Zum Polarlichtbestaunen und Hundeschlittenfahren reist man am besten ins nordnorwegische Tromsö. Auch wenn da der Winter noch dunkler ist als bei uns.
Wenn einem gar nichts mehr einfällt, sagt man in Kneipengesprächen ja auch mal so Sachen wie: dass die Eskimos Sieben- oder Neunzehntausend Wörter für Schnee haben. Keiner weiß, ob es stimmt, aber jeder erzählt’s. Wenn es aber stimmt, müssen die Bewohner von Nordnorwegen mindestens genauso viele Wörter für „Dämmerung“ haben. Denn im Winter endet hier die Nacht erst gegen zehn Uhr vormittags: Die Dunkelheit weicht langsam und der Himmel verfärbt sich in den folgenden Stunden langsam zwischen dunkelblau, lila, rosa, türkis, jadegrün, mauve, kobaltblau und was es nicht noch alles für Farben des Zwielichts gibt.
Die Sonne schafft es dabei nie, über die umliegenden schneebedeckten Berge herauszuspitzen, man ahnt lediglich, wo sie hinter dem Horizont vorbeikriecht. Um drei Uhr nachmittags ist dann diese Maxiversion der „Blauen Stunde“ vorbei, und es wird wieder Nacht über Tromsö, der nördlichsten Universitätsstadt Europas, einer der letzten Bastionen der Zivilisation, bevor das ewige Eis beginnt.
Von hier sind mutige Männer wie Roald Amundsen mit ihren Expeditionen in Richtung Nordpol aufgebrochen und haben sich ein letztes Mal verproviantiert – danach gab es nur noch Eisbärsteaks. Wir fühlen uns auch mutig als wir uns auf den Weg zu unserer Hundeschlitten-Exkursion machen, stecken aber lediglich ein Käsesandwich ein, das wir in der Fußgängerzone mit wohl weltweit einzigartiger Fußbodenheizung in den Gehsteigen gekauft haben. Vorbei am Lyngs-Fjord fahren wir eine Stunde ins Hinterland, dort wartet auf einer Farm schon ein Dutzend jaulender Huskys auf uns. Wie besessen zerren sie an ihren Leinen, wollen endlich loslaufen, sich verausgaben, ihre Muskeln zum Glühen bringen. Kaum hat unser Tourguide den Anker seines Schlittens aus dem Schnee gerissen, schießt sein Gefährt auch schon vorwärts – und unser Schlitten hinterher. Über Stock und Stein, entlang zugefrorener Flussläufe und an kleinen Birkenwäldchen vorbei ziehen uns die hechelnden Hunde, deren Zungen wie kleine Fahnen seitlich aus ihren Schnauzen herausflattern. Als wir nach einer mehrstündigen Fahrt zwischen beeindruckenden Berggipfeln an einen traditionellen Sami-Zelt Rast machen und uns bei Lagerfeuer-Kaffee und heißem Elcheintopf aufwärmen, kühlen sich die Hunde ab, indem sie sich im Schnee wälzen, glücklich über die geleistete Anstrengung.
Am nächsten Tag machen wir uns nach Einbruch der Dunkelheit – was hier wie gesagt frühen bedeutet: kurz nach dem Mittagessen – auf die Suche nach dem Nordlicht. Die sogennante „Aurora Boeralis“ ist ein Naturphänomen, das entsteht, wenn Magnetkram von der Sonne auf die Erdatmosphäre trifft – die genaueren Hintergründe können wissbegierige Menschen in der Wikipedia nachlesen. Wir wissen nur, dass man das gespenstische Leuchten am besten in einer sternenklaren Nacht sehen kann, wenn man sich nahe, aber nicht zu nahe am Nordpol befindet. Tromsö hat, so sagen Aurora-Experten, die perfekte Entfernung. Unser Weg führt uns deshalb erneut zu einer Farm außerhalb der Stadt mit vielen Huskys, diesmal lassen wir uns jedoch nicht auf einem hölzernen Gestell Schlitten nieder, sondern in gemütlichen Sesseln, die mit Rentierfell ausgelegt sind. Es ist eine klare Nacht, die Sterne sind sichtbar, stehen also automatisch gut. Trotzdem tut sich zunächst nichts. Wir trösten uns mit über dem Feuer gegrillten Hot Dogs, Dosenbier und Schokokuchen.
Dann plötzlich, als wir schon nicht mehr daran glauben, zieht plötzlich ein grüner Schleier senkrecht das Firmament empor. Wie eine Flamme in Zeitlupe schlängelt es sich über den dunklen Himmel, pulsiert in unterschiedlichen Helligkeitsstufen. Wir halten ehrfürchtig den Atem an, als wäre die Erscheinung ein scheues Tier und würde bei einem lauten Geräusch wieder verschwinden. Dann doch ein ob so viel Schönheit beinahe ketzerischer Gedanke: Sieh an, die Natur hat also auch einen Bildschirmschoner.
Text & Fotos: Christoph Koch
Erschienen in: zitty