Kaum jemand kommt in den USA so ausgezeichnet mit der Wirtschaftskrise klar wie die Amish: Gegen die Rezession scheint die Glaubensgemeinschaft resistent zu sein. Was man von frommen Hutträgern mit Bärten und Kutschen lernen kann.
„Rechts abbiegen auf den Schotterweg“, ruft der zahnlose Alte mit dem wehenden Bart von seiner Kutsche herunter. „Wenn Sie die Arche Noah sehen, sind Sie richtig!“ Dann klappert er mit seinem Pferd gemütlich weiter. Tatsächlich: Ein großes, aus Holzplanken gezimmertes Schiff steht vor dem Bauernhaus von Jacob Graber, daneben ein stattliches Holzfort und eine Dampfwalze zum Reinklettern. Graber stellt dieses Spielzeug in seiner Werkstatt her, ebenso wie Gartenmöbel, Pavillons oder Schulbänke, die er ins gesamte Land verkauft.
„Unsere Farm versorgt inzwischen einer meiner Söhne, ich arbeite fast nur noch in der Werkstatt“, sagt der 54-Jährige und schiebt sich den breitkrempigen Hut in den Nacken. Dieser Tage laufen die Geschäfte auch für ihn etwas schlechter – schließlich ist Wirtschaftskrise. Trotzdem bleibt der Schreiner entspannt. „Nächstes Jahr sieht es sicher besser aus“, sagt er. „Und wenn es ganz schlimm werden sollte, kommt es nur darauf an, wer sich selbst versorgen kann. Wir haben eine Menge Kartoffeln im Keller und wissen im Gegensatz zu den Menschen in der Stadt, wie man eine Kuh melkt oder ein Schwein schlachtet.“
„Die Stadt“, das ist Jamesport. Anderthalb Stunden nördlich von Kansas City, 505 Einwohner. Rund dreimal so viele Amish leben auf Bauernhöfen ringsum – es ist die größte Ansiedlung der Religionsgemeinschaft hier in Missouri. Noch mehr leben in Ohio und Pennsylvania, wo sich die Amish nach ihrer Flucht aus Europa um 1700 zuerst niederließen. Insgesamt sind es heute in den USA rund 227.000 – Tendenz stark steigend, unter anderem weil amische Eltern im Schnitt rund acht Kinder in die Welt setzen. Probleme wie Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten oder Entfremdung von der Arbeit kennen diese Leute kaum: Der globale Wirtschaftscrash scheint den christlichen Traditionalisten mit Pferdekutschen und Hosenträgern kaum etwas anhaben zu können. Offensichtlich kann man von den Amish etwas lernen: wie man krisenresistent lebt und auch in Zeiten des globalen Abschwungs prosperieren kann zum Beispiel.
1. Verlass dich nur auf dich selbst
Natürlich merken auch Amish, dass es der Wirtschaft nicht gut geht. Das sind meist genau diejenigen, die nicht als Farmer arbeiten können und stattdessen von ihren Familien als Zimmerleute, Dachdecker oder Gerüstbauer in die Städte geschickt werden. Diese in der Regel komplett amischen Kolonnen haben unter der Krise kaum weniger zu leiden als ihre „englische“ Konkurrenz. „Englisch – so nennen wir Amish diejenigen, die um uns herum leben und keine Amish sind“, erklärt Grabers Frau Mary. Sie bleibt wie fast alle Frauen mit den Töchtern zu Hause. Kümmert sich um den Haushalt, versorgt die Kuh, die Hühner und die Pferde, backt Brot und näht die Kleidung der Familie selbst.
Einen Gemüsegarten, wie ihn Michelle Obama unlängst mit großem Tamtam hinter dem Weißen Haus anlegte, haben die Grabers seit Generationen. „Unser Ziel ist es, so weit wie möglich Selbstversorger zu sein“, sagt Mary und lacht verlegen. „Aber ich gebe zu, dass wir auch manchmal zum Supermarkt fahren und Tomatenketchup kaufen. Es ist einfach bequemer, als alles selbst zu machen.“ Während private Telefone, Anschluss ans Stromnetz und der Besitz von Autos geächtet sind, gibt es im Grunde keine religiöse Regel, die den Amish vorschreiben würde, Selbstversorgung zu betreiben. Für sie ist es einfach eine Einstellungssache – die Befürchtung, dass mit den weltlichen Dingen aus dem Supermarkt auch andere Zivilisationskrankheiten der Moderne bei ihnen Einzug halten könnten.
2. Mach keinen Mist mit der Bank
Hinter dem Supermarkt, in dem Amishfrauen mit weißen Hauben neben müden Truckern mit Baseballmützen an der Kasse stehen, liegt die Home Exchange Bank: das einzige Geldinstitut am Ort. „Die meisten denken, die Amish wären arme Hinterwäldler, die auf ihren Bauernhöfen hocken und darben“, sagt Filialleiter Ray Dockery. „Dabei sind viele von ihnen sehr wohlhabend. Sie sind kluge Geschäftsleute, arbeiten hart und spannen ihre Kinder mit ein.“ Sparsamkeit und Besonnenheit sind Eigenschaften, die den Amish in Krisenzeiten zugute kommen. „Diese Leute spekulieren nicht an der Börse, deswegen haben sie dort mit Sicherheit kein Geld verloren.
Sie haben zwar Konten, aber selten Kreditkarten. Und sie geben kein Geld für Plasmafernseher oder iPods aus“, sagt der Banker. Die Erklärung dafür liegt weniger in entsprechend ausgelegten Bibelstellen (solche Zitate bekommt man von den Amish so gut wie nie zu hören) -, sondern vielmehr in einem deutschen Wort, das hier mit dickem Akzent ausgesprochen wird: Gaylassenhite. Diese ist das Grundmotiv für das Leben der Amish; die Gemeinschaft zählt mehr als der Einzelne. Eigennutz und Gier sind ebenso verpönt wie Individualismus, auffällige Kleidung oder starke wirtschaftliche Expansion. Aber wie steht es mit Krediten, Hypotheken? „Wenn die Amish Kredite aufnehmen, dann fast nur, um Land zu kaufen“, sagt Dockery.
„Sie bringen viel Eigenkapital mit und tilgen so schnell wie möglich. Andere Amerikaner zahlen zwar auch ihre Raten, aber wenn sie am Ende des Jahres Geld übrig haben, kaufen sie ein neues Auto. Die Amish reduzieren ihre Schulden mit einer Sondertilgung.“ Noch nie, sagt Dockery, habe er einen einzigen Cent bei einem Kredit verloren, den er einem Amish bewilligt hätte. Nicht nur wäre es eine Schande für den Kreditnehmer, seine Familie und die Gemeinde, wenn so ein Kredit platzen würde. Für die sparsamen Amish käme es gar nicht infrage, jeden Monat Zinsen für einen Dispokredit oder eine ausgereizte Kreditkarte zu bezahlen.
3. Lass deine Leute nicht hängen
Zwar zahlen die Amish Steuern wie andere Amerikaner auch. Von der Sozialversicherung dagegen sind sie befreit: Sie kümmern sich selbst um ihre Notfälle. „Wenn eine Scheune abbrennt, kommt innerhalb von drei Tagen die Gemeinde zusammen und stellt eine neue auf“, sagt Jacob Graber. Dieser Zusammenhalt macht es den Amish leichter, sich nach außen abzugrenzen, unabhängig zu bleiben von Wohlfahrtsschecks oder Versicherungsgiganten. Das ist wichtig, um ihren Glauben und ihre Kultur zu bewahren – etwa ihr Pennsylvaniadeutsch oder den Brauch, Gottesdienste in Privathäusern abzuhalten.
Auch wenn eine Familie hohe Arzt- oder Klinikrechnungen bezahlen muss, hilft die Gemeinschaft. Als zum Beispiel die Frau des Kutschenmachers David Yoder einen Schlaganfall bekam, hätten die Behandlungskosten von rund 200.000 $ der Familie fast das Genick gebrochen – aber weit über die Gemeindegrenzen hinaus legten die Amish zusammen und halfen. Nun kann der weißbärtige Mann mit dem drollig verknautschten Gesicht wieder in seine Werkstatt gehen, die alle drei Wochen eine neue handgefertigte Kutsche ausspuckt. „Ich bekomme hier von der Krise nichts mit“, sagt er und fügt verschmitzt hinzu: „Wenn die Benzinpreise weiter so steigen, kaufen bald nicht nur die Amish meine Kutschen – dabei komme ich mit dem Produzieren schon jetzt kaum noch nach.“
4. Bleib auf dem Teppich
Ein bisschen weiter die mit Pferdeäpfeln bedeckte Landstraße runter sieht einer die Lage weniger rosig: Neal Kauffmann, 22, stellt normalerweise in einer kleinen Fabrik Holzpaletten her. Von dem Geld, das er dort verdient, wollte er sich eigentlich in ein paar Jahren ein eigenes Stück Land kaufen – immer noch das erklärte Ziel fast aller jungen Männer seiner Religion. Der eigene Hof steht für harte, gottesfürchtige Arbeit, aber auch für Stabilität und Unabhängigkeit von der Welt da draußen.
Solange Neal Kauffmann Fabrikarbeiter ist und kein Farmer, beeinflusst die Krise auch sein Leben. Seit ein paar Monaten haben sie in der Firma Kurzarbeit. „Wir sind genau wie die Baubranche von der Konjunktur abhängig“, sagt der Hüne, der aussieht, als wäre er gerade einer Folge von „Unsere kleine Farm“ entsprungen. Er hat nicht gelesen, dass das amerikanische „Time Magazine“ vor einigen Wochen auf der Titelseite „The New Frugality“ ausgerufen hat – die neue Genügsamkeit. Für Neal ist an dieser Genügsamkeit nichts neu, sie war schon immer Teil des amischen Lebens: zum Beispiel Kleidung flicken, statt neue zu kaufen. Als Kind mit anzupacken, statt bei den Eltern eine Playstation einzufordern. Pilze zu suchen, zum Angeln oder Jagen zu gehen, statt Karamell-Macchiatos aus immer größeren Bechern zu nuckeln.
5. Mach deinen Lifestyle zu Geld
Der einfache Lebensstil der Amish sorgt nicht nur für niedrige Depressions-, Kriminalitäts- oder Selbstmordraten, sondern begeistert seit einiger Zeit auch die Touristen. Rund 30.000 $ bringt ein einzelner Amish-Bewohner in Pennsylvania pro Jahr an touristischen Mehreinnahmen – das hat der US-Soziologe Donald Kraybill in seinem Buch „The Riddle of Amish Culture“ ausgerechnet. Sobald sich nämlich Amish an einem Ort niederlassen, profitiert die ganze Region vom Zustrom an Reisenden, die sie anlocken. Touristen wollen sich das wundersame Völkchen ansehen, das der Moderne widersteht – und kaufen dabei als Andenken Quilts, die die Amish-Frauen herstellen, übernachten in örtlichen Pensionen oder erstehen Holzspielzeug wie das von Jacob Graber.
„Viele von uns profitieren inzwischen stark vom Tourismus“, sagt der und streicht sich durch den wild wuchernden Bart. „Das macht uns von den Englischen abhängig – sie aber auch von uns.“ Immerhin scheint der Zustrom von Touristen auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht abzureißen – ganz im Gegenteil. „Ich habe den Eindruck, wir profitieren eher davon, dass die Leute ihr Geld zusammenhalten“, sagt Graber. „Viele fliegen jetzt nicht mehr nach Hawaii – sondern verbringen eben ein langes Wochenende bei uns in Jamesport.“
Text: Christoph Koch
Erschienen in: Financial Times Deutschland
Fotos: Jessica Braun
Fühle mich mit den Amishen sehr verbunden,da ich von Kindheit an,eine ähnliche Lebensweise habe.Bin der Älteste von 9 kindern u.musste eine kleine selbstversorger-Landwirtschaft betreuen.Lernte mit 12 schon Kutsche fahren u.die Feldarbeit.Heute nach 45 jahren fahre ich in der freizeit immer noch mit der kutsche ,mit dem auto nur ca 1500km im Jahr.
Teil2:Durch den Tod meines Vaters,als ich 14 war musste ich die schwere Arbeit alleine machen.Bei beginn der Lehre löste die Mutter die Landwirtschaft auf .Nach dem Bundesheer kaufte ich mir mein 1.Pferd u.2.,3.,Züchtete,nahm erfolgreich an Tunieren teil.Hatte keinen einzigen Unfall mit den eigenen Pferden auf ca.60.000km in 45Jahren !
@josef enne: Das klingt interessant, würde gerne mehr erfahren. Zum Beispiel, wo Sie leben und ob Sie immer noch in der Landwirtschaft tätig sind.
Herzliche Grüße,
CK
Hallo Christophkoch!Interessantes finden Sie in http://www.Pferdekutscher.de ,mein Profil „SPYDER“Es gibt dort viele Berichte aus meinen Leben u.Erfahrungswerte mit Pferden.Landwirtschaft betreibe ich als hobby(Wiesen um Heu für meinePferde zu machen)Ab dieses Jahr nur mehr mit Pferden.Wird dieses Jahr um einen Kartoffel-Rübenacker erweitert.Arbeitspferde sind wieder im aufwind,das freut mich sehr.Werde dieses Jahr auch einige Pferde ausbilden.Gruß v.E.J.
Ich hoffe, dass ich die Romantik nicht allzusehr störe, aber da der Artikel, obwohl erfreulich neutral beschreibend gehalten, im Titel implizit die Frage aufwirft, was von den Amish zu lernen sei, kurz dazu: ich fürchte, nichts, was wir nicht schon wissen.
Eine bescheiden lebende Gruppe innerhalb einer unbescheideneren größeren Gruppe ist relativ zu dieser ökonomisch stabiler.
Beispielsweise wird der Holzspielzeugfabrikant dann große Einbußen erleben, wenn die Leute für ihre Kinder kein Spielzeug mehr kaufen, sondern mit dem vorhandenen zufrieden sind, oder auf billige Chinaimporte zurückgreifen. Ein Unterschied zur Playstation oder zum iPod besteht insoweit nicht.
Ob es dann, auch wenn alle zusammenlegen, noch reicht, um teure medizinische Dienstleistungen zu bezahlen, ist fraglich – insbesondere, wenn die Dienstleister selbst anfangen bescheidener zu leben und beschließen, den größten Teil ihrer Erwerbszeit auf Landwirtschaft für den Eigenbedarf zu verwenden.
Die Amish leben seit fast 300 Jahren so und wissen sehr wohl was gut und schlecht ist ,im Gegensatz zu unserer Modernen Welt welche ihre Gier ins unermessliche steigert und das Chaos auf dieser Welt immer grösser werdend nicht erkennt .Wissen ist gut ,aber nur Wissen und Können hat eine Überlebenschance.Als Kind schämte ich mich für die Bescheidene Lebensweise ,heute bin ich Stolz darauf.
Von den Amishen ist sehr viel zu lernen, gerade weil sie leben wie sie leben, Gelassenheit, innerer Frieden, der nach außen strahlt, enge Verbundenheit und Gemeinschaftlichkeit miteinander.. das einfache Leben, Verzicht auf bequeme Dinge, der gelebte Glauben.. das sind die Werte, auf die es ankommt, wir, in der “ englischen, westlichen Welt “ sollten viel mehr davon besitzen, was den Amishen selbstverständlich ist. Und je mehr man in sie eintaucht, desto mehr kann man sie nur bewundern und einen enormen Respekt zollen.
Nun beschäftige ich mich seit Jahren mit den amishen Lebensstil durch Info aus dem Amish-People Forum und einer Brieffreundschaft zu einen Amish.Glaubt bitte nicht alles was die Medien berichten,das meiste ist aufgeputscht ,verdreht ,dramatisiert dargestellt.Über das Interesse an _Arbeitspferden und Arbeitsmethoden bin ich auf die Amish gekommen.Jedes Jahr gibt es in einen anderen Land die berühmten Horse Progressdays ,wo alle neuen Pferdezuggeräte Live vorgeführt werden .Habe mir einen wichtigen Vorderwagen nachgebaut und kann nun alle Heuwerbungen mit den Pferden durchführen,Der Traktor bleibt in der Garage .Wems interessiert :Auf Youtube -Amishfreund gibt es alle Filme unserer Pferdearbeit.