Mails aus der Hölle – Endlich verstehen: Spam

Written by on 22/10/2009 in Neon with 1 Comment

Wie das Geschäft mit den MÜLLMAILS funktioniert, welchen Schaden sie verursachen – und warum Twitter und Skype bald dasselbe blühen könnte wie unserem E-Mail-Postfach.

»Hol Dir NOCH HEUTE eine größere Flöte!« – »Christliche Singles in Deiner Umgebung suchen nach Dir« – »Greife das Link!« – An guten Tagen kann es beinahe Spaß machen, die Betreffzeilen von Spammails zu lesen. Doch in der Summe ist der virtuelle Räumungsverkauf von Diätpillen, Penisverlängerungshilfen und dem obligatorischen »V1@GR_a« nicht mehr so lustig: Rund 247 Milliarden E-Mails werden täglich weltweit verschickt, fast drei Millionen pro Sekunde. Die Angaben, wie viel davon unerwünschte Spammails sind, variieren je nach Studie zwischen 90 und 97 Prozent.

Würden alle davon unsere Postfächer erreichen, wäre das wunderschöne Kommunikationsmittel E-Mail nicht mehr zu gebrauchen: Jeder, der fünfzig erwünschte Mails am Tag bekommt, müsste sich durch rund tausend unerwünschte wühlen.

Schädlich für Mensch und Tier

Spams sind nicht nur ein Ärgernis für die Nerven, sondern auch für die Wirtschaft. Ein mittelständisches Unternehmen verliert durch sie etwa 500 Euro pro Jahr und Mitarbeiter. Allein in den USA werden mehr als zehn Milliarden Dollar für Spamfilter und ähnliche Maßnahmen ausgegeben.

Und Spam schädigt die Umwelt. Experten schätzen, dass für das Versenden, Empfangen und Filtern von Spam jährlich 33 Milliarden Kilowattstunden Strom aufgewendet werden – in etwa die Menge, die acht Millionen deutsche Haushalte im Jahr verbrauchen. Spammails erzeugen so viele Treibhausgase wie gut drei Millionen Autos. Denn auch wenn E-Mail ein scheinbar kostenloses Medium ist: Jeder Mailserver braucht Strom und Kühlung und muss (ebenso wie die immer größeren Datenleitungen) erst mal hergestellt werden.

Die Beträge, die ein Spammer aufbringen muss, sind im Vergleich possierlich. 350 Euro kostete es im vergangenen Jahr, rund zwanzig Millionen Mails mit Titeln wie »Ihre Frau wird jubeln« rauszuhauen – heute dürfte es noch billiger sein. Wenn also nur jeder millionste Empfänger eine falsche Rolex oder ein Päckchen Viagra aus einer chinesischen Tiermehlfabrik kauft, hat der Spammer an diesen zwanzig Verkäufen schon verdient. Die Quote ist tatsächlich viel höher: Laut dem Verbrauchermagazin »Consumer Report« kaufen in den USA monatlich eine halbe Million Menschen ein Produkt, das ihnen per Spam angeboten wurde.

Viagra per Mikroblog

Brad Taylor, ein Spamfachmann bei Googles E-Mail-Dienst »Gmail«, beobachtet aber immerhin eine Verlangsamung des Übels: Die Menge an unerwünschten Mails nehme nicht mehr exponentiell zu und könne vielleicht bald zum ersten Mal stagnieren. Während Taylor dies auf immer bessere Filter der Mailanbieter zurückführt, könnte der wahre Grund ein ganz anderer sein: Die Viagra- und Diätpillenverkäufer suchen sich neue Vertriebskanäle.

Wer zum Beispiel Skype zum Telefonieren nutzt, bekommt Spambotschaften im Chatfenster des Programms zu sehen. Ähnlich beim Mikrobloggingdienst Twitter: Schaut man sich die Liste der eigenen Follower an, entdeckt man regelmäßig üppige blonde Frauen mit anzüglichen Namen wie »Sloppy A. Seconds«, die vorschlagen, man solle doch mal auf ihre Internetseite schauen, sie hätten dort so Bilder … und wer sich die sogenannten »Trending Topics« ansieht, also jene Schlagwörter, zu denen gerade viel getwittert wird, muss sich auch dort durch einen Wust von sinnlosen Nachrichten kämpfen.

In der Entzifferungshölle

Auch in den Kommentaren von Blogs und Diskussionsforen oder unter YouTube-Videos wird gespammt. Manchmal offensichtlicher (»Für heißen Parkplatz-Sex hier klicken«), manchmal subtiler (»Interessant! Ich habe mir zu diesem Thema auch Gedanken gemacht – lesen Sie hier weiter …«) Da die meisten dieser Massenkommentare nicht von Menschen, sondern von Programmen verfasst werden, sieht man nun immer öfter Menschen mit zusammengekniffenen Augen und schiefgelegtem Kopf vor ihrem Bildschirm sitzen. Sie müssen sogenannte CAPTCHAS (kurz für »Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart«) entziffern, verschnörkelte Zeichenkombinationen, die nicht maschinenlesbar sind und deshalb Spamroboter aussieben. Oft genug gerät aber auch für echte Menschen die Entzifferung zur Sanskritforschung. Denn wer zum Henker kann entscheiden, ob eine türkisgrüne, durchgestrichene Schlangenlinie eine 1, ein kleines l oder ein großes I sein soll? Eine neue Generation von CAPTCHAS hilft nun immerhin, Bücher zu digitalisieren: Statt wirrer Zeichenketten bekommt man zwei Wörter vorgesetzt, die beim automatischen Einscannen alter Druckwerke nicht erkannt wurden. So bekommt die Arbeit, die täglich millionenfach durch Spam entsteht, wenigstens ein bisschen Sinn.

Vergleichsweise sinnlos, aber Kunst: das 336 Seiten dicke Buch »The Names«, in dem ein gewisser Wayne Daly 20 000 Namen (oder eher: fantasievolle Pseudonyme) von Spamversendern zusammentragen und alphabetisch aufgelistet hat. Mit Highlights wie »Rock Hess« oder »Rigoberto Angleberger« überraschend unterhaltsam – und ein hübsches Geschenk für Eltern auf Namenssuche.

Text: Christoph Koch
Erschienen in:
NEON

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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  1. Flo sagt:

    Damn, die Idee mit dem Buch hatte ich auch!

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