„Ein wahres Wundermittel“: Kathrin Passig kommt mit Ritalin gut klar

Written by on 06/04/2009 in Neon with 4 Comments

Die Bachmann-Preisträgerin KATHRIN PASSIG (»Zentrale Intelligenz Agentur«) ist eine passionierte Ritalin-Konsumentin.

Wie lange nimmst du schon Ritalin?

Ich bekomme wegen meiner Narkolepsie seit etwa acht Jahren Ritalin verschrieben. Wenn ich Auto fahren muss, nehme ich zehn Milligramm, wenn ich dringend arbeiten muss, alle vier Stunden fünf Milligramm, also eine halbe Tablette. Nur bei sehr, sehr langweiligen Vorträgen müssen es manchmal zwanzig Milligramm sein. Ohne Ritalin kann ich weder Vorträge anhören noch Auto fahren, ich schlafe dann spätestens nach zehn Minuten ein.

Arbeitet manchmal schon, auch wenn sie eigentlich noch trödeln wollte: Kathrin Passig

Inwieweit hilft es dir beim Arbeiten?

Ich kann auch ohne Ritalin sehr gut arbeiten, aber nur, wenn die Arbeit komplett selbst gewählt ist – und das heißt meistens unbezahlt. Sobald ich eine bestimmte Sache machen muss, geht es eigentlich nur mit Ritalin. Dann aber ist es ein wahres Wunder mittel: eine halbe Tablette einnehmen, eine halbe Stunde abwarten, schon arbeite ich ohne die geringste Überwindung so emsig wie ein ganzer Bienenstock. Ich merke nicht mal, dass ich versehentlich schon mit der Arbeit angefangen habe, obwohl ich noch herumtrödeln wollte.

Macht es für dich auch das Ausgehen angenehmer?

Ritalin ist das Koks des gesetzestreuen Bürgers: Es macht ausgehfreudig und kommunikativ. Andere Menschen erscheinen netter und interessanter. Nicht viel, nur gerade so, dass ich mich immer wieder frage: Ist es das Ritalin, oder sind heute wirklich alle so nett? Es verträgt sich leider sehr gut mit Bier. Das Bier dämpft die unangenehmen Ritalin-Nebenwirkungen, und man kann viel mehr trinken, ohne sich betrunken zu fühlen. Im Beipackzettel steht zwar nur »Alkohol verstärkt die Wirkung von Methylphenidat«, aber weil ich fürchte, dass das Ganze vielleicht doch nicht so gesund ist, lasse ich in zwischen meistens die Finger vom Alkohol-Ritalin-Speedball.

Welche negativen Auswirkungen hast du festgestellt?

Ritalin macht mich nervös. Ich bin auch nüchtern schon ungeduldig, unter Ritalin zetere ich beim geringsten Anlass herum. Und wenn die Wirkung nachlässt, weil ich nicht rechtzeitig nachgelegt habe, bekomme ich grundlos schlechte Laune. Manchmal liege ich nachts wach und quäle mich mit hartnäckigen Selbstzweifeln. Das passiert mir nur nach Ritalin-Gebrauch, deshalb kann ich das inzwischen besser einordnen. Es ist nicht mehr so schlimm, nur noch ein bisschen lästig, seit ich weiß, dass es nur an der Droge liegt und mein Leben in Wirklichkeit gar nicht verpfuscht ist. Am nächsten Morgen ist alles wieder gut.

Keine Angst, abhängig zu werden?

Kaum. Der Beipackzettel sagt: »Bei bestimmungsgemäßem Gebrauch in den zugelassenen Anwendungsgebieten ist eine Abhängigkeitsgefahr praktisch nicht vorhanden.« Meine Vermutung ist, es ist auch nicht suchterzeugender als Kaffee, ohne den schließlich viele Leute auch nicht mit der Arbeit anfangen können.

Empfiehlst du es deinen Freunden oder würdest es deiner kleinen Schwester anbieten?

Ja, ich empfehle es ständig. Aber so richtig konnte ich bisher niemanden von den Vorteilen überzeugen. Das Abendland wird also wahrscheinlich nicht so schnell durch Ritalin zugrundegerichtet werden.

Kathrin Passig hat neben diversen anderen ein Buch über Prokrastination veröffentlicht, das den Titel trägt „Dinge geregelt kriegen – ohne einen Funken Selbstdisziplin“ (mit Sascha Lobo, Rowohlt Verlag)  und in dem sich ein Kapitel mit dem Thema Ritalin beschäftigt.

Interview: Christoph Koch
Erschienen in: NEON
Foto: Johannes Jander / Rowohlt

Hier kann man den dazugehörigen Artikel über die Thematik „Ritalin als Freizeitdroge und Arbeitsfitmacher“ lesen – hier die dazugehörige Onlinedebatte auf neon.de verfolgen.

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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4 Reader Comments

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  1. Simone Marco sagt:

    Du tust mir echt Leid!

  2. Robert Koch sagt:

    Ritalin, wird leider viel zu oft und zu schnell vorverurteilt. Es gibt eine ganze Reihe Menschen, für die ist der Wirkstoff MPH ein wahrer Segen. Es sind vor allem Menschen, die keine Ahnung haben, die nicht an ADS, ADD oder ähnlichem zu leiden haben. Es ist ja auch eine Lebensphilosophie, erstmal alles a priori, zu negieren und zu verteufeln.

  3. Peter sagt:

    Ich nehme ein wenig mehr ritalin und muss sagen es hat bei mir keinerlei Nebenwirkungen. Wenn ich abends runter komme fühle ich mich über glücklich und faul. Nichts weiter. Es hat wirklich kaum Nebenwirkungen und tötet ungefähr soviel wie Kaffee. Nicht jeder verträgt Koffein. Ich bekomme vom Koffein migräneatakken und Lustlosigkeit. Ich verstehe nicht das in einer Leistungsgesellschaft sowas wie ritalin verteufelt wird(kein Nervengift) und sowas wie Alkohol verherrlicht(Nervengift, lebergift,nierengift 97%der Menschen in deutschland trinken es, viele gehen daran zu Grunde). Schade das sich nicht wissenschaftlich, sondern ideologisch um das Thema gestritten wird.

    • Claus sagt:

      Danke für ihre Beschreibung und den Ausführungen zu Alkohol und Koffein.
      Und ja, des Deutschen Angst vor Unbekanntem ist leider ein Dilemma.
      Einerseits will man Innovationsführer in der Welt sein, aber nur in den Disziplinen, wo´s was zum zusammenschrauben gibt. Körperliche Themen werden misstrauisch beäugt, siehe auch das immense Misstrauen gegenüber Impfstoffen.
      Seit ich von Koffein weg bin, haben sich so viele körperlichen und seelischen Probleme einfach in Luft aufgelöst, ähnlich wie bei Ihnen. Bin auch nicht mehr so oft angefressen, komme heiterer durch den Tag.
      Und zum Thema Alkohol in der Gesellschaft möchte folgendes beitragen:
      Entspannung = Alkohol, oder
      Geselligkeit = Alkohol
      Bei sehr vielen Menschen hier im Land wird das so gelebt und nicht hinterfragt. Menschen die das nicht machen, werden schnell ausgegrenzt oder als anstrengend empfunden. Man muss sich oft entschuldigen, nichts trinken zu wollen. Dabei kenne ich so viele Menschen mit Alkoholproblemen, deren Leben aus den Fugen geraten ist. Von der Mehrheitsgesellschaft werden die dann als Verlierer stigmatisiert, ist ja so einfach.
      Daher wundert mich nicht, das dann Medikamente wie Ritalin und Derivate auf dem moralischen Index landen. Den Krankenkassen ist das sicher recht!

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