Anderson Cooper, der neue Star von CNN, über den Präsidentschaftswahlkampf, Emotionen und Journalismus
Mr. Cooper, im Wahlkampf der Präsidentschaftskandidaten moderieren Sie die YouTube-Debatten für CNN. Dort können die Wähler Fragen an die Kandidaten richten, indem sie kleine Filme mit ihren Anliegen bei der Internetplattform YouTube hochladen. Welche Erfahrungen machen Sie mit diesem Konzept?
Es ändert die Art der Gespräche komplett und bringt neue Energie in den Schlagabtausch. Man braucht allerdings jemanden vor Ort, denn Politiker sind sehr gut darin, Fragen so zu beantworten, wie sie sie beantworten wollen.
Wer wählt die Fragen aus?
Idealerweise könnten die Leute online abstimmen, welche Fragen gestellt werden sollen. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass die Wahlkampfteams der Kandidaten bestimmte Fragen anonym rauf- oder runterwählen würden, wenn es eine offene Internet-Abstimmung gäbe. Deshalb werden die Fragen momentan noch von unserem Team ausgewählt.
Es gab in der Vergangenheit bereits Debatten, in denen das Studiopublikum fragen konnte.
Aber selbst da stellen die Leute erstaunlich förmliche Fragen, die wenig mit ihnen selbst zu tun haben. Sie werden nervös und stocksteif. Zuhause vor ihrer Webcam können sie so sein, wie sie wirklich sind, und die Fragen stellen, die sie wirklich bewegen.
Das amerikanische Wahlsystem mit seinen 102 Vorwahlen ist wie gemacht für Nachrichtensender. Sehen Sie sich selbst als „Präsidentenmacher”?
Nein. Ich habe nur eine kleine tägliche Sendung auf CNN (Anderson Cooper 360).
Im Internet kursierte ein Clip, auf dem CNN-Veteran Larry King sich hinter den Kulissen beschwert, dass Sie mehr Sendezeit bekommen als er. Haben Sie den Clip gesehen?
Ja, ich kenne den Film und habe sehr gelacht. Ich habe ihn sogar zusammen mit Larry gesehen. Wir verstehen uns gut, ich sehe in ihm eine Art Mentor.
Haben Sie eine Wahlempfehlung für uns?
Ich will ganz offen mit Ihnen sein: (Pause) Ich habe nicht die leiseste Ahnung (lacht). Und egal, was die Anderen sagen: Sie haben auch keine Ahnung, wie es ausgehen wird. Das ist es ja, was dieses Rennen so großartig macht.
Ihre Mutter ist die Schauspielerin und Designerin Gloria Vanderbilt. Wie war Ihre Kindheit?
Ich reifte schneller, als ich es vielleicht sonst getan hätte. Mit zehn sorgte ich mich darum, mein eigenes Geld zu verdienen. Da es nicht viele Jobs für einen Jungen in diesem Alter gibt, begann ich zu modeln.
Für Ralph Lauren und Calvin Klein . . .
. . . richtig, aber ich finde es erstaunlich, dass sich die Menschen immer so auf meine Mutter und das riesige Vanderbilt-Erbe konzentrieren. Mein Vater (der Schriftsteller Wyatt Cooper) kommt aus einer sehr armen Familie, die auf dem Land lebte. Warum sollte diese Hälfte meiner Abstammung weniger wichtig sein?
Ihr Vater starb früh, Ihr Bruder beging Selbstmord.
Beides hat mein Leben auf den Kopf gestellt. Ich begann mich dafür zu interessieren, was das Leben ausmacht. Genauer gesagt: das Überleben. Warum überleben manche Menschen und andere nicht? Ich habe Survival-Kurse in der Wildnis gemacht. Ich habe die High School abgebrochen, um durch Afrika zu reisen und lag dort eine Weile mit Malaria in Kenia im Krankenhaus – keine angenehme Erfahrung.
Nach dem Tod Ihres Bruders kehrten Sie mit einer Videokamera und einem gefälschten Presseausweis nach Afrika zurück, nach Somalia. Was hofften Sie, dort zu finden?
Ich wollte an Orten sein, wo die Frage nach Leben oder Tod stärker im Vordergrund steht als in der zivilisierten Welt von Manhattan. Ich fühlte mich wohler, wenn die Leute ganz normal über den täglichen Überlebenskampf redeten, der ihr Alltag war. In den Vereinigten Staaten spricht niemand über den Tod. Deshalb fiel es mir schwer, dort zu leben, zu funktionieren. Mich zog es in Konfliktregionen – nach Somalia, später Ruanda, Bosnien oder das vom Tsunami verwüstete Sri Lanka. Die Suche nach dem Schrecken war immer eine große Motivation für mich, Journalist zu werden.
Sie sind mit Larry King das bekannteste Gesicht von CNN – ohne jede journalistische Ausbildung. Sind Journalistenschulen, journalistische Universitätsstudiengänge überbewertet?
Nein. Der Pfad, den ich gewählt habe, ist wirklich sehr ungewöhnlich. Und anfangs war es ja nicht einmal ein Pfad. Da stand nirgendwo ein Richtungspfeiler ABC oder CNN. Es schien mir trotzdem unmöglich, nicht nach Bosnien zu reisen, als dort Krieg herrschte. Ich wollte alles mit eigenen Augen sehen. Die echten Journalisten lebten allerdings in einer anderen Welt. Ich schlief unter Brücken und fuhr per Anhalter, während etablierte Reporter wie Peter Jennings und Christiane Amanpour in ihren Jeeps an mir vorbeirauschten. Ich konnte mir damals nicht vorstellen, Journalist zu werden.
Sie waren – dann schon für CNN – auch im vom Hurrikan Katrina zerstörten New Orleans und dort zeitweise verschollen. Und wenn Sie auf Sendung gingen, wusste man nicht, ob Sie den Tränen näher waren oder dem Wahnsinn.
Ich habe in diesen Tagen so gut wie gar nicht geschlafen. Wahrscheinlich war ich deshalb so aufgewühlt. Aber ich wusste, wie wichtig es war, der Welt diese Bilder zu zeigen. Zu zeigen, dass auch am dritten und vierten Tag die Situation nicht besser, sondern immer schlimmer wurde. Ich hatte in meinem Leben schon viele Leichen gesehen, aber meine Landsleute, meine Nachbarn in dieser Situation zu erleben und Zeuge zu werden, wie schlecht sie behandelt wurden, war niederschmetternd.
Sie attackierten die Senatorin von Louisiana, Mary Landrieu – live. Als sich Landrieu bei Präsident Bush bedankte, fielen Sie ihr ins Wort und sagten, dass auf der Straße gerade eine Frauenleiche von Ratten zerfressen wurde. Danach wurden Sie als neues Leitbild des Fernsehjournalismus gefeiert, als der „Emotional Anchorman”: engagiert, involviert, leidenschaftlich.
„Emo Anchor” klingt natürlich toll. Aber ich glaube nicht, dass es der Realität entspricht. Ich bin die am wenigsten emotionale Person, die ich kenne. Okay, in Situationen wie in New Orleans finde ich es schwer, Worte zu finden. Aber gerade in den Nachrichten der Kabelsender wird ständig gestritten. Das sind doch auch Emotionen.
Wenn Bill O’Reilly sich beim Fox News Channel erregt und streitet, hat das aber mit Kalkül zu tun.
Ich glaube, es gibt nichts, was Fernsehzuschauer so sehr schockt wie echte Emotionen. Aber ich denke nicht, dass ich meine Storys noch emotionaler machen muss, als sie es ohnehin schon sind. Es passieren jeden Tag schreckliche Dinge auf der Welt, und es würde eher schaden, wenn ich sie noch zusätzlich emotional aufladen würde. Im Kongo starben in den letzten zehn Jahren 5,5 Millionen Menschen – und so gut wie niemand berichtet darüber. Ich habe dort für ABC eine Reportage über Massenvergewaltigungen gedreht – da musste ich keine Emotionen hinzufügen. Ich muss kein Baby in die Kamera halten und den Leuten zuhause erklären, wie traurig das hier alles ist. Alles was ich tun musste, ist, die Kamera zu schultern, ruhig und besonnen Fragen zu stellen und den Leuten die Zeit zu geben, ihre Geschichte zu erzählen.
Das CNN-Credo war immer: „Die Nachrichten sind der Star”. Mit Ihnen und den vielen Anderson-Cooper-Fanpages im Internet ändert sich das jetzt offenbar.
Das ist ein interessantes und neues Phänomen, dass man als Reporter auch Fanclubs haben kann. Es schmeichelt mir, dass sich Menschen für das interessieren, was ich tue. Aber es hilft mir nicht, meine Geschichten besser zu erzählen, bessere Texte zu schreiben, meine Reisen besser zu planen. Wenn man anfängt, seine eigenen Fanseiten zu lesen, lenkt einen das nur ab. Man fängt irgendwann an zu glauben, was dort steht, und hat keine Lust mehr, eine strapaziöse Woche im Kongo zu verbringen. Das wäre ein großer Fehler.
Kennen Sie das Foto der jungen Frau, die sich Ihr Portrait auf die Wade tätowieren ließ?
Ich habe das Bild gesehen. So etwas hat nichts mit mir zu tun. Auch wenn ich ein riesiges CNN-Plakat mit meinem Gesicht sehe, sehe ich dort einen anderen. Das ist vermutlich ein ganz schlimmer Fall von Verdrängung und bedeutet, dass ich nicht in der Realität lebe. Aber für mich ist es einfacher so, und ich verzichte dann lieber noch eine Weile auf die Realität.
Aber Sie werden doch ständig auf der Straße angesprochen.
Wenn ich morgens mit der U-Bahn fahre, sprechen mich die Leute tatsächlich an: „Hey, Andy!” Das macht in New York normalerweise niemand – und es macht die Stadt auf eine angenehme Weise zu einem Dorf. Es macht es für mich aber auch schwieriger, einfach nur ein unbeteiligter Beobachter zu sein – etwas, was ich sehr mag. Sollte es mir zu viel werden, gehe ich wieder für eine Weile nach Afrika. Dort weiß niemand, wer ich bin.
Interview: Christoph Koch
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung
Fotos: CNN