Zwischen Pizzakarton und Präsidenten-Prognose: Wie der amerikanische Nachrichtensender CNN den „Super Tuesday“ der US-Vorwahlen aufbereitet – eine Reportage aus New York.
Der Central Park in New York ist einer der wenigen Orte, die selbst bei Nieselregen und grau drückendem Himmel majestätisch strahlen. Von den oberen Stockwerken des Time-Warner-Gebäudes direkt an der südwestlichen Ecke des Parks kann man das gut sehen. Doch heute hat niemand hier Muße für den beeindruckenden Ausblick. Es ist „Super Tuesday“, der vermutlich entscheidende Tag im Vorwahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft. 22, beinahe die Hälfte aller Bundesstaaten entscheidet heute, wen sie auf Seiten der Republikaner und wen für die Demokraten ins Rennen schicken wollen. Noch mehr Staaten als sonst haben sich für diesen Termin entschieden, manche sprechen deshalb auch vom „Super-Duper Tuesday“ oder vom „Tsunami Tuesday“
.
Vor zwei Tagen erst haben die New York Giants überraschend den Super Bowl gewonnen, die Stadt jubelt – so enthusiastisch das im geschäftig-coolen New York möglich ist. „Super Bowl, Super Tuesday – noch mehr Supersachen und wir werden alle einen Herzinfarkt erleiden“, scherzt CNN-Chef Jonathan Klein professionell, als er die Studiozuschauer zur Sondersendung „Conversations on the circle“ begrüßt.
Drei Panels aus CNN-Reportern und Redakteuren des (zum selben Konzern wie CNN gehörenden) Time-Magazins versuchen, die Ergebnisse des heutigen Wahltages zu analysieren, so lange draußen im Land noch die Stimmen abgegeben werden und noch keine Ergebnisse zu vermelden sind. „40 Stunden Liveberichterstattung“, verspricht CNN und mehrere Moderatoren drohen an: „Es wird eine lange Nacht.“
„Lasst nicht die Analysten reden – lasst die Kandidaten reden“, so hatte die Devise Kleins für die Wahlkampfberichterstattung seines Senders gelautet. Statt „Talking Heads“ und „Spin Doctors“ also mehr echte Debatten der Kontrahenten. Doch nun schweigen die Kandidaten für einen Moment, und es müssen doch die Experten ran und so lange darüber orakeln, was passieren könnte, müsste, sollte – bis es tatsächliche Ergebnisse gibt.
Der erste Stock des Time-Warner-Gebäudes beherbergt ein Nobeleinkaufszentrum und die Kette „Border’s Books“ hat vor ihrem Laden Platz gemacht für die Kameras, eine kleine Bühne und viele rote, weiße, blaue Stühle auf denen internationale Journalisten, CNN-Mitarbeiter, Werbekunden und Freunde des Hauses Platz genommen haben. Auf dem Podium moderiert Anderson Cooper, der neue Starmoderator von CNN mit dem früh ergrauten Haar und den stahlblauen Augen eine Diskussionsrunde über die republikanischen Kandidaten. Ist McCain den Republikanern konservativ genug? Welche Rolle spielt der abgeschlagene Mike Huckabee noch? Ist New York wichtiger – oder Kalifornien? Kurze prägnante Statements sind gefragt, zackzack, dann geht es wieder in die Werbepause. Vor und nach jedem Reklameblock wird auf die CNN-Webseite hingewiesen, ebenso mantra-artig wird der Slogan „the best political team on television“ wiederholt. Der Sender – bei dem Larry King sonst auch Paris Hilton eine Stunde lang zu ihrem Leben befragt – meint es ernst, wenn es um die Wahlen geht. Das signalisiert auch der Schriftzug „CNN = Politics“, der die ebenfalls blau-weiß-rote Deko ergänzt und immer wieder unten im Bild eingeblendet wird.
Der 1980 gegründete Sender tut gut an dieser Linie: Das Interesse der Amerikaner an diesem Wahlkampf ist enorm, die letzte Debatte der Demokraten war die meistgesehene, die je ein Nachrichtensender gezeigt hat. FOX News, der von Rupert Murdoch gegründete Konkurrenzkanal, ist quotenmäßig abgeschlagen, seit Amerika im Wahlfieber ist. Vor allem junge Wähler interessieren sich wieder stärker als bei den letzten Wahlen – vielleicht weil diesmal noch alles möglich erscheint. Von einer Doppelkandidatur Obama/Clinton bis zu einem überraschenden Antreten von New Yorks Bürgermeister Bloomberg. Auch als am Ende der Diskussionsrunde erste Ergebnisse aus West Virginia bekannt gegeben werden, die Mitt Romney in Führung sehen, sind sich alle einig: Das heißt noch gar nichts. Alles geht. Es wird eine lange Nacht.
Einige Stunden und mehrere Ergebnisrunden später moderiert Wolf Blitzer, der onkelige Anchor mit dem grauen Vollbart aus dem „Situation Room“. Im Weißen Haus ist der „Situation Room“ das Zimmer, in dem sich der Präsident mit seinen Generälen trifft, wenn es irgendwo auf der Welt so richtig Ärger gibt. Bei CNN ist es das modernste der zahlreichen Studios im 2004 eröffneten Neubau mit den über acht Meter hohen Decken und 80 000 Kilometern verlegten Kabeln. Blitzer steht vor einem riesigen Bildschirm auf dem immer neue Diagramme und Ergebnisse erscheinen: Barack Obama hat Illinois und Georgia geholt, Hillary Clinton Oklahoma und New Jersey. Bei den Republikanern scheint momentan John McCain das Rennen zu machen, er konnte seinen Konkurrenten in Illinois, Connecticut und New Jersey ausstechen, Mitt Romney holte dafür Utah und Massachusetts. Letzteres für die Experten, die so genannten „pundits“ nicht weiter überraschend, war er dort doch früher Gouverneur. Die Analysten sitzen teilweise weniger Meter entfernt von Blitzer im Studio, andere werden von außen zugeschaltet und befinden sich in den Hauptquartieren der Kandidaten, wieder andere sitzen in anderen Stockwerken des Gebäudes in „Flash Studios“- etwas größeren Wandschränken mit einer Kamera darin, und werden bei Bedarf zugeschaltet.
Die Macht darüber, welches von all diesen Gesichtern wann auf dem Bildschirm zu sehen ist, hat David Bohrman. Der Washingtoner Bürochef von CNN sitzt ausnahmsweise in New York und produziert dort vom Control Room aus die Sendung. Die schwarzen Locken kleben dem Schwergewicht ein wenig im Nacken, während seine Augen blitzschnell über die rund 30 Bilder tanzen, die verschiedene CNN-Kameras aus dem ganzen Land auf eine riesige Bildschirmwand vor ihm übertragen. Im Eiltempo wird hin und her geschaltet zwischen einer Dankesrede von Hillary Clinton zu einer Einschätzung von CNN-Korrespondent John King, dann wieder zurück ins Studio zu Wolf Blitzer. Produzent Bohrman will eine Grafik von der Entscheidung in New York haben, ruft er durch den mit Menschen und Getränkedosen überfüllten Raum, doch der Verantwortliche ruft – nachdem er sein Headset konsultiert hat –zurück, es gebe noch keine aussagekräftigen Zahlen. Es wird noch eine lange Nacht.
Im Newsroom, wo an endlosen Reihen von Monitoren Redakteure sitzen und Zahlen auswerten, Agenturmeldungen deuten und Fakten recherchieren, riecht es nach Essen. Ein Kameramann, der gerade Pause hat, schiebt sich eine Stange grünen Spargel in den Mund, hinter ihm werden dreißig riesige Pizzakartons zur Tür herein getragen. Es ist weniger laut, als man es bei so vielen Menschen, so vielen Informationen und so viel Hektik erwarten würde. Finger fliegen über Computertastaturen, Menschen hasten vorbei und finden trotz ihrer Eile ein freundliches „Hey, what’s shaking?“ für ihre Kollegen. Kräne werden geschwenkt, deren rasante Kamerafahrten die Räume im Fernsehen viel größer wirken lassen, als sie in Wirklichkeit sind.
Anderson Cooper, der zwischenzeitlich in Jeans und Kapuzenpulli durch die Gänge lief, hat sich wieder in seinen Anzug geworfen und moderiert nun mit Wolf Blitzer zusammen den weiteren Wahlabend. Hektisch klappt er in einer Werbepause das eine Notebook zu, ein anderes auf, wirft dazwischen einen Blick auf sein Blackberry. Dann hält er kurz inne, den Blick ins Nichts gerichtet und der Stimme aus dem Knopf in seinem Ohr lauschend, die ihm verrät, wie es nach der Werbeunterbrechung weitergeht. Könnte man die Masse an Informationen sichtbar machen, die hier in diesen Stunden durch die Luft schwirren, man würde vermutlich auf der Stelle blind werden. Doch genau das, das Sichtbarmachen der letzten Neuigkeiten, ist die Aufgabe der rund 600 CNN-Mitarbeiter am Standort New York. Denn schon wieder gibt es neue Ergebnisse: Hillary Clinton hat New York und Arkansas geholt und damit einigen Abstand zu ihrem Rivalen Obama gewonnen. Bei den Republikanern setzt sich John McCain mit Siegen in New York und Arizona weiter von Konkurrent Romney ab.
Kurz nach Mitternacht – nachdem sowohl Hillary Clinton als auch Barack Obama in ihren Reden zwar selbstbewusst aufgetreten sind, sich jedoch aufgrund der Pattsituation nicht als Sieger feiern können – schnallt sich schließlich CNN-Veteran Larry King die Hosenträger um und löst mit einer Sonderausgabe von „Larry King Live“ die bisherigen Moderatoren ab. Das Rennen in Kalifornien, aufgrund seiner vielen Einwohner einer der wichtigsten Staaten der Nacht, ist noch immer nicht entschieden. Zu knapp liegen sowohl Obama und Clinton als auch McCain und Romney beisammen. Es wird noch immer – eine lange Nacht.
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Text: Christoph Koch
Erschienen auf: jetzt.de
Fotos: CNN / Pio Roda
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