Georgia Taglietti gehört seit 14 Jahren zum Organisationsteam des Sónar Festivals in Barcelona. Im Interview erklärt die 34-jährige Italienerin, was das Festival besonders macht und wie sie das frisch gestartete BerMuDa-Festival in Berlin einschätzt.
Frau Taglietti, was würden Sie jemandem empfehlen, der zum ersten Mal das Sónar Festival besucht?
Er soll sich das Programm nehmen und blind mit dem Finger drauftippen – und sich das ansehen, worauf er gezeigt hat. Oder er soll das Programm gleich ganz wegwerfen und einfach seinen Ohren folgen. Nichts ist schlimmer als Leute, die all die trendy Künstler abhaken wollen, von denen sie in Magazinen gelesen haben. Und hinterher enttäuscht sind, wie wenig sie davon geschafft haben. Räumt Euren Kopf leer und geht auf Entdeckungsreise!
Inzwischen gehen jedes Jahr im Juni 80 000 Menschen auf diese dreitägige Entdeckungsreise – wie hat das Sónar Festival begonnen?
Die drei Gründer, Enric Palau, Ricard Robles und Sergio Caballero sind heute noch dabei und leiten das Festival. Die Idee war damals, einen Treffpunkt für die Elektroszene zu schaffen – sowohl für die Musik als auch für die digitale Multimediakunst. Beides war damals wirklich noch eine kleine Nische: Beim ersten Sónar waren ungefähr 8000 Besucher. Wir wollten nie nur ein Festival sein, auf dem sich die Menschen ein Wochenende zudröhnen. Es ging uns immer auch um Kultur und Relevanz.
Wie schafft man es als Festival derart zu wachsen und trotzdem nicht der Beliebigkeit des Mainstream zu verfallen?
Zugegeben, es ist nicht ganz einfach. Denn dieser digitale Lebensstil, der damals eine Nische war, ist inzwischen dank Internet allgegenwärtig. Aber dennoch: Was heißt schon Mainstream? Für uns ist „Orbital“ Mainstream, aber fragen Sie mal 100 Passanten auf der Straße, wer die kennt. Das ist alles relativ. Klar, elektronische Musik erreicht heute mehr Leute als früher, aber es ist immer noch keine riesige Industrie – und das ist gut so. Für uns ist das alles keine Mode, für uns ist es eine Lebensrealität. Wir konnten wachsen und uns selbst treu bleiben, weil wir uns bewusst spezialisiert haben. Wie sind keines dieser großen Festivals, die ein bisschen was von jedem Genre bieten.
Verglichen mit den großen Festivals, auf denen dann eben Prodigy und Neil Young hintereinander spielen, ist Sónar auch sehr urban. War das wichtig für Sie oder hat es sich eher automatisch ergeben?
Es ist sehr wichtig für uns. Wir hassen Camping. Stadtkultur ist das, worum sich unser Leben dreht – Urbanität, Maschinen, Computer. Wir hatten schon zahlreiche Ausstellungen im Rahmen von Sónar, die sich mit der Verbindung von Kunst und einer urbanen Lebenswelt befassen. Dazu kommt, dass wir sehr großen Weg auf guten Sound legen. Und die meiste elektronische Musik klingt auf einem Open Air nicht sehr gut– sie ist für Hallen und Lagerhäuser gemacht.
Wie wichtig ist eine gute Zusammenarbeit mit der Stadt?
Anfangs war es schwierig. Da kamen wir jungen Leute und brachten unsere komische Musik, die man immer mit Drogen in Verbindung brachte, und wollten mitten in der Stadt ein Festival organisieren. Die Verwaltung war nicht begeistert. Aber inzwischen arbeiten wir sehr gut zusammen. Sie haben verstanden, dass es Menschen in die Stadt bringt und damit Geld und einen guten Ruf als Kulturmetropole und Medienberichte.
Trotzdem: Jedes Jahr gibt es mehr Festivals – auch für elektronische Musik. Wie bleibt Sónar einzigartig?
Wir sind nicht nur ein Musikfestival, wir sind auch eine Galerie. Für uns ist elektronische Kultur ohne darstellende Kunst nicht denkbar. Klar, wir sind nicht die Ars Electronica, aber wir wollen jedes Jahr aktuelle Entwicklungen in der Kunstwelt zeigen, die uns wichtig erscheinen. Gleichzeitig kuratieren wir auch die musikalischen Künstler sehr sorgfältig. Wir buchen nicht jeden, der gerade angesagt ist oder eine neue Platte draußen hat. Und wir veröffentlichen viele Materialien und Texte zu den Künstlern, die bei uns auftreten, um zu zeigen, dass eine Geschichte und eine Idee dahintersteckt.
Was war in den 14 Jahren, die sie im Herzen des Sónar arbeiten, das eindrucksvollste Erlebnis?
Als ich vor einigen Jahren die zweistündige Pressekonferenz für Björk gedolmetscht habe. In den zwei Stunden habe ich mehr über Musik und Kunst generell gelernt als irgendwann sonst. Sie hat Musik auf eine ganz neue Ebene gehoben. Björk hat diesen sehr künstlerischen, unkommerziellen, femininen Ansatz, der komplett vorwärts ausgerichtet ist und gleichzeitig sehr gesund und organisch. (lacht) Aber als Jimi Tenor 1998 auf einem weißen Pferd zu seinem Auftritt geritten ist, das war schon auch großartig.
Mehrere Berliner Clubbesitzer haben sich zusammengetan um ein Festivals namens „BerMuDa“ zu gründen, die Berlin Music Days Haben Sie davon gehört?
Nein, aber ich schaue mir gerne mal die Webseite an, wenn Sie mir eine Moment Zeit geben …
Gerne!
(…) Das sieht doch sehr gut und interessant aus. Deutschland und gerade Berlin ist sehr wichtig für uns. Es gibt dort großartige Künstler und wir arbeiten mit vielen Labels sehr eng zusammen. Und es tut jeder Stadt gut, wenn es Leute gibt, die ein solches Festival auf die Beine stellen. Livemusik gewinnt gerade wieder deutlich an Relevanz – auch wirtschaftlich. Ich finde es gut, wenn viele Künstler live auftreten und ihre Musik präsentieren und möglichst viele Leute die Möglichkeit bekommen, sich das anzusehen.
Glauben Sie, dass ein „deutsches Sónar“ in Berlin Erfolg haben kann?
Das ist ein schwieriger Vergleich. Wir lassen uns auch nur sehr ungern mit anderen Festivals in einen Topf werfen. Niemand sollte versuchen, ein zweites Sónar zu machen. Wir haben unsere Mischung gefunden, andere müssen ihre eigene finden. Aber es ist nicht unsere Aufgabe, Türen zu schließen, wir wollen welche öffnen.
Welchen Ratschlag geben Sie den BerMuDa-Organisatoren?
Es braucht Zeit! Man muss Geduld haben, so einem Festival beim Wachsen zuzusehen. Und auch wenn es funktioniert, muss man sich trotzdem immer wieder aufraffen, etwas Neues auszuprobieren. Wir haben dieses Jahr zum ersten Mal Sónar Kids gestartet, wo Laurent Garnier oder die Puppetmastaz auftraten und Workshops mit den Kindern machten. Das war ein sehr aufwändiges Wagnis – wenn es schief gegangen wäre, hätte uns das das Genick brechen können. Aber es war ein riesiger Erfolg. Deshalb: Geduld haben, aber nie stehenbleiben!
Interview: Christoph Koch
Gekürzte Version erschienen in: zitty
Foto: Sonar