Sie wettern gegen Lehrer, Ärzte, Autofahrer, Supermuttis, die Deutsche Bahn und die allgemeine Verblödung. HASSBÜCHER haben Erfolg.
»Wir haben euch was mitgebracht – Hass! Hass! Hass!« Den Schlachtruf, den man sonst vorwiegend auf autonomen Demos hört, könnten derzeit auch Buchhändler ihren Kunden entgegenschleudern. Denn in ihren Regalen und auf den Bestsellerlisten wird gehasst, dass die Halsschlagader schwillt: Ärztehasser, Lehrerhasser, Elternhasser, Handyhasser – für alle gibt es ein Buch, manchmal auch schon zwei oder drei. Nicht immer tragen sie den Hass im Titel wie »Totalschaden – das Autohasserbuch«, stets aber im Herzen: »Die Dilettanten – wie unfähig unsere Politiker wirklich sind« heißen sie dann, oder »Supermuttis: eine Abrechnung mit den überengagierten Müttern«. Meist wird in ihnen von Insidern »ausgepackt«, mit Eliten »abgerechnet « und schonungslos »angeklagt« – und fast immer sehen ihre Umschläge aus wie eine kompakte Version der BILD-Zeitung: große Buchstaben, harte Worte, alles in Schwarz- Rot-Weiß.
»Diese Bücher sind definitiv sehr erfolgreich«, bestätigt der Berliner Literaturagent Michael Gaeb, »was man unter anderem daran sieht, dass die Verlage solche Konzepte immer wieder bei uns nachfragen.« Natürlich gibt es kritische Sachbücher zu verschiedenen Missständen nicht erst seit gestern. Neu sind der Hass und die Schamlosigkeit. Lehrer: faul. Ärzte: faul und gekauft. Politiker: faul und unfähig. Ostdeutsche: faul, unfähig und vom Fernsehen verdummt. Passend dazu hat sich in der Branche ein neuer Lieblingsausdruck entwickelt, wenn über Sachbücher gesprochen wird: steil.
Eine »steile These« muss her, heißt es – die These ist »nicht steil genug«. Das eine Wort ist ohne das andere nicht mehr denkbar, so wie bei der »fieberhaften Suche« und der »nach oben offenen Richterskala«. Aber wäre eine durchdachte und originelle These nicht wichtiger als eine steile? »Wenn ein Buch kein klares Alleinstellungsmerkmal hat und nicht radikal genug ist, um in Fernsehtalkshows zu kommen, hat der Verlag schnell ein Verkaufsproblem«, sagt Gaeb. Die Geilheit auf Steilheit sorgt am Ende jedoch dafür, dass statt rationaler Diskussion und Abwägen von Lösungen nichts als lautstarke Hysterie vorherrscht.
Aber wer liest die oft schnell zusammengeschluderten Manifeste, die keine eleganten Spaziergänge in interessanten Gedankengebäuden sind, sondern stumpfe Märsche, die nur eine Stoßrichtung kennen und alle nichtkonformen Informationen links liegen lassen? Eine kurze und sicher nicht repräsentative Beobachtung im Berliner Kulturkaufhaus Dussmann soll es klären. Auf einem der zahlreichen Bestsellertische liegen die Hits der Neuen Deutschen Wutwelle beisammen: unter anderem »Doof It Yourself«, der Nachfolger der Jugendverblödungsschelte »Generation Doof«, und das Bahnhassersequel »Senk ju vor träwelling«, für das man sich nicht mal mehr die Mühe eines neuen Titels gemacht hat. Im Beobachtungszeitraum sind es ausschließlich Männer, die die Aufregertitel zur Hand nehmen. Keine Rebellentypen, die Protest ausstrahlen. Eher gut situierte Ins-Büro- Geher, die am Wochenende das Auto durch die Waschstraße fahren. »Die einzelnen Bücher haben individuelle Zielgruppen«, sagt Literaturagent Gaeb, »aber insgesamt kann man schon sagen, dass sie sich häufig an Männer wenden, die sich im Leben gut etabliert haben und sich auf einem relativ hohen Zivilisationsgrad abgrenzen wollen – vielleicht auch, weil sie keine echten Probleme mehr haben.«
Der Psychologe Stephan Grünewald, Mitgründer des Kölner Marktforschungsinstituts Rheingold, sieht eine ähnliche Zielgruppe für die Hassbücher: »In unserer überliberalen Gesellschaft braucht auch ein gut situierter Angestellter Nischen, in denen er Dampf ablassen kann, ohne wirklich anzuecken – ich nenne das >begrenzten Alltagsfundamentalismus<.« Rebellische Jogger kaufen also das Walkerhassermanifest, und Abteilungsleiter mit Dienstwagen die Autobahnabrechnung »Wenn möglich, bitte wenden«. Wenn der Trend also anhält – und davon gehen beide Experten aus – auf welche Sündenböcke und Feindbilder wird dann als Nächstes eingedroschen? »Geldbeutel verloren und das auch noch bei schlechtem Wetter – eine Abrechnung«? Das »Hartz-IV-Empfänger- Hasser-Buch« mit einer Audiobookversion, gelesen von Guido Westerwelle?
Ob das »Bankenhasserbuch« oder das »Handbuch für Unihasser« – die bereits existierenden Bücher sind Ausdruck der Ohnmachtsgefühle, die die Mittelschicht nicht nur am Arbeitsplatz oder im Hörsaal erlebt, sondern auch in der Arztpraxis, am Bahngleis und beim Elternsprechabend. Früher vertraute man blind den klassischen Professionen. Heute recherchiert der »mündige Bürger, Kunde, Patient« Krankheitsverläufe im Internet, holt sich Zweit- und Drittmeinungen ein und muss dann doch feststellen, dass er sich nicht selbst operieren kann. Vielleicht ist der Hass auch nur so groß, weil die Erwartungen unrealistisch hoch sind: ein Arzt, der alles weiß. Ein Zug, der immer pünktlich kommt.
Wenn etablierte Parteien identische Politik anbieten, verlaufen die Feindeslinien nicht mehr zwischen Weltanschauungen, was man daran sieht, dass sich niemand für ein SPD-Hasser- Buch interessieren würde. Viel zu egal, zu wenig steil. Stattdessen müssen neue Feindbilder her. Einerseits wird nach oben gegen Manager (»Das Chefhasserbuch«), Banken (»Die 382 dümmsten Sprüche der Banker – und noch mehr Gründe, warum Sie ihnen nicht trauen sollten«) und des Deutschen unliebsten Konzern (»Senk ju vor träwelling«) gestänkert.
Gleichzeitig treten Bücher wie »Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden« oder »Dummgeglotzt: Wie das Fernsehen uns verblödet « nicht nur in Sachen originelle Titel auf der Stelle – sondern auch kräftig nach unten: Der Zugbegleiter kann kein akzentfreies Englisch, die dumme Verkäuferin weiß nicht auf Anhieb, wie man Helmut Qualtinger schreibt, und die Fans von Mario Barth wissen nicht, was »Demokratie« bedeutet. Haha! Denn das ist bei dieser Art von »Statusangst«, wie sie der Philosoph Alain de Botton genannt hat, das Allerwichtigste: Die »Generation Doof« sind immer die anderen.
Wer nicht weiß, ob ihn die Wirtschaftskrise den Job kostet, kann sich wenigstens über die echauffieren, die ihm das eingebrockt haben (»Die verblödete Republik – wie uns Medien, Wirtschaft und Politik für dumm verkaufen«) und jene hassen, die verhindern, dass es besser wird (»Gründe einer Bildungskatastrophe – oder wie wenig Lehrer arbeiten«). Kann die verachten, die vor dem Internet keine Angst haben (»Klick – Strategien gegen die digitale Verdummung«), und sich von denen abgrenzen, die Privatfernsehen gucken (»Seichtgebiete«). Auch wenn es typisch deutsch ist, etwas als typisch deutsch zu brandmarken, so scheint das Nörgeln und Hassen derzeit genau das zu sein, was unsere Gesellschaft im Innersten zusammenhält. Oder wie es der Hamburger Rapper Dendemann einmal formulierte: »Die meisten kommen nur ins Gespräch, wenn sie sich über eine Sache aufregen. Das ist supermännlich und typisch deutsch. Immer dieses Rumgenörgel, das nicht dazu beiträgt, dass es geiler wird.«
Text: Christoph Koch
Erschienen in: NEON