Gesetze macht das Parlament – und Babys bringt der Klapperstorch. Die Politik entmachtet sich selbst, lässt LOBBYISTEN ihre Gesetzentwürfe schreiben – und Abgeordnete sind oft nur noch dazu da, die Entwürfe durchzuwinken. Ist das noch Demokratie?
Plötzlich lag es einfach da: ein Thesenpapier, ohne Briefkopf, ohne Absender, aber in manchen Passagen aufs Komma identisch mit den
Positionen des Zigarettenverbandes VdC. »Bis heute«, sagt Lothar Binding über seine Tasse Instantkaffee hinweg, »weiß ich nicht, wer das damals eingeschleust hat.« Das war im September 2006, bis dahin war Lothar Binding, 58, einfach ein SPD-Abgeordneter aus Heidelberg. Dann berief er eine achtköpfige parlamentarische Arbeitsgruppe ein, wollte Konzepte für ein bundesweites Rauchverbot ausarbeiten. Und wurde bekannt als der Mann, der es wagte, sich mit der übermächtigen Tabaklobby anzulegen. »Wie weit deren Vernetzung reicht«, sagt er, »wurde mir in jener ersten Sitzung unserer Arbeitsgruppe besonders deutlich.« Irgendjemand aus der achtköpfigen Runde musste das Papier ausgelegt haben, aber niemand wollte es gewesen sein – auch der VdC bestritt dahinterzustecken. »Derlei schamlose Manipulationsversuche sind eher die Ausnahme«, sagt Binding. In der Regel versuchen Lobbyisten mit subtileren Methoden, Einfluss zu nehmen: Pro Abend erhält der Abgeordnete bis zu fünf Einladungen zu parlamentarischen Abenden, Fachvorträgen, Dinner mit Diskussionsrunde.
Zum »Energiefrühstück«, zum »Bankenbrunch «, zum Mittagessen mit der Handelskammer. »Manche der Informationen, die man dort bekommt«, sagt Binding »sind durchaus objektiv, fachkundig und wichtig für die eigene Arbeit.« Ohne die »Hilfe« von Interessenvertretern ist der politische Betrieb offenbar kaum noch denkbar: Mitunter sind die Abgeordneten die Letzten, die einen Gesetzentwurf zu sehen bekommen und mitunter wie im Blindflug darüber abstimmen – nachdem Beamte in den Ministerien ihn, oft schon in Abstimmung mit Lobbyisten, erarbeitet haben. »Ein Abgeordneter kommt kaum hinterher, alles zu lesen, was wichtig wäre«, räumt Binding ein.
Draußen auf dem Flur trötet die Sirene los, die an eine anstehende Abstimmung erinnert. »Studien, Gutachten, Urteile, Folgenabschätzungen: Da gibt es stets jemanden, der scheinbar unaufdringlich seine Hilfe anbietet«, sagt Lothar Binding. »Und dieses Heer von freundlichen Helfern ist immer für uns da. Egal, ob morgens um halb acht oder spätnachts.« Die klassische Lobbyistin Dieses Heer von freundlichen Helfern – was sind das für Leute? Beim Bundestag sind mittlerweile 2038 Verbände registriert, die alle angehört werden wollen, wenn ihre Interessen berührt werden. Von A wie »Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin« bis Z wie »Zentralverband Naturdarm«. Auch Umweltorganisationen, Gewerkschaften, Sozialverbände sind darunter: »Zu jedem Lobbyisten gibt es mindestens einen Gegenlobbyisten«, sagt Lothar Binding. Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit: Je mehr Kapital ein Interessenverband repräsentiert, mit je mehr Arbeitsplatzverlusten er drohen kann, desto größer sein Einfluss. »Gemessen am Werbe etat eines Weltkonzerns «, schreibt der Soziologe Dietmar Jazbinsek, »ist jeder Akteur der Zivilgesellschaft ein Schwächling.« In einem Eckbüro am Berliner Hausvogteiplatz – das kleine Büro von Lothar Binding würde hier fast viermal hineinpassen – sitzt Cornelia Yzer: blond, blaue Augen, Brille. Die 47-Jährige war früher Abgeordnete und Staatssekretärin, die Bild-Zeitung nannte sie »das schönste Gesicht der Regierung Kohl«. Seit 1997 ist sie Hauptgeschäftsführerin des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) und wird mal als »ranghöchste Pharmalobbyistin « bezeichnet, mal gar als »die mächtigste Frau im deutschen Gesundheitswesen«.
Von ihrem Schreibtisch aus vertritt sie die Interessen von 47 weltweit agierenden Pharmaunternehmen, die in Deutschland für rund zwei Drittel des Arzneimittelmarktes und rund 95 000 Mitarbeiter verantwortlich sind. »Unsere Expertise wird gebraucht«, sagt Yzer, »denn die Abgeordneten sind personell schlecht ausgestattet. Interessenvertretung ist eine Möglichkeit, Daten und Fakten in die politische Debatte zu bringen.« Yzer plädiert selbst für Transparenz, für ein verpflichtendes Lobbyregister. Bisher ist der Eintrag in die Liste des Bundestags freiwillig – und Verbandsvertreter wie sie sind mittlerweile so etwas wie die Dinosaurier der Szene: Immer häufiger wird Lobbying auch von scheinbar unabhängigen Anwaltskanzleien, Agenturen und Consultants betrieben. »Wir brauchen klare, pragmatische Regelungen«, fordert sie. Etwa eine »legislative Fußspur, in der nach jeder Gesetzgebung gelistet wird, wer konsultiert worden ist, wer welche Positionen eingebracht hat und so weiter.« Die Leihbeamtin Mehr Transparenz, weniger Lobby-Chaos: Das forderte auch Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) im Jahr 2005. Lobbyisten, wetterte sie, dürften bis auf weiteres »keinen Fuß mehr in die Tür setzen«.
Eineinhalb Jahre später setzte eine Frau namens Sophia Schlette ihren Fuß in die Tür. Bekam einen Schreibtisch im Ministerium – als Leihbeamtin. Schrieb Teile von Reden für Ulla Schmidt, begleitete sie auf Dienstreisen. Im Hauptberuf leitet sie das »Internationale Netzwerk Gesundheitspolitik« in der Ber telsmann Stiftung, der größten politischen Stiftung Deutschlands. Der Medienkonzern Bertelsmann, zu dem über den Verlag Gruner+Jahr auch NEON gehört, verschiebt einen Großteil seines Aktienkapitals in die Stiftung – und die bringt sich auf höchster Ebene in die Bundespolitik ein. Experten der Stiftung haben die Hartz-IV-Gesetze mit erdacht, Hochschulreformen vorbereitet; schreiben Gutachten pro Privatisierungen und »schlanker Staat«. Manche Kritiker bezeichnen sie bereits als »Nebenregierung in Gütersloh«.
Sophia Schlette war nur eine von Dutzenden »Leihbeamten« aus der Wirtschaft, wie sie bis heute in den Bundesministerien sitzen: Von der Öffentlichkeit unbemerkt, setzte die rotgrüne Regierung 2004 ein »Personalaustauschprogramm öffentliche Hand – Privatwirtschaft« in Kraft. Ersonnen hatte es Innenminister Schily zusammen mit dem Personalvorstand der Deutschen Bank. Motto: »Moderner Staat – moderne Verwaltung«.
Was das bedeutet, beschreiben die »Monitor«- Reporter Sascha Adamek und Kim Otto in ihrem Buch »Der gekaufte Staat«: Rund 300 Vertreter von Konzernen und Lobbyverbänden waren allein zwischen 2004 und 2006 in den verschiedenen Bundesministerien tätig, hatten eigene Schreibtische, schrieben an Gesetzesvorlagen mit, repräsentierten mitunter sogar die Bundesregierung auf Veranstaltungen.
Eine Juristin eines Investmentverbandes etwa saß im Finanzministerium – und formulierte ein Gesetz mit, das Hedgefonds, bis dato auf dem deutschen Markt verboten, legalisierte: jene Hedgefonds, die der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering später als »Heuschrecken« beschimpfte. Und die mit ihren ungezügelten Spekulationen die derzeitige Finanzkrise mitverursacht haben.
Die Schlussfolgerung der beiden »Monitor«- Reporter: »Lobbyismus war gestern. Die deutsche Politik ist längst unterwandert.« Sophia Schlette selbst kann an ihrem Gastspiel als »Leihbeamtin« nichts Anrüchiges finden: An der Gesetzgebung habe sie nicht direkt mitgewirkt. Zudem sei die Bertelsmann- Stiftung »keine Lobbyorganisation«, sondern »als gemeinnützige Einrichtung dem Gemeinwohl verpflichtet.« Hinter der Kritik sieht sie vielmehr ein Mentalitätsproblem: »Unsere Debattenkultur in Deutschland ist nicht so hoch entwickelt wie in anderen Ländern, leider. Aber vielleicht können wir das ja ändern.« Der Seitenwechsler Die Debattenkultur ändern – auch für Wolfgang Clement ein Herzensanliegen: Der ehemalige SPD-Bundeswirtschaftsminister gefällt sich in seiner Rolle als Querkopf; als einer, der sich das Maul nicht verbieten lässt. Während des Hessen-Wahlkampfes rief er öffentlich dazu auf, seine eigene Partei nicht zu wählen – wegen der windkraft- und solarfreundlichen Energiepolitik des Landesverbandes.
Als Minister hatte Clement gegenüber dem grünen Koalitionspartner für eine industriefreundliche Gestaltung des Emissionshandels gekämpft. Nach seiner Amtszeit wurde er Aufsichtsratsmitglied beim Kohle- und Atomkraftwerksbetreiber RWE Power. Die Organisation »LobbyControl« zählt auf: Zwölf Mitglieder der ehemaligen Schröder-Fischer- Regierung haben nach der Amtszeit in Lobbytätigkeiten gewechselt – allen voran Exkanzler Schröder, der in seiner Amtszeit den Weg für eine Ostsee-Gas-Pipeline freigemacht hatte und anschließend in den Aufsichtsrat der russischen Betreiberfirma Gazprom wechselte. »Finanzstarke Wirtschaftsakteure«, so die Kritiker, »kaufen sich mit lukrativen Angeboten für ehemalige Politiker und ranghohe Beamte politische Kontakte und Insiderwissen, die ihnen einen Vorteil gegenüber anderen gesellschaftlichen Interessen verschaffen.« Was sagt Clement selbst dazu? Gegenüber NEON lässt er ausrichten, er stehe »für kein Interview zur Verfügung« – auch nicht für eine Stellungnahme per E-Mail.
Offener gibt sich Hildegard Müller, enge Vertraute von Bundeskanzlerin Merkel: Vor kurzem hat sie ihr Amt als Staatssekretärin aufgegeben und ist Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft geworden. »Wirtschaft muss verstehen, wie Politik arbeitet«, erklärt Müller gegenüber NEON, und »Politik muss verstehen, wie Wirtschaft arbeitet.« Deutschland brauche »mehr solche Wechselbiografien«.
Den Vorwurf, sie könnte ihr Insiderwissen und den engen Kontakt zur Kanzlerin nutzen, um ihrem neuen Arbeitgeber Vorteile zu verschaffen, lässt sie nicht gelten: »Wer glaubt, dass sich Frau Merkel manipulieren lässt, der kennt die Bundeskanzlerin nicht.« Der Professor »Gymnasivm Academicvm« steht in schmiedeeisernen Buchstaben über der Eingangstür; eine knarrende Holztreppe führt ins Büro von Bernd Raffelhüschen, Professor für Finanzwissenschaft an der Uni Freiburg: blonde Locken, Sweatshirt, jungenhaftes Lächeln. Auf seiner Fakultäts-Website steht: »Die Sozialkassen sind eine tickende Zeitbombe, deren Risiken bei weitem unterschätzt werden.« Ohne »tief greifende Reformen« würden die Beiträge »in dreißig Jahren knapp zwei Drittel des Einkommens verschlingen«. »Das Rentensystem«, sagt Raffelhüschen, in die Sofaecke zurückgelehnt, »haben wir mit den jüngsten Reformen zukunftsfest gemacht. Jetzt brauchen wir das Gleiche für die Pflegeversicherung: Von Vollkasko zur Basisversorgung. « Dafür soll jeder Einzelne mehr privat vorsorgen.
Unter »Medienpräsenz« sind auf Raffelhüschens Website Dutzende Auftritte in Printmedien und Fernsehsendern aufgeführt. Fast immer wurde Bernd Raffelhüschen dabei vorgestellt als »Volkswirtschaftsprofessor«; als »Sozialexperte«, als »einer der profiliertesten Rentenexperten Deutschlands«. Praktisch nie wurde er vorgestellt als: Bernd Raffelhüschen, Professor für Volkswirtschaftslehre, daneben Mitglied im Aufsichtsrat der ERGO-Gruppe, Deutschlands zweitgrößtem Versicherungskonzern. Marken wie Victoria, Hamburg-Mannheimer, DKV gehören dazu. Alles Unternehmen, denen die Umschichtung der Sozialbeiträge in private Vorsorge beträchtliche Umsatzzuwächse beschert.
Daneben ist Raffelhüschen auch Vorstand der »Stiftung Marktwirtschaft« und »Botschafter« der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft«, einer Lobbyorganisation des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, die mit jährlich mehr als acht Millionen Euro darauf hinarbeitet, das Volk von der Notwendigkeit wirtschaftsliberaler Reformen zu überzeugen.
Kann man ihn also als »unabhängigen Experten « bezeichnen? Raffelhüschen verzieht den Mund zu einem spöttischen Lächeln. »Ich vertrete Überzeugungen, die ich schon seit Jahren vertreten habe. Und einen Aufsichtsrats posten haben seit jeher viele Professoren – schauen Sie sich große Chemie- oder Maschinenbau-Unternehmen an: Da sitzen überall Kollegen aus den verschiedensten Fachrichtungen. Und sie verrichten ihren Job oft besser als die entsprechenden politisch bestimmten Aufsichtsräte.« In der Tat, ungewöhnlich ist Raffelhüschens Mehrfachengagement nicht. Der »Wirtschaftsweise « Bert Rürup hat zum 1. Dezember einen neuen Posten angetreten: Als Chefvolkswirt des Finanzdienstleiters AWD – der unter anderem staatlich subventionierte private Rentenversicherungen anbietet. Eine davon, 2005 von der rot-grünen Bundesregierung auf den Weg gebracht, ist nach dem damals federführenden Sachverständigen benannt: die »Rürup-Rente«.
Die »Bürger«-Initiative Ein Wirtshaus in Obing, Landkreis Traunstein, Oberbayern. Zwischen Kruzifix und Weißbiergläsern tagt eine neue Bürgerinitiative: Die Einwohner klagen über Lärm und Abgase, wünschen sich eine Umgehungsstraße. Als Gastredner angereist ist Klaus Wild, ehemaliger PR-Berater, heute Vorstandsmitglied der Gesellschaft zur Förderung umweltgerechter Straßen- und Verkehrsplanung (GSV). »Wir unterstützen bundesweit Bürgerinitiativen «, erklärt er und fährt sich mit der Hand über die verschwitzte Stirn, »wir helfen ihnen bei der Organisation ihres Protestes.« Warum? »Aus rein ideellen Gründen.« Und wie finanziert sich die GSV? »Wir haben Mitglieder, und es gibt da einen Förderverein, dort kann jeder spenden, der möchte.« Jeder? »Ja, auch die Straßenbauindustrie unterstützt uns, aber nur mit ein paar hundert Euro im Monat – das ist doch unerheblich«.
Auf der Website finden sich keinerlei Belege, in welcher Höhe und von wem die GSV Spenden erhält. Die Mitgliederzeitschrift »Verkehr + Umwelt « ist voller einschlägiger Anzeigen, etwa von der »Gütegemeinschaft Verkehrsflächen aus Beton«. Ulrich Müller von LobbyControl sagt: »Die GSV wird nach unseren Erkenntnissen mit großen Geldern von der Asphalt-, Bauund Autoindustrie unterstützt.« Schon 2003 berichtete der »Spiegel«, dass die scheinbar gemeinnützige GSV über eine Fördergemeinschaft aus Bau- und Autoindustrie finanziert werde. »Astroturf« (»Kunstrasen«) nennen Kritiker diese Methode; das Plagiat einer »Graswurzel«-Bewegung. Ein anderes Beispiel: die Initiative »Bürger für Technik«, die laut »Zeit«-Recherchen eine »Tarnorganisation der Atomlobby« ist; ebenso der »Bundesverband Landschaftsschutz«, der lokale Antiwindkraftinitiativen unterstützte – und laut Greenpeace enge Verbindungen zum Energiekonzern RWE hielt.
Noch sträubt sich die Obinger Bürgerinitiative dagegen, Mitglied der GSV zu werden – wegen deren undurchsichtiger Finanzierung und Kontakte in die Baubranche. Doch die Bezeichnung »Scheinorganisation« will sich Klaus Wild nicht gefallen lassen. »Man muss es mal von dieser Seite betrachten«, erklärt er: »Vielleicht hat ja beispielsweise eine Baufirma, die uns finanziell unterstützt, ihren Firmensitz neben einer sehr befahrenen Straße und wünscht sich deshalb eine Ortsumgehung.« Die Public-Affairs-Beraterin Die Straße im Zentrum von Brüssel führt auf den Rumpf eines altes Bahnhofsgebäudes zu; links und rechts zweigen gläserne Gänge ab: das Europäische Parlament. Ein Mekka für Lobbyisten; schätzungsweise mehr als 15 000 sind es mittlerweile.
Ein renoviertes Jugendstilhaus mit hohen Decken und Stuck: Hier hat Saskia Horsch ihr Büro. Die deutsche Juristin arbeitet für Interel Cabinet Stewart, eine der größten Brüsseler »Public Affairs«-Agenturen. Was bedeutet »Public Affairs«? Auf der Website heißt es, man habe »das Wissen, die Kontakte, die technischen Fertigkeiten und die Einblicke, die nötig sind, um unseren Kunden den größtmöglichen Einfluss auf den gesetzgeberischen Prozess zu geben.« »Gerade in Deutschland«, sagt Horsch, »gibt es ja noch viele Vorurteile gegenüber Lobbyismus.
Die Leute denken, da trifft sich ein Konzernvertreter mit einem Abgeordneten zum Essen und schiebt diskret ein Geldkuvert über den Tisch. So funktioniert es natürlich nicht.« Wie funktioniert es dann? »Zum Beispiel über Gutachten, Workshops, Gesprächsrunden mit Politikern.« Oder auch mit ausgeklügelteren Methoden: Saskia Horschs Vorgesetzte, Catherine Stewart, bekam 2007 den dritten Preis für das »schlimmste Lobbying«, den vier Nichtregierungsorganisationen gemeinsam verleihen. Der Vorwurf: Die Agentur habe in Brüssel, gewissermaßen als Briefkastenorganisation, einen Ableger eines US-Thinktanks betrieben und Workshops veranstaltet, in denen das Kyoto- Protokoll als Maßnahme für den Klimaschutz in Frage gestellt wurde. Später kam heraus, dass die Kampagnen vom Ölkonzern ExxonMobil mitfinanziert worden waren.
Catherine Stewart hält dem entgegen, ihr Unternehmen habe »offen und professionell« und »in keinem Fall irreführend« gehandelt. Auf ihrer Website schreibt sie zudem, wie wichtig es sei, »die öffentliche Wahrnehmung von Public Affairs und Lobbying zu verändern.« Der Anwalt Im Berliner Büro von Hogan&Hartson, einer der weltgrößten Anwaltskanzleien, sitzt der Jurist Kornelius Kleinlein. »Das Berufsbild des Anwalts«, erklärt er, »erweitert sich zur Zeit sehr.« Ein Paradebeispiel brachte das Frühjahr 2005. Die SPD-Fraktion wollte den Weg frei machen für »Öffentlich-Private Partnerschaften«, wie sie in anderen EU-Ländern längst üblich waren: Gemeinden verkaufen Schulen, Straßen und Rathäuser an private Eigentümer, um Unterhaltungskosten zu sparen. Die SPDler wussten allerdings nicht, wie sie das Gesetz gestalten sollten. Sie luden einen hochkarätigen Anwalt ein: Kornelius Kleinlein. Er half ihnen beim Verfassen eines Entwurfs für das Gesetz, das dann ungewöhnlich schnell in Kraft trat. »Die Zahl der Normen und ihre Komplexität nimmt ständig zu«, sagt Kleinlein. »Für Ministerien und Abgeordnete wird es dementsprechend immer schwieriger, die Rechtsmaterie innerhalb ihrer Strukturen zu bewältigen.« Deshalb werden immer öfter große Anwaltskanzleien in den Gesetzgebungsprozess einbezogen.
Eine Unterwanderung demokratischer Prozesse? »Wir selbst machen keine Gesetze«, erwidert Kleinlein, »wir liefern nur Rechtsberatung. Entscheidungen treffen und dabei für Interessenausgleich sorgen: Das ist Aufgabe der Politik. Wünschenswert wäre aber mehr Transparenz.« Das Europäische Parlament hat im Mai beschlossen, Rechtsberatung durch Anwälte von einem geplanten Lobbyistenregister auszunehmen. Laut LobbyControl ein »Einfallstor für verdeckte Einfluss nahme«.
Doch warum verdeckt Einfluss nehmen, wo die Politik von sich aus das Tor weit aufstößt: Auch das 500 Milliarden Euro schwere Rettungspaket für die deutschen Banken hat die Bundesregierung selbstverständlich nicht ohne externen Sachverstand auf den Weg gebracht. An dem Eilgesetz schrieben mit: die Präsidenten von Bundesbank, Deutscher Bank, Commerzbank und dem Bundesverband deutscher Banken.
Text: Christoph Koch, Tobias Zick, Heike Kottmann
Erschienen in: NEON