JEREMY LEGGETT arbeitete für die Ölindustrie. Bis er kündigte und sich Greenpeace anschloss. Für die Katastrophe im Golf von Mexiko macht der Geologe und Solarunternehmer die Unternehmenskultur von BP verantwortlich – und den absurd großen Hunger der Menschen nach Öl.
Mister Leggett, wie konnte es zur verheerenden Ölkatastrophe im Golf von Mexiko kommen?
Es wurde seitens des Unternehmens anscheinend nicht in Betracht gezogen, dass der Blow-out-Preventer, also der Abdichtkopf des Bohrlochs, versagen könnte. Das ist das eine. Hinzu kam, dass das Versiegeln des Bohrlochs mit Zement in einer Tiefe von 1500 Metern nicht ganz so einfach ist, wie man sich das vorher gedacht hatte. Meines Erachtens wurden zudem systematisch Warnzeichen ignoriert.
Jede Baufirma sichert sich für den Fall ab, dass ihr Kran umfällt oder der Beton nicht hält. Wie kann es sein, dass der größte Mineralölkonzern der Welt im Zuge dieser Katastrophe derart dilettantisch agiert?
Bei BP herrscht das Diktat der knallharten Kostensenkung – und dafür wurde die Konzernleitung von Teilen der Wirtschaftspresse auch geradezu angebetet. Wie wir sehen, kann diese Einstellung auch dazu führen, dass Einsparungen wichtiger werden als die Sicherheit von Mensch und Umwelt. Erst im vergangenen Jahr wurde BP zu einer Millionenstrafe verurteilt, weil man Sicherheitsmängel, die in Texas City …
… wo 2005 eine Ölraffinerie explodierte und fünfzehn Menschen tötete …
offenkundig geworden waren, nicht behoben hatte. Auch im Rahmen der aktuellen Ölkatastrophe sind bereits mehr als hundert Klagen eingereicht worden. Dazu kommt, dass nun auch die amerikanische Politik hart gegen BP vorgeht, etwa indem sie die Haftungsbeschränkung aufheben will, die derzeit eine maximale Zahlung von 75 Millionen Dollar vorsieht.
US-Präsident Obama will auch die Abgaben der Ölfirmen erhöhen, um den Notfalletat für solche Katastrophen aufzustocken. Sehen Sie Unterschiede zwischen den einzelnen Konzernen? Sind einige schlimmer als andere?
Ich glaube nicht, dass es große Unterschiede gibt, am Ende ist es Zufall, welche der Ölfirmen es mit einer solchen Katastrophe erwischt. Aber BP ist als Firma leider auch in Sachen Klimawandel sehr verantwortungslos – da sie ihre Haltung in den vergangenen Jahren komplett geändert hat.
Inwiefern?
Unter dem alten CEO John Browne hatte sich BP beispielsweise verpflichtet, keine Ölsande abzubauen, weil dabei große Mengen CO2 freigesetzt werden. Doch seit 2007 Tony Hayward die Leitung des Konzerns übernommen hat, werden solche Projekte geplant. Was Hayward mit dem Satz kommentierte, es hätte früher bei BP zu viele Leute gegeben, die »die Welt retten wollten«.
Auch mit seinen Äußerungen zur »Deepwater Horizon« hat sich der BP-Chef nicht viele Freunde gemacht.
Sie meinen sicherlich seinen Satz, der Golf von Mexiko sei »ein sehr großer Ozean«, und die Mengen an Öl seien »im Vergleich dazu winzig«. Dieser Satz war dumm, und Tony Hayward wird ihn noch auf seinem Totenbett bereuen. Er wird seinen Job am Ende wegen dieses Satzes verlieren, das prophezeie ich Ihnen. Aber auch das wird die Probleme von BP nicht lösen. Denn so schlimm ein Tankerunglück wie bei der Exxon Valdez 1989 auch sein mag, das wahre Ausmaß war immerhin sofort sichtbar. Das ist hier nicht der Fall. Das Unglück im Golf von Mexiko wird sich hinziehen und BP noch Monate, wenn nicht Jahre verfolgen. Was auch an den Chemikalien liegt, die derzeit eingesetzt werden: Ihr hauptsächlicher Effekt ist, das Öl unter die Oberfläche zu drücken. Das ist jedoch nur ein kosmetischer Effekt, die Auswirkungen auf das Ökosystem sind weiterhin überhaupt nicht abzusehen.
Wir müssen an immer entlegeneren Orten nach Öl suchen, um den Bedarf zu befriedigen. Ist es da nicht logisch, dass auch das Risiko solcher Unfälle steigt?
Ein Risiko besteht immer – und wenn man die natürlichen Grenzen überschreitet, wird dieses Risiko größer. Die Nordsee war früher auch so eine Grenze, doch durch die Leistung von Ingenieuren ist es auch dort gelungen, Öl zu fördern. Das Risiko steigt aber noch einmal sprunghaft, wenn aus Gier die Förderkosten gesenkt werden sollen und an der Sicherheit gespart wird.
Was kann getan werden, um solche Katastrophen künftig zu verhindern?
Neben der Unternehmenskultur, die sich ändern muss, glaube ich vor allem, dass wir, so schnell und so massiv es geht, auf erneuerbare Energien umstellen müssen. Schon allein, damit wir diese hohen Risiken nicht mehr eingehen müssen, Ölvorräte aus den hintersten Winkeln und Meerestiefen zu fördern.
Glauben Sie, dass Umweltkatastrophen wie die im Golf von Mexiko uns Konsumenten zum Umdenken bewegen und dazu bringen, weniger zu fliegen oder sparsamere Autos zu kaufen?
Ich bin nicht sehr optimistisch, was das betrifft. Wir Menschen sind gut im Verdrängen. Solche Katastrophen erschüttern uns kurz, aber sie ändern nicht dauerhaft unser Verhalten. Das wird sich erst ändern, wenn das Öl knapp wird. Und das wird sehr bald passieren – viel schneller, als wir es uns vorstellen können.
Ihr Buch zu diesem Thema heißt auf englisch „Half Gone“, in der deutschen Version »Peak Oil« – können Sie den Begriff erklären?
In der Vergangenheit ist die Menge an Rohöl, die jedes Jahr gefördert wurde, ständig gestiegen. »Peak Oil« bezeichnet den Punkt, an dem die Fördermenge zum ersten Mal sinken wird. Aber nicht, weil der Bedarf sinkt, sondern weil die Vorräte zu Ende gehen.
Wann wird dieser Punkt erreicht sein?
Spannende Frage: Wenn man den Ölkonzernen glaubt, erst in einigen Jahrzehnten. In den Augen von Experten, zu denen auch ich mich zähle, wird es schon in wenigen Jahren so weit sein, spätestens 2015.
Es wird doch ständig neues Öl entdeckt, Offshorevorkommen in großen Tiefen oder eben Ölsande in Kanada?
Von denen heißt es dann, dass sie größer sind als die Menge, die wir verbrauchen! Diese Argumentation kenne ich, damit sollen wir beruhigt werden. Angeblich müssen wir unseren Energieverbrauch nicht einschränken. Aber erstens wird es immer aufwendiger und riskanter, diese Vorkommen zu fördern, und zweitens dauert es wahnsinnig lange. Von der Entdeckung eines kleinen Ölfelds bis zum Beginn der Förderung vergehen mindestens sechs Jahre. Bei größeren Vorkommen sind es mehr als zehn Jahre. Meine Kollegen und ich gehen von einer Verknappung des Öls im Jahr 2013 aus – selbst das, was wir heute entdecken, wird also nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen.
Wenn das Öl knapper wird, steigt automatisch der Preis, und somit wird weniger verbraucht werden, oder?
So denken die Wirtschaftswissenschaftler auch. Aber der Ölpreis ist in der Vergangenheit oft gestiegen, ohne dass es einen nennenswerten Rückgang im Verbrauch gab. Es geht gar nicht darum, ob wir, wenn der Benzinpreis steigt, mit dem Fahrrad zum Supermarkt fahren statt mit dem Auto. Es geht um China und den Nahen Osten – dort geht der Ölverbrauch gerade durch die Decke. Mich erinnert die momentane Situation an die vor der Wirtschaftskrise: Auch 2008 gab es Experten, die gewarnt haben, dass das ganze System der Kredite und Hypotheken vor dem Kollaps steht. Auch damals hat die Investmentindustrie gesagt: Haltet die Klappe! Ihr versteht nichts davon, es gibt keine Krise.
Es sind nicht nur die Ölkonzerne, die behaupten, die Vorkommen würden noch Jahrzehnte reichen – auch die erdölproduzierenden Länder sprechen von großen Vorräten. Alles Lügen?
Ich vermeide das Wort »Lügen«, weil es Absicht unterstellt. Es gibt nur wenige Menschen, die wirklich wissen, wie viel Öl es eigentlich noch gibt – sei es in einer Firma wie BP oder Shell oder in einem Land wie Saudi-Arabien. Ich glaube eher, dass diese fehlende Transparenz dazu führt, dass die künftigen Fördermengen zum Beispiel der OPEC-Staaten zu optimistisch geschätzt werden.
Was wird passieren, wenn die Fördermengen einbrechen?
Ich bin Optimist. Egal, wie groß die Herausforderungen sein werden, sie werden den Überlebenswillen der Menschen wecken.
Interview: Christoph Koch
Erschienen in: NEON
Fotos: Portobello Books
Hinweis: Das Interview stammt aus der Juliausgabe von NEON und wurde deshalb bereits im Juni geführt, als BP-CEO Tony Hayward noch im Amt war.