Das politische Establishment schüttelt den Kopf über die PIRATENPARTEI. Genau darin liegt ihre Chance.
Was Deutschland jetzt braucht, ist eine »Champion QL77JC4«. Denn ohne diese Zündkerze springt der Außenborder des Piratenfloßes nicht an. Und ohne das Floß kann Florian Bischof in den Strandbars keinen Wahlkampf machen. Und ohne Piratenpartei im Bundestag, so Bischof und seine Mitpiraten, ist es schlecht bestellt um die Freiheit in Deutschland. »Klammheimlich schränken die großen Parteien die Bürgerrechte im Internet immer weiter ein«, erklärt der blonde Spitzenkandidat der Piratenpartei in Berlin. »Da werden Grundgesetz und Datenschutz mit Füßen getreten, das können wir nicht länger mitansehen.« Bischof, 31, steht am Ufer des Landwehrkanals und schaut auf den sprotzenden Außenborder, der einfach nicht anspringen will.
Im Gegensatz zur Piratenpartei selbst, die seit der Europawahl durchstartet. Aber wofür stehen die Piraten? Das größte Feindbild ist klar: »Zensursula« von der Leyen, die mit dem »Zugangserschwerungsgesetz « Stoppschilder vor Internetseiten mit Kinderpornografie einblenden will. Die Piratenpartei hält dieses Vorgehen für ineffektiv und sieht darin eine Vorstufe zur Zensur: »Wenn das Bundeskriminalamt im stillen Kämmerlein entscheiden kann, welche Internetseiten blockiert werden – wer garantiert dann, dass es nur für Kinderpornografie gilt und nicht für politisch unliebsame Gedanken?«, fragt Florian Bischof und fügt sofort hinzu: »Natürlich sind auch wir gegen Kinderpornografie. Aber eine solche Zensurinfrastruktur ist der falsche Weg: Um das Leid der Kinder zu beenden, müssen die Täter verfolgt und nicht Webseiten mit einem Vorhang versehen werden.« Auch die meisten anderen Themen der Piraten haben mit digitaler Technik zu tun: Sie sind gegen die Überwachung von Mails und Telefonen, gegen Sicherheitskameras auf öffentlichen Plätzen, gegen biometrische Pässe und Studiengebühren. Gleichzeitig sprechen sie sich für eine Reform des Urheberrechts und des Patentsystems aus – so sollen nichtkommerzielle Privatkopien von Musik oder Filmen legalisiert werden. Patente auf Software oder auf gentechnisch manipulierte Lebewesen oder Saatgut lehnen sie strikt ab. »Transparenter Staat statt gläserner Bürger «, so lautet einer ihrer Kurzslogans.
Diese Konzentration auf wenige Kernthemen hat der Partei einerseits die Kritik »nicht wählbar « eingebracht – andererseits aber Vergleiche mit den Grünen, die in den 80ern ebenfalls mit einem engen Themenspektrum (»Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Klima.«) in den Bundestag einzogen. Im Lauf der Zeit nahmen sich nicht nur die etablierten Parteien der Umweltthematik an, auch die Grünen weiteten nach und nach ihr Programm aus. Ähnliches könnte bei den Piraten passieren: »Die Piratenpartei wird im Augenblick als >Single Issue<-Partei wahrgenommen, doch das muss nicht so bleiben«, sagt Dr. Christoph Bieber, Politikwissenschaftler am Zentrum für Medien und Interaktivität der Uni Gießen. »Das Internet berührt längst viele weitere Felder – bei der Technologie- oder Wirtschaftspolitik ist das am deutlichsten. Nimmt man die Frage der ,digitalen Spaltung‘ hinzu, wäre auch eine Verknüpfung mit Sozial- und Bildungspolitik möglich.« Auf dem Bundesparteitag im Juli in Hamburg wurde neben der zähen Diskussion über die offenbar unsaubere Arbeit des Kassenwarts auch intensiv darüber gestritten, wie weit die Piraten partei ihr Themenspektrum ausdehnen sollte. Das Ergebnis: Konzentration aufs Kern geschäft. Mancherorts zahlt sich das aus – bei (nicht repräsentativen) Umfragen auf Internetplattformen wie meinvz.net liegt die Piratenpartei weit vor den Volksparteien in Führung.
Florian Bischofs (selbstverständlich gehacktes) iPhone klingelt – auch ohne Floß gibt es genug Termine für den Unterfranken, der mit siebzehn nach Berlin zog und vor drei Jahren mit fünfzig Gleichgesinnten die deutsche Piratenpartei gründete: Vorhin hat das »Morgenmagazin « ein Interview mit ihm aufgezeichnet, nachher kommen die »Tagesthemen« zu einem Piratenstammtisch vorbei. Florian Bischof hat über Nacht den Terminkalender eines Berufspolitikers bekommen, dabei ist er eigentlich Softwareentwickler.
Keine der kleinen Parteien erhält derzeit so viel mediale Aufmerksamkeit wie die Piraten. Ein möglicher Grund: Es handelt sich bei der auf dem Vorbild der schwedischen »Piratenpartiet « basierenden Partei um die erste, die sich direkt an die »Digital Natives« wendet – jene Gruppe, die mit Internet und Handy aufgewachsen ist, die ganz nebenbei fünfzig SMS am Tag verschickt und für die online der Normalzustand ist. Doch wie erklärt man den Wahlleitern, Politikredakteuren und Parteiforschern, die mit einem Wählscheibentelefon aufgewachsen sind, dass man heute nicht mehr »auf die Straße geht«, um zu protestieren? Dass sich Protest immer seltener in blockierten Bahngleisen äußert, sondern sich immer häufiger in Blogs, auf Facebook oder Twitter versammelt, organisiert und kurzschließt? Wieder und wieder beantwortet Florian Bischof in Interviews dieselben Fragen: Nein, sie seien keine Spaßpartei. Nein, ihr Name störe dabei keineswegs. Nein, ein Vollprogramm mit Meinungen zu Arbeitsmarkt und Klimapolitik halte er derzeit nicht für nötig. Ja, die Fünfprozenthürde sei ein ambitioniertes Ziel, aber im Bereich des Möglichen.
Die meisten Experten halten das für utopisch – sie gehen davon aus, dass am Ende Themen wie der eigene Arbeitsplatz den Wählern mehr am Herzen liegen als Überwachungskameras oder Genpatente. Die Wahlforscher attestieren den Piraten jedoch, dass sie es am besten verstehen, das Internet nicht nur zum Stimmenfang zu nutzen, sondern auch zur eigenen Organisation.
Während die herkömmliche Parteistruktur mit Orts-, Bezirks- und Landesverbänden oder Infoständen in der Fußgängerzone auf Neulinge etwa so einladend wirkt wie eine Steuererklärung, wurde auf dem Bundesparteitag der Piraten erst mal debattiert, unter welchem Stichwort über das Treffen getwittert werden soll. Webdesigner basteln in ihrer Freizeit YouTube-Wahlvideos, und wenn in einem Bundesland noch Unterschriften zur Wahlzulassung fehlen, wird online Hilfe koordiniert.
Jede deutsche Partei versucht gerade, die vielgerühmte Kampagne von Barack Obama zu kopieren, die gezeigt hat, wie man ein effektives Onlinenetzwerk von Unterstützern aufbaut – die Piraten sind bisher die Einzigen, denen es gelingt. Doch die Geschwindigkeit, die die Piraten im Internet haben, in die Realität der smartphonelosen »digitalen Zugezogenen« zu bringen, ist mühsam. Am Ende des Berliner Sommertages startet das Piratenfloß doch noch – Florian Bischof und seine Mitpiraten haben es auch mit der alten Zündkerze flottgekriegt. Auf ausgedehnte Kaperfahrt dürfen sie damit aber trotzdem noch nicht gehen: »Wir warten noch auf das amtliche Kennzeichen und die Abnahme der Wasserschutzpolizei.«
Text: Christoph Koch
Fotos: Jörg Brüggemann
Erschienen in: NEON