Kettenbriefe sind doch zu etwas gut: Wie drei UNEIGENNÜTZIGE MENSCHEN mit ihrem Newsletter Wohnungen vermitteln – und nebenbei Makler überflüssig machen wollen.
„the horror … the horror …«, dieses Zitat von Colonel Kurtz aus »Apocalypse Now« gilt nicht nur für den Vietnamkrieg, sondern nach wie vor auch für die Wohnungssuche in deutschen Großstädten. Zeitungsannoncen und Internetbörsen zeigen, dass die schönsten Objekte auf dem freien Markt in Maklerhand sind und Provisionen verlangt werden, bei denen einem schwindlig wird. Ein Satz, den Wohnungssuchende schnell hassen lernen: »Die besten Sachen gehen eh unter der Hand weg!« – natürlich sagen dies stets Freunde, die seit Jahren gemütlich in riesigen Altbauwohnungen mit mehreren Balkonen sitzen und keineswegs dran denken, diese in nächster Zeit »unter der Hand« weiterzugeben.
Aber was soll man tun, wenn der eigene Freundeskreis sesshaft geworden ist und man dadurch immer seltener von frei werdenden Wohnungen erfährt? Oder wenn man in eine Stadt zieht, in der man kaum jemanden kennt, auf dessen private Vermittlung man sich stützen kann? Immer häufiger hören Wohnungssuchende in solchen Fällen: »Ach, da gibt es doch so einen Mailverteiler. Den macht der Kumpel von einem ehemaligen Kollegen von mir, ich leite dir den mal weiter.«
Häufig stecken hinter diesen Mailverteilern, die es inzwischen in beinahe allen größeren deutschen Städten gibt, Freiberufler, Künstler oder Medienschaffende, die anfangs nur unmittelbaren Freunden behilflich sein wollten. »Ich habe immer mal wieder Anfragen von Freunden bekommen, die eine Wohnung suchten«, erinnert sich Philipp Brüning, 36, der in Hamburg Wohnungsangebote und -gesuche per Rundmail verschickt. »Durch meinen Job als Musikpromoter und DJ habe ich eh immer einen E-Mail-Verteiler gehabt und da habe ich einfach mal alle Hamburger in einen separaten Verteiler gepackt. Nach einer Weile bekam ich dann von wildfremden Menschen Mails, die von meinem Verteiler gehört hatten und wollten, dass ich ihr Wohnungsangebot rumschicke. So ist das nach und nach gewachsen und hat sich komplett verselbstständigt.«
Gemeinsam ist diesen Rundbriefen, dass sie meist ein- bis zweimal die Woche verschickt werden und kostenlos sind – ihre Macher engagieren sich also ehrenamtlich. Und auch wenn es sich zunächst nach nicht viel Arbeit anhört – die Wohnungstexte aus den verschiedenen Mails zusammenzukopieren, den Verteiler durch Neueinträge und Austragungen auf dem neuesten Stand zu halten, erfordert doch einen regelmäßigen Zeitaufwand. »Das mache ich so nebenbei, wenn ich sowieso am Computer sitze«, wiegelt Andreas Kräftner ab. Der 38-jährige Produktdesigner aus München verschickt seinen Newsletter »Wohnungsalarm! « inzwischen an über 1200 Adressen, Weiterleitungen nicht mitgerechnet. Jeden Tag kommen durchschnittlich drei neue Adressen hinzu. »Das hört sich jetzt so wohltätig an, aber es darf doch nicht an meinen drei Minuten scheitern, ob jemand eine Wohnung findet.«
Die Motivation ist eher eine ideelle: Freunden, aber auch völlig Unbekannten zu helfen, mit kleinem Aufwand vielleicht ein großes Problem zu lösen. Aber auch: dem normalen Mietmarkt ein Schnippchen zu schlagen. »Ich mache es, weil es Spaß macht zu vermitteln. Aber auch, weil ich Makler für unseriös halte und die so unterlaufen kann«, sagt Susanne Schmitt. Die 39-jährige freischaffende Künstlerin betreibt in Berlin seit sieben Jahren den »Blumen«-Verteiler, der aus einem ehemaligen Non-Profit-Projektraum in Berlin Mitte hervorging. Der Spirit der Gemeinsamkeit und des Persönlichen macht einen Großteil des Reizes der Newsletter aus. Denn im Gegensatz zu einer förmlichen Anzeige in der Zeitung hat man bei den Wohnungsmails immer noch das Gefühl, das WG-Zimmer oder das Fabrikloft von jemandem angeboten zu bekommen, den man um zwei Ecken kennt. Was oft genug auch stimmt: »Neulich war ich auf einer Party, und meine Begleitung fragte mich, wie das mit dem Wohnungsalarm inzwischen laufen würde«, erinnert sich Andreas Kräftner. »Plötzlich drehten sich zwei Leute neben uns um, die ich noch nie vorher gesehen hatte – und sagten: ›Ach, die Mails kommen immer von dir?‹«
Je größer die Verteiler jedoch werden, desto größer die Gefahr, dass dieses Gefühl der Nähe verloren geht, das einen denken lässt: »Ach, die WG ist bestimmt obernett, die kennen ja dieselben Leute wie ich.« Um dieses Flair nicht zu verlieren, hat Susanne Schmitt sogar einen kurzzeitigen Aufnahmestopp für den Blumen- Verteiler verhängt: »Ich möchte nicht, dass das Ganze zu groß und anonym wird. Denn es ist ja witzlos, wenn bald halb Berlin den Verteiler bekommt.« Das ist auch der Grund, warum keiner der drei »Mailmakler« möchte, dass seine Mailadresse abgedruckt wird. »Wer sich ein bisschen in seiner Stadt umhört, wird schon zu uns finden«, so der einheitliche Wunsch.
Ebenso einheitlich sind die Erfahrungen, wie der Newsletter ankommt. Ob aus Hamburg, Berlin oder München – überall bekommen die Macher erfreute Rückmeldungen und Danksagungen. Manchmal auch etwas mehr, wie zum Beispiel bei Susanne Schmitt, die für eine erfolgreiche Vermittlung schon mit einem Gratishaarschnitt oder einer Abendesseneinladung belohnt wurde. Negative Erfahrungen gab es bislang kaum. »Manchmal ärgere ich mich, wenn die Leute so fordernd auftreten, als sei ich ein Dienstleister«, räumt Susanne Schmitt ein. »Dabei verlange ich kein Honorar, ich will aufhören können, wann immer ich möchte, und niemandem etwas schuldig sein.«
Ihr Münchner Kollege hingegen musste einmal am eigenen Leib erfahren, wie akut die Wohnungsnot wirklich ist. Einmal vergaß er, aus einer Rundmail seine eigene Telefonnummer herauszulöschen, und die Interessenten für die Wohnungen riefen irrtümlich bei ihm an: »Plötzlich hatte ich ständig Leute am Telefon, die mir schworen, dass sie nicht rauchen und keinen Hund haben. Da habe ich erst gemerkt, wie es da rundgehen kann, wenn eine gute Wohnung angeboten wird.«
Pläne, den Mailverteiler auf andere Bereiche auszudehnen – und vielleicht in Zukunft auch Autos, Ferienreisen oder Flohmarktwaren anzubieten – hat keiner der drei. Gelegentlich nutzen sie ihr virtuelles Publikum jedoch, um Veranstaltungen aus dem Freundeskreis anzukündigen: »Ab und zu kommt es vor, dass ich den Verteiler ›missbrauche‹«, erzählt Philipp Brüning. »Aber ich passe auf, dass das möglichst selten passiert, zum Beispiel wenn Bekannte einen Lagerverkauf, eine Vernissage oder Ähnliches machen.« Der Hamburger ist derzeit selbst auf Wohnungssuche, möchte sich aber gemeinsam mit seiner Freundin eine Eigentumswohnung kaufen, und der Verteiler »hat sich bislang nur bei Mietwohnungen bewährt. Aber wenn ich fündig werde, kann ich bald meine eigene alte Wohnung über den Verteiler jagen. Das wird lustig.«
Text: Christoph Koch
Erschienen in: NEON
PS: Hinweis in eigener Sache – Nein, ich mache diese Newsletter nicht. Nein, ich kann Euch keine „Angebote für Wohnungen in Wuppertal“ oder „Mail mit Wohnungen hier bei mir in der Stadt“ schicken (selbst wenn: zu verraten, welches „Eure Stadt“ ist, wäre hilfreich). Nein, ich kann Euch die Mailadressen der Newsletter-Macher nicht ausnahmsweise verraten. Steht eigentlich alles oben im Text, aber wen den alle lesen würden, bekäme ich nicht jeden zweiten Tag solche Mails.