Eine Hotel-Entdeckung in Guatemala: das Hotel Atitlán, eine luxuriöse Unterkunft im Kolonialstil mit eigenem Hubschrauber-Landeplatz vor der Haustür. Unbezahlbar? Die Nacht kostet keine 100 Euro.
Zwei Glücksmomente folgen bei der Anreise nach Mittelamerika unmittelbar hintereinander: Der erste, als sich der laut Schriftsteller Aldous Huxley „schönste See der Welt“ vor uns auftut, die drei respekteinflößenden Vulkane Tolimán, Atitlán und San Pedro im Rücken. Der zweite, als wir unser Hotel unter unserer Serpentinenstraße erblicken: Ein Traum im spanischen Kolonial-Hacienda-Stil mit Hubschrauberlandeplatz, tiefblau schimmernden Pools und bunter Blütenpracht ringsum – bis hinunter zum Seeufer. Egal, ob vom Balkon, vom Pool oder vom Restaurant aus – dieses perfekte Panorama scheint einem überall hin zu folgen, so als ob einem der Dreiklang aus azurblauem See, harmonisch komponierten Bergrücken und strahlendem Himmel sagen wollte: „Du kannst mich auch noch weitere 200 mal fotografieren.“
Ausschlafen
Man merkt dem Pagen an, dass er diesen Moment genießt: Koffer auf die Ablage am Bett stellen, zwei lange Schritte zum Fenster machen und dann mit einem Ruck den Vorhang zur Seite ziehen. Der Ausblick macht die Gäste garantiert sprachlos und so beseelt, dass das Trinkgeld höher ausfällt als üblich. Die Zimmer haben fast alle Seeblick, einige auch einen Kamin. Wie in Guatemala üblich, sind sie im Kolonial-Stil eingerichtet. Die Wände leuchten in kräftigen Farben, genau wie der handgewebte Bettüberwurf auf dem schmiedeeisernen Himmelbett. Das passt gut zu den Bougainvilleen, die sich um den Balkon ranken und zu den dunklen Holzmöbeln. Das Bad ist groß, die Dusche offen. Alles sehr komfortabel. Nur eine Minibar fehlt. Dafür ist die Ruhe unvergleichlich. Geweckt wird man allenfalls von Vogelgezwitscher – über 250 Arten sind in den weitläufigen Gärten des Hotels heimisch. Unter den Gästen sind deshalb stets einige Vogelkundler zu finden, die mit Notizblock und Feldstecher bewaffnet auf Entdeckungsjagd gehen.
Diskretion
Die Drinks in der Bar mit offenem Kamin sind gut eingeschenkt. Auch das Essen ist fantastisch. Das Problem ist nur die Zeit, die man einrechnen muss, bis man beides serviert bekommt. Insgesamt tut sich die Belegschaft des Hotels mit den Wünschen der Gästen schwer. Allerdings gibt es dafür einen guten Grund: Guatemala wurde lange Jahre von einem Bürgerkrieg erschüttert und der bis zu dessen Beginn existierende Tourismus nahm ein jähes Ende. Das Land hat sich so gut es geht erholt, aber noch kommen zu wenige Reisende, um von einer Tourismusindustrie zu sprechen. Doch auch, wenn das Internet nicht funktioniert (oft) und man von der Außenwelt abgeschnitten ist, weil das Handy keinen Empfang hat (meistens), genießt man im Hotel Atitlán die Zeit. Eine Zeit der Stille, des Ausruhens, der Entspannung. Und holt sich, wenn’s mal wieder länger dauert, den Drink gern selbst an der Bar ab.
Auftanken
Das Hotel bietet in seinem Kunabal Kip Spa verschiedene Massagen und Schönheitsanwendungen, die Elemente der alten Mayakultur mit modernen westlichen Therapieformen verbinden. Am besten und einfachsten erholt man sich jedoch in der riesigen Parkanlage rund um das Hotel, die mit ihrer perfekt gepflegten Pflanzenvielfalt eher einem Botanischen Garten gleicht. Zwischen Bäumen mit krächzenden Papageien und Volieren mit Tucanen hindurch führen gepflasterte Pfade durch minutiös angelegte Beete und Büsche, Brunnen und Bänkchen. Und wer im randlosen Infinity-Whirlpool mit Blick auf den See und die drei Vulkanzacken nicht entspannen kann, der kann es vermutlich nirgends.
Kerzenschein
Das hoteleigene Restaurant hat von der Terrasse aus einen überwältigenden Seeblick. Man kann den Wolken, die sich jeden Nachmittag um die Vulkangipfel versammeln, beim Aperitif dabei zusehen, wie sie sich Abend für Abend wieder auflösen und Platz machen für einen phänomenal klaren Sternenhimmel. Neben der auch bei uns bekannten Guacamole und frischen Früchten wie Ananas, Papaya oder Melonen, die hier alle deutlich intensiver schmecken, lohnen sich vor allem Spezialitäten wie Ceviche (eine Fischvorspeise mariniert in Limettensaft) oder Accras (kleine frittierte Bällchen aus Kabeljau).
Raus aus den Federn
An der Rezeption – oder günstiger direkt am Strand von Panajachel – kann man unkompliziert ein Boot mieten, dessen Kapitän einen nach Lust und Laune über den 126 Quadratkilometer großen See schippert. Vom Wasser aus entfaltet das Panorama noch eine ganz andere Wirkung: Wenn man Glück hat, kann man im Vorbeifahren noch Zeuge einer Taufe werden, die die Evangelikalen hier am See häufig im halbtiefen Wasser durchführen und die halben Volksfesten ähneln. Besonders lohnenswerte Ziele auf der Bootstour sind die heißen Quellen, die den See unterirdisch speisen und ihn an drei Stellen, die jeder Bootsführer kennt, auf Badewannentemperatur anwärmen.
Ebenfalls auf dem Programm stehen sollte ein Zwischenstopp im Mayadorf Santiago Atitlán. Dort gibt es neben prächtigen traditionellen Gewändern und einem gemütlichen Handwerksmarkt auch einen skurrilen Heiligen zu bestaunen: Maximón, eine mit Tüchern behängte Holzfigur, die jedes Jahr im Haus einer anderen Familie zu Gast ist und dort mit Opfergaben beschenkt und mit Schnaps und Zigaretten gefüttert wird.
Fazit
Sie sagt: Es gibt Momente, die einem selbst nach kräftezehrenden 20 Stunden Flug in Erinnerung rufen, warum man reist. Wenn der Page zum ersten Mal die Vorhänge zurückzieht und damit den Blick auf den See freigibt, ist das so ein Moment. Einer, der sich ins Gedächtnis einbrennt und der einen noch Jahre später zurückversetzen kann zu diesem Tag. Das Auspacken ist vergessen und die Dusche kann warten: Ab ins Wasser! Und wenn sich dann doch keiner traut, in den vom Wind bewegten See zu springen, gibt es ja immer noch den warmen Whirlpool. Fragt sich nur, wer die erste Runde Margeritas holt.
Er sagt: Was Aldous Huxley schon 1934 über den Atitlán-See schrieb, gilt auch heute noch für sein bestes Hotel: „Es ist wirklich zu viel des Guten“. Man möchte nie wieder weg. Und noch ein Tipp für den abendlichen Spaziergang am Ufer: Erzählen Sie Ihrer Begleitung die Legende von Xocomil. So heißt der Wind, der über den Atitlán-See weht. Der Legende nach handelt es sich dabei um einen ruhelosen Maya-Prinzen und seine Prinzessin, die von zwei verfeindeten Stämmen abstammend dennoch ihre Liebe füreinander entdeckten und bei einem ihrer heimlichen Treffen auf dem See ertranken. Romeo und Julia wären zumindest auf die Kulisse neidisch gewesen.
Infos:
Hotel Atitlan
6 calle 6-38 zona 9 Local 6
Buenaventura, Panajachel, Guatemala
Telefon: +502 762-1416
www.hotelatitlan.com
Preise: 65 Zimmer und sechs Suiten ab 120 US-Dollar.
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Text: Jessica Braun & Christoph Koch
Erschienen auf: stern.de
Foto: Jessica Braun