Gossip Girl: Product Placement statt Werbeblock

Written by on 13/01/2009 in Süddeutsche with 3 Comments

„Gossip Girl“ ist nicht nur die beste TV-Serie seit langem – sie hat auch die Macht der Einschaltquoten gebrochen. Doch Geld verdienen muss sie trotzdem.

Schon bevor „Gossip Girl“, die Hochglanzfernsehserie über das Leben reicher New Yorker Teenager an einer exklusiven Privatschule, überhaupt ausgestrahlt wurde, war die Spannung größer als der Central Park. Handelte es sich doch nicht nur um die Verfilmung einer millionenfach verkauften Bestseller-Buchreihe, sondern auch um das neue Projekt von Josh Schwartz, dem Kopf hinter dem Quotenerfolg „O.C. California“. Doch als „Gossip Girl“im vergangenen Herbst startete, waren die Einschaltquoten katastrophal. Die meisten Folgen lockten durchschnittlich 2,5 Millionen Zuschauer vor den Fernseher – gerade mal die Hälfte von dem, was bei den meisten anderen Serien schon reicht, um den Stecker zu ziehen. Denn bisher interessierten sich die amerikanischen Senderchefs nur für eines: Stimmt die Quote? Jeden Herbst schicken sie aufs neue Dutzende von Shows ins Rennen, nur die wenigsten kommen jedoch über eine Pilotfolge oder eine halbe Staffel hinaus. Schnell wird der Saft abgedreht, die Kulissen weggeräumt. Bitte alle nach Hause gehen, nächste Woche produzieren wir hier eine neue, kostengünstige Quiz-Show.

Chuck Bass (rechts): Der stets farbenfroh gekleidete Schurke, der nur das eine will.

Am Ende der letzten Fernsehsaison stand „Gossip Girl“ auf Platz 150 von 161 Serien des Abendprogramms und war somit eigentlich ein sicherer Kandidat für die Abschussliste seines Senders „The CW“, eine Tochter von CBS und Warner. Niemand konnte sich erklären, warum die Quoten so schlecht waren – denn die Serie war nicht nur bei kreischenden Teenagern beliebt, sondern trotz ihrer vermeintlich seichten Thematik auch bei Kritikern und anderen Erwachsenen. Das New York Magazine pries die Serie, die 2009 bei ProSieben laufen soll, als „bestes Teenagerfernsehen aller Zeiten“ und lobte Modernität, Geschwindigkeit und Gesellschaftskritik. Und in der Tat: Wer einmal eingetaucht ist in den Kosmos aus Intrigen und It-Bags, in das Ringen um Popularität und den ersten Geschlechtsverkehr, in eine Serie, die New York als Stadt zelebriert wie seit „Sex and the City“ keine mehr – der wird schnell süchtig und wartet begierig auf die nächste Folge. Die nüchterne New York Times fragt: „Wie kann man eine Sendung im Programm haben, über die mehr gesprochen wir als über fast alle anderen – und trotzdem keine Einschaltquoten damit erzielen?“

TV-Veteran Leslie Moonves, Präsident von Muttersender CBS fasste seine Verwirrung in einem Interview wie folgt zusammen: „Ich hatte den Eindruck, dass die Zahl der Menschen, die mir persönlich erzählten, wie große Fans von ,Gossip Girl‘ sie seien, größer war als unsere offiziellen Zuschauerzahlen.“ Die Erklärung: Die Zuschauer waren und sind nach wie vor da, sie lassen sich nur nicht mehr so einfach messen – denn sie sehen sich nicht mehr die reguläre Fernsehausstrahlung an. „Gossip Girl“ beispielsweise landet seit Beginn der Ausstrahlung regelmäßig auf Platz Eins der meistgesehenen Serien des (amerikanischen) iTunes Store – wo man immerhin zwei Dollar pro Folge bezahlen muss. Dazu kommen Hunderttausende Zuschauer, die die Serie mit einer Woche Verspätung legal auf der CW-Webseite ansehen oder illegal aus einer der zahlreichen Tauschbörsen laden, wo sie wenige Minuten nach der Ausstrahlung weltweit erhältlich ist. Niemand weiß, wie groß genau der Anteil der Zuschauer ist, die nicht mehr brav Montagabend vor dem Fernseher sitzen – sondern sich die neuesten Limousinenabenteuer von Serena, Chuck, Blair und ihren schwerreichen Eltern am nächsten Tag auf dem Laptop, iPod oder Festplattenrekorder ansehen.

Blair Waldorf und Nate Archibald: Das Paar im Pool, das nicht sein darf.

Die Gründe für diesen Wandel sind vielfältig: Zum einen macht die Verbreitung von schnellen Breitband-DSL-Verbindungen Videostreaming durch ein ruckelfreies Bild und gute Auflösung erst erträglich. Dazu kommt, dass der Drehbuchautorenstreik in den USA dafür sorgte, dass monatelang kein neuer Stoff über die Fernseher flimmerte – und sich eine große Anzahl von Menschen im Internet nach Alternativen zum Mainstreamprogram der großen Sender umsahen. Eine Sendung wie „Gossip Girl“ ist von dem Wandel besonders betroffen, da ihre junge Zielgruppe zwar nicht mehr genügend Aufmerksamkeitsspanne für eine kompletten Spielfilm hat, dafür aber in der digitalen Welt zwischen Videostream und Download-Link, BitTorrent und Rapidshare absolut zu Hause ist. Das ist nicht verwunderlich, denn streng genommen ist „Gossip Girl“ keine Serie über schöne reiche Menschen. Sondern eine Serie über ein Blog über schöne, reiche Menschen. Mit den virtuellen Küssen „XOXO“ beschließt die anonyme Verfasserin des Blogs jeden ihrer Einträge über die Irrungen und Wirrungen in der Upper East Side. Wie ein griechischer Chor kommentiert die Bloggerin zu Beginn und Ende jeder Folge fremdgehende Schüler, koksende Eltern, verständnisvolle Hausmädchen, magersüchtige Rivalinnen und gestohlene Abendkleider. Kein Wunder, dass bei einer Serie, in der das Internet so selbstverständlich vorkommt wie bei „Gossip Girl“, die Fangemeinde sich auch genau dort versammelt.

Ganz glücklich mit der freien neuen Online-Welt sind die Verantwortlichen jedoch auch beim Sender „The CW“ nicht: Die Möglichkeit, neue Folgen von „Gossip Girl“ eine Woche nach der Ausstrahlung kostenlos auf der Senderwebseite anzusehen, wurde unter großem Protest der Anhängerschaft gestrichen. Der Plan, die Zuschauer somit wieder vor den Fernseher zu zwingen ging jedoch trotzdem nicht auf: Die Fernsehquoten blieben weitestgehend gleich. Senderchefin Dawn Ostroff sieht inzwischen ein: „Unser junges Publikum weiß inzwischen, wie es seine Inhalte auf unterschiedlichen Wegen bekommen kann – und es ist an uns herauszubekommen, wie wir diese messen können.“ Der Sender arbeite darum verstärkt mit dem amerikanischen Anbieter Nielsen Ratings zusammen, der die Einschaltquote in den USA misst. In einer Presseerklärung gab die Firma wiederum bekannt, dass obwohl die Zuschauer immer schwieriger zu essen seien, ihre Quoten nach wie vor „ein angemessenes Bild davon abgeben, was junge Menschen ansehen“. Trotzdem arbeite man eng mit „The CW“ und anderen Kunden zusammen, um die Messverfahren weiter zu verbessern.

Dan Humphrey und Serena van der Woodson: Helden der Serie – oder zu gut, um interessant zu sein?

Denn „Gossip Girl“ ist bei weitem nicht die einzige Serie, deren Publikum ins Internet abwandert. Auch die Insel-Gruselei „Lost“, die Superhelden-Saga „Heroes“ oder die Büro-Satire „The Office“ sind große Online-Erfolge – haben allerdings gleichzeitig das Glück, genügend reguläre Zuschauer vorweisen zu können. NBC, der Sender hinter „Heroes“ und „The Office“ versucht laut Berichten der New York Times gerade, eine Gesamtquote für all die verschiedenen Übertragungswege auszuweisen. Unter dem Kürzel TAMi für „Total Audience Measure index“ wurden schon bei den Olympischen Spielen Zuschauerzahlen getrennt nach Fernsehen, Internet und Handys gelistet; nun sollen Werbekunden und Medien regelmäßig die aufgefächterten Zahlen erhalten. Diese sind vielleicht noch nicht völlig hieb- und stichfest – denn sie stammen vom Sender selbst und lassen gleichzeitig alle illegalen Downloads außen vor – aber dennoch bereits sehr aufschlussreich: So wurde beispielsweise die „Heroes“-Folge vom 29. September von 12,8 Millionen Zuschauern im Fernsehen verfolgt. Durch Onlinestreams kamen je nach Zählweise weitere zwei bis vier Millionen Zuschauer dazu – also rund ein Viertel, das bisher nirgends gemessen wurde. Bezahlte Downloads via iTunes, Video-on-demand oder Mobiltelefone brachten mit insgesamt 50 000 Zuschauern eher wenig Zuwachs. Bei „The Office“ sind die Zahlen ähnlich: 15,4 Millionen Fernsehzuschauern stehen hier 4 bis 6,9 Millionen legale Internetabrufe gegenüber. (Die Unschärfe bei den Onlinezahlen kommt daher, dass wohl manche Seiten eine Episode in mehrere Streams aufteilen, die damit mehrfach gezählt werden.)

„It’s not just the ratings anymore – Es geht nicht mehr nur um die Quote“, so lautet der Titel einer Studie von Brad Adgate, der als Analyst für Horizon Media arbeitet und darin ebenfalls erkennt: Senderchefs verlassen sich nicht mehr nur auf die Zahlen von Nielsen, sondern beurteilen eine Serie auch nach ihren Internetabrufen, DVD-Verkäufen und so weiter. Und Ben Silverman, Manager des Senders NBC Universal erklärte bereits im letzten Sommer kanllhart: „Uns geht es um Gewinnspannen, nicht um Einschaltquoten.“ Doch wo – abgesehen von Einsparungen durch immer billiger produzierte Reality-Shows – sollen die Gewinnspannen herkommen, wenn die Einschaltquoten und damit die Werbeerlöse wegbrechen? Die Verkäufe von DVD-Sets, die anfangs noch als Retter der Fernsehbranche galten, lassen auf breiter Front nach und die Einnahmen durch Verkäufe einzelner Episoden über iTunes oder Amazon sind noch nicht der Rede wert. Zumindest für „Gossip Girl“ lautet die Antwort: Product Placement oder altdeutsch „Schleichwerbung“. So verwenden beispielsweise alle Charaktere Telefone und Organizer des Mobilfunkanbieters Verizon, eine komplette Episode drehte sich um eine Party des Getränks „Vitamin Water“, eine andere um den Dessoushersteller „Victoria’s Secret“, und wenn Protagonistin Serena ihre Rivalin Vanessa demütigen will, dann natürlich nur bei einer ausgiebigen Partie des gut erkennbaren Playstation-Spiels „Guitar Hero“. Ob die Einnahmen daraus jedoch die fehlenden Werbemillionen wettmachen können, scheint mehr als fraglich. Für einen Sender wie „The CW“ – der mit einem Altersschnitt von 33 verglichen ein rund 20 Jahre jüngeres Publikum bedient als die Konkurrenz – könnte die Erfassung der Online-Seherschaft somit Wohl oder Wehe bedeuten. Es steht also einiges auf dem Spiel – für die Mannschaft von „Gossip Girl“, aber auch für den gesamten Sender inklusive seiner Frontfrau Dawn Ostroff. Ob es da Zufall ist, dass das Ostroff Center in der Serie – „eine Rehaklinik für Geisteskranke“ (O-Ton Serienschurke Chuck Bass) – nach der Senderchefin benannt ist?

Text: Christoph Koch
Gekürzte Version erschienen in: Süddeutsche Zeitung
Fotos: Sender

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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3 Reader Comments

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  1. martin major sagt:

    sehr interessant ist es übrigens, sich die credits der serie durchzulesen. schwartz ist bei mir nun wirklich nicht gut angeschrieben ob o.c. (dem dawsons creek für california), aber tony wharmby (regie) dafür umso mehr. wharmby hat für akte x zb eine überragende episode gedreht (via negativa, season 8). penn badgley und chace crawford als eye-candy kamen scheinbar bei den weiblichen kreischenden teenies nicht gut genug an? badgley zumindest kann man scheinbar schauspielerisches talent attestieren, wenn man sich ihn in einer outer limits episode mit forrest whittaker ansieht. wenn man aber vom besten teenie-fernsehen aller zeiten spricht, hat man wohl die rechnung ohne bbc und channel 4 gemacht (skins). scheinbar ist sogar abc family mit kyle xy erfolgreicher, welches immerhin schon in die dritte staffel geht. und auch auf einem konzept zweier hochbegabter hollywood-autoren basiert, nämlich eric bress und j. mackye gruber, die schon mit buch und regie von butterfly effect überraschenderweise überzeugen konnten, und deren drehbuch zu final destination spannender und packender war als wongs und morgans erster teil. was also macht abc mit kyle xy richtig? an den besonders attraktiven darstellern kann es nicht liegen, denn bis auf matt dallas trifft diese zugegebenermaßen sehr subjektive beschreibung auf keinen darsteller zu. liegts an der sendezeit? am music supervisor (hoffentlich nicht)?

  2. sven sagt:

    Sehr schöner Artikel der von vielen Bekannten mit Begeisterung gelesen wurde.
    Danke.

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