestern habe ich mich daher von einer studentischen Verbindung anwerben lassen. Ja, genau, diese Ansammlungen von chauvinistische Sexisten und Rassisten, ewig Gestrige, aufgepustete Männer, die Angst vor Frauen haben, weil sie sich im tiefen Innern ihnen unterlegen fühlen. Diese Rattenfänger! Ich möchte bis ganz in ihre Mitte vordringen, auf ihre Feste gehen, in ihren Wohnungen wohnen, quasi in ihre Schuhe schlüpfen um ihr von elitärer Vetternwirtschaft geprägtes Weltbild öffentlich zu machen. Glaubt mir, auch für mich ist das nicht leicht, mitten in der Höhle des Löwen. Aber wie habt ihr damals 68 noch immer gesagt: Die Revolution gibt es nicht geschenkt!“
Lektion 3 – Weihnachten ohne Eltern
Die Situation:
Sie haben sich entschlossen zum ersten Mal das Weihnachtsfest nicht unter dem elterlichen Christbaum, sondern in ihrer WG zu verbringen.
Aufgabe:
Setzen Sie Ihre Eltern bei einem Telefonat von diesem Vorhaben in Kenntnis – und lassen Sie sich nicht davon abbringen.
Das wollen Sie sagen:
„Ich habe Euch doch letztes Mal schon gesagt, dass ich keinen Bock mehr habe auf die immergleiche Leier: Mama ist gestresst und schreit rum, Papa schließt sich im Hobbykeller ein und Onkel Heinz schwärmt vom Dritten Reich. Und am Schluss sind alle besoffen und wollen, dass ich mein Akkordeon raushole und Weihnachtslieder spiele … Nein, das ist nicht total unfair, das ist die Wahrheit. Ich habe da schon letztes Jahr in meinem Blog drüber geschrieben, wie es bei uns immer zugeht. Außerdem fährt meine/e Freund/in auch schon seit zwei Jahren nicht mehr Weihnachten nach Hause und wir haben endlich mal die WG für uns alleine … Ach, auf Eure Geschenke pfeife ich, Ihr schenkt mir doch eh immer nur hässliche Klamotten, die ich nicht umtauschen kann, weil sie reduziert waren und später nicht mal im Second-Hand-Laden losbekomme. “
Das sollten Sie sagen:
„Ich würde so gerne kommen, denn wir haben ja nur so wenig Zeit, die wir miteinander verbringen können. Deshalb tut es mir selbst am meisten leid, dass es dieses Jahr nicht klappt … Es ist wegen der Uni, da habe ich mich für ein Zusatzmodul angemeldet, mit dem man deutlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Dafür müssen wir über die Weihnachtstage eine Recherche durchführen, die ich nur hier an der Unibibliothek machen kann … Der zweite Grund – das wollte ich Euch eigentlich gar nicht sagen, damit ihr Euch keine Sorgen macht – aber ich muss ich um meine Mitbewohnerin kümmern. Die fährt Weihnachten schon seit Jahren nicht mehr nach Hause, weil sie leider keine so tolle Familie hat wie ich. Deshalb bekommt sie jedes Jahr eine schwere Krise und ich halte es für meine Pflicht, ihr in dieser schweren Zeit emotional beizustehen.“
Lektion 4 – Die Prüfung
Die Situation:
Sie sind mit Pauken und Trompeten durch eine wichtige Prüfung gefallen.
Aufgabe:
Informieren Sie Ihre Eltern am Telefon über diese unschöne Tatsache.
Das wollen Sie sagen:
„Okay, machen wir es kurz: Die Prüfung, in dessen Vorfeld mit Mama extra noch das Energie Paket mit den vertrockneten Müsli Riegeln geschickt hat, habe ich richtig versemmelt. Gewundert hat es mich allerdings nicht. Schließlich schaffe ich es einfach nicht „Nein“ zu sagen, wenn ich um 23 Uhr meine Schicht als Kellner in dem Biergarten beendet habe und die anderen mich überreden, noch einen Trinken zu gehen – wer kann schon ordentlich am nächsten Tag lernen, wenn er um 4.30Uhr mit zu viel Promille in Klamotten ins Bett fällt? …Papa, hattest du nicht gesagt, ein gutes Pferd springt knapp?…Meine Freundin, die mich übrigens nach der Prüfung verlassen hat, sagt, mir mangele es an Durchsetzungsvermögen, einem klaren Ziel und sozialer Kompetenz… Ich hingegen glaube etwas anderes: Mein Nichtlernen ist meine Art zu protestieren. Gegen das Studienfach, in das ihr mich hineingedrängt habt. Gegen dieses Leistungssystem an den deutschen Unis. Und vor allem gegen Euch, die ihr immer nur mein „Bestes wollt“.
Das sollten Sie sagen:
„Sicher erinnert Ihr euch noch an die Prüfung, in dessen Vorfeld mir Mama extra noch das Energie Paket mit den leckeren Müsli Riegeln geschickt hat (Vielen Dank noch einmal!)…Ja, ich habe während der Prüfung gespürt, wie ihr mir die Daumen gedrückt habt (Auch dafür Danke!)… Leider sieht es vermutlich so aus, als sei nichts daraus geworden. Ich drücke mich bewusst noch vage aus. Denn es heißt in der Fakultät, über 80 Prozent der Kandidaten seien diesmal durchgefallen und es habe eine Vielzahl von Fragen innerhalb der Prüfung gegeben, die nicht mit dem angegebenen Lernstoff korrespondierten. Beides scheint rein rechtlich nicht Ordnung, weshalb es möglicherweise zu einer Sammelklage gegen den Professor kommen könnte… Man muss sich das mal vorstellen: Wochenlang verbieten sich über hundert Studenten jede Form von Ablenkung, lernen bis zur Erschöpfung und der urlaubende Herr Professor lässt von seinen Hilfskräften eine dilettantische Arbeit zusammenflicken! Papa, immer öfter denke ich, Du hast Recht: Diesem Beamtensystem Uni ist nicht mehr zu helfen.“
Lektion 5 – Die Partybilder
Die Situation:
Auf einer Internetseite für Partybilder sind Fotos zu sehen, in denen jemand ihnen eine Bierbong in den Mund stecken, Freunde große Zigaretten rauchen und sie ihren nackten Hintern in die Kamera halten. Die Gefahr ist groß, dass ihre Eltern von den Bildern etwas mitbekommen.
Aufgabe:
Erklären Sie sich präventiv per Mail ihren Eltern.
Das wollen Sie schreiben:
„Wahrscheinlich zeigen euch eure armseligen Bekannten, die immer auf der Partywebseite nach geilen Fotos von Studenten suchen, demnächst ein paar Bilder von mir: Hey, das war Spaß! Party! Fete! So feiert man heute! Und ja: Ich kiffe auch. Das haben schon Generationen von Studenten vor mir getan und das ist allemal besser und weniger schädlich für die Gesundheit als sich jeden Abend einen „guten Tropfen zu gönnen“ (Gell Papa :-) ). Was den nackten Hintern angeht: So lange er noch knackig und gut in Form ist sollte man ihn ruhig zeigen dürfen (Hallo Mama!). Was ist schon dabei? Wenn ihr ins Nudistencamp nach Frankreich fahrt, spielt ihr sogar nackt Tischtennis. Und im Osten war FKK sowieso gang und gebe – hat mir jedenfalls der süße Fotograf erzählt, der übrigens eine riesigen Spiegel über seinem Bett hängen hat.“
Das sollten Sie schreiben:
„Sollten Euch im Lauf der nächsten Wochen ein paar Bilder zugehen, auf denen man unter anderem meinen nackten Hintern und mich mit einem Trichter im Mund sieht, so hat das Feld-Experiment unseres Soziologie-Schwerpunkts funktioniert! Gebt mir daher unbedingt Bescheid, sobald ihr etwas hört! Schließlich kommt auf es auf die Geschwindigkeit an, mit der sich die Information per Internet verbreitet! Diese Studie könnte ein großer Erfolg für unseren Dozenten, eine internationale Kapazität auf dem Gebiet des viralen Marketings, werden. Mehrer US-amerikanische Fachpublikationen haben schon Interesse an den Ergebnissen gezeigt. Und stellt Euch vor: Weil ich einer der Hauptakteure beim Experiment war, würde ich wohl als Co-Autorin genannt. Noch will ich nicht, dass ihr mit anderen darüber redet: Aber das könnte mein Eintritts-Ticket für eine Uni Karriere in Harvard (!!!!!) sein…
Lektion 6 – der neue Freund
Die Situation:
Sie haben sich frisch verliebt und wollen Ihren neuen Freund bei Ihrem nächsten Heimatbesuch Ihren Eltern vorstellen.
Aufgabe:
Kündigen Sie den Besuch in einem Brief an und bereiten Sie sie auf das Treffen vor.
Das wollen Sie schreiben:
„Phil ist echt der Hammer. Ein total gutaussehender Typ, den ich schon superoft beim Ausgehen getroffen habe. Aber da hingen immer so viele Mädels an ihm dran, dass ich nie mit ihm ins Gespräch kam. Er arbeitet in zwei meiner Lieblingsbars und legt manchmal auch in diesem ehemaligen Stripclub auf. Ich glaube, er studiert das selbe wie ich, aber ich weiß es gar nicht so genau. Manchmal ist es total anstrengend, zur Vorlesung zu gehen, wenn er noch liegenbleiben kann. Aber meistens kämpfe ich mich dann doch raus, zumindest zu der Vorlesung um elf. Papa, du wirst ihn sicher mögen, er kennt sich nämlich total gut mit Whiskey aus. Aber bitte blamiert mich nicht und fragt keinesfalls, was seine Tätowierungen bedeuten, das kann er nämlich auf den Tod nicht ausstehen.“
Das sollten Sie schreiben:
„Philipp ist echt ein Schatz. Wir haben uns über gemeinsame Freunde kennengelernt und dann erst festgestellt, dass wir gemeinsam studieren. Da er so vielseitig interessiert ist, reden wir aber nur wenig über die Uni, wahrscheinlich hat er Angst, mich mit seinem Wissen einzuschüchtern und ist zu bescheiden, um mit seinen akademischen Erfolgen angeben zu wollen. Er arbeitet neben dem Studium auch sehr viel im Gastronomie- und Event-Bereich und ist dort sehr beliebt, sowohl bei seinen Kollegen als auch bei den Menschen, mit denen er zu tun hat. Papa, du wirst ihn sicher mögen, er kennt sich nämlich total gut mit Theater aus. Aber bitte blamiert mich nicht und fragt keinesfalls was sein Familienname bedeutet, das kann er nämlich auf den Tod nicht ausstehen.“
Lektion 7 – Das Praktikum
Die Situation:
Nach einer Woche kündigen Sie ihre Praktikumsstelle
Aufgabe:
Bringen Sie diese Nachricht ihren Eltern in einem Brief bei.
Das wollen Sie sagen:
„Ja, auf den Lebenslauf hätte sich das Praktikum sicher gut gemacht. Richtig, ich brauchte das Praktikum auch noch für die Anmeldung zum Examen. Auch wahr, ich musste sogar ein Assessment Center durchlaufen, um den Platz überhaupt zu bekommen. Und sicher, so langweilig war meine Tätigkeit in dem Unternehmen nicht. Dennoch hatte ich einfach keinen Bock mehr: Am Freitag habe ich meine Tasche gegen Mittag gepackt, habe meiner Vorgesetzten gesagt „Ich bin dann mal weg“ und war erst einmal in die Stadt richtig shoppen. Ach, ich habe mich herrlich gefühlt! So frei! So geil verantwortungslos! Morgen schon werde ich aufbrechen und nach Südfrankreich zu meiner alten Ferienliebe trampen. Sieben Wochen lang – genau die Zeit des Praktikums. Vielleicht mache ich einen Surfkurs. Mal schauen. Hauptsache ihr überweist mir immer schön die monatliche Kohle!“
Das sollten Sie sagen:
„Wie sagst Du noch immer gern, Papa: „Das Bessere ist der Feind des Guten.“ Nun habe ich mich lange auf das Praktikum vorbereitet, das Assessment Center mit Bravour durchlaufen und meine Vorgesetzte haben bereits durchscheinen lassen, ich sei kaum noch aus dem Team wegzudenken, da hat sich eine neue Option ergeben: Ein französischer Freund, mit dem ich über dieses Elite Internet Business Netzwerk XING eng verbunden bin, möchte ein Start-Up im Bereich Web 2.0 anstoßen – mit meiner Unterstützung. Ihr wisst ja, dass ein Woche im Internet ein halbe Ewigkeit ist! Und das in diesen agilen Wissensunternehmen die Zukunft der Weltwirtschaft liegt! Ich habe daher mein Praktikum auf „on hold“ gelegt und mache mich morgen auf den Weg nach Süden. Mein Praktikumsmentor hat mich voll unterstützt: In den Chefetagen suche man heute schon nach Machern wie mir mit entrepreneurial Spirit!“
Text: Mathias Irle & Christoph Koch
Gekürzte Version erschienen in: UniSpiegel
Herrlich! Äußerst amüsant auch, wenn die Geschwister einem erzählen, was wirklich passiert ist, nachdem sie den Eltern irgendwelche Märchengeschichten aufgetischt haben…