Statt auf Empfehlungen von Freunden verlassen wir uns immer häufiger auf Produktbewertungen und Rezensionen im Internet. Doch ein Großteil der Onlinekritiken ist gefälscht.
Vom Frühstückscafé (qype.com) bis zur Musik fürs Wochenende (iTunes). Von der Urlaubsreise (Tripadvisor) inklusive Lektüre (Amazon) bis zum Kinobesuch am Abend (imdb.com) – unser ganzes Leben steht in den Sternen. Der Milchkaffee: drei Sterne. Das neue Album von Ben Folds: vier. Das Hotel mit dem unfreundlichen Personal: allenfalls zwei Sterne; der Roman von Jonathan Franzen aber ganz sicher fünf. Wir recherchieren im Internet, bevor wir Geld ausgeben, und fühlen uns wie mündige, moderne Konsumenten. Wer wüsste schließlich besser, welches Buch, welche Bar und welcher Staubsauger wirklich etwas taugen, wenn nicht die anonymen Massen anderer Konsumenten, die sie bereits ausprobiert haben? Aber wie viele dieser Rezensionen sind echt?
»Ein Freund von mir arbeitet bei einem großen Verlag. Er hat mir schon oft Lobeshymnen auf Bücher aus seinem Programm gemailt, die ich dann bei Amazon eingestellt habe«, gibt eine erfolgreiche Autorin aus Berlin zu, die allerdings nicht möchte, dass man ihren Namen abdruckt. Ihre eigenen Bücher will sie nicht mit geschummeltem Lob überhäuft haben. »Das erschien mir unfein«, sagt sie. »Außerdem hatte ich Angst, dass es rauskommen könnte. Aber ich kenne mehrere Autoren, die regelmäßig ihre eigenen Bücher mit fünf Sternen bewerten.« Ein Fälscher, der aufflog, war Helmut Hoffer von Ankershoffen, der mit dem WeTab ein Konkurrenzprodukt zu Apples iPad auf den Markt gebracht hatte. Im Oktober 2010 hatte er zwei euphorische Rezensionen (»Das WeTab ist nicht gut, sondern sehr, sehr gut.«) nur vermeintlich unter Pseudonym bei Amazon hinterlassen – durch eine Unachtsamkeit waren sie aber mit seinem Kundenprofil und dem seiner Frau verknüpft.
Ankershoffen gab den Schwindel zu und entschuldigte sich, er habe nur seiner »Freude Ausdruck verleihen« wollen. Hoffer von Ankershoffen ist nicht der Einzige – vielleicht nur unvorsichtiger als viele andere, die im Schutz der Anonymität gezielt negative Bewertungen ins Netz stellen. Ein Münchner Fachbuchverlag bekennt sich ebenfalls zur Trickserei: »Wir beobachten sehr genau, wie unsere Bücher bewertet werden – und wenn wir den Eindruck haben, jemand will uns durch schlechte Bewertungen eins reinwürgen, in denen sogar noch das Buch der Konkurrenz empfohlen wird, dann steuern wir auch mal gegen«, sagt eine Lektorin, die um ihren Job fürchtet, wenn ihr Name veröffentlicht wird. »Aber ich würde das eher als Notwehr bezeichnen.« Ähnlich argumentierte auch Martin Kirchbaumer, der vor einiger Zeit im stern zugab, dass die Mitarbeiter seiner österreichischen Agentur eClipping im Auftrag von Kunden positive Rezensionen online stellen und sich in Foren lobend über bestimmte Produkte äußern: »So können wir für unsere Kunden Fairness schaffen, indem wir Falschaussagen entgegenwirken und dann die richtige Information verbreiten – auf eine sympathische Art.« Inzwischen hat sich Kirchbaumers Agentur umbenannt – auf ihrer neuen Website heißt es etwas vorsichtiger: »Wir machen Meinung – durch gezieltes Auslösen von Kommunikation im Web.« Die Agentur sei im Prinzip »noch dieselbe wie früher«, sagt eine Mitarbeiterin am Telefon, der Chef selbst ist nicht zu sprechen.
100% positive Texte garantiert
Weniger scheu ist die Schweizer Firma Trigami, die bereits für Eastpak, Nike, Nikon und O`Neill aktiv wurde. In sogenannten Advertorials können die Firmen zu »100% positive« Werbetexte bei Bloggern buchen, die mit Trigami zusammenarbeiten und für ihre Lobeshymnen Geld bekommen. Die Firma sieht in dieser Art von viralem Marketing keine Täuschung: Schließlich sei jeder der Beiträge mit dem Hinweis »TrigamiReview « versehen.
In klarer Fälschungsabsicht handelte ein Mitarbeiter des Computerzubehörherstellers Belkin, der in einem Amazon-Forum nach Menschen suchte, die für 65 US-Cent pro Stück positive Bewertungen für Belkin-Produkte bei Amazon veröffentlichen würden. Andere Firmen, ob Nagelstudio oder Druckertinteversand, gehen ein wenig subtiler vor und bieten ihren Kunden Rabatte an, wenn sie eine positive Rezension in bestimmten Onlineportalen verfassen. Objektive Meinungsbilder entstehen so jedoch leider auch nicht.
Offen dazu bekennen, im großen Stil Onlinebewertungen zu fälschen und Forendebatten zu steuern, will sich niemand – was auch daran liegt, dass diese Art von Manipulation inzwischen sowohl in den USA als auch in der EU verboten ist. So wurde vergangenes Jahr erstmalig die Firma »Lifestyle Lifts« für Fakebewertungen verurteilt: Die Geschäftsleitung hatte in E-Mails die Angestellten aufgefordert, anonym positive Bewertungen abzugeben – und wurde wegen unlauteren Wettbewerbs zu einer Geldstrafe von 300 000 US-Dollar verurteilt. Zugegeben werden die Mauscheleien allenfalls hinter verschlossenen Türen: US-Journalist Edward Hasbrouck berichtet über eine Marketingkonferenz, auf der Elias Plishner (damals Vizepräsident der Onlinesparte der Werbeagentur McCannErickson) geprahlt habe: »Wir haben eine eigene Abteilung in Singapur, die Onlineforen und Messageboards mit gezielten Inhalten füttert.« Häufig geht es nicht mehr nur darum, Kunden mit Fakerezensionen zum Kauf zu animieren – immer öfter ist allein ihre Aufmerksamkeit das Ziel. Das zeigt sich am besten bei Nachrichtenseiten wie digg.com oder stumbleupon.com. Diese funktionieren nach dem Prinzip: Auf der Startseite erscheint, was User gut bewerten.
1000 Facebook-Fans für 59 Dollar
Für Firmen wie uSocial aus Australien ergibt sich so ein lukratives Geschäft: Sie bieten an, Artikel systematisch nach vorne zu hieven, indem sie sie positiv bewerten. Bei anderen Onlinedienstleistern, etwa Socialkik und Socialsourcer, können Firmen sogar Facebook-Fans per Mausklick bestellen. 1000 bunt gemischte Jubelperser gibt es bereits ab 59 Dollar, für 1000 gefälschte Foreneinträge bezahlt man rund 250 Dollar – per Kreditkarte oder Paypal.
Aber ist es überhaupt wichtig, wie viele Sterne ein Kunde dem neuen Film von Sofia Coppola oder der Furzkissen-App im Apple Store gegeben hat? Eindeutig ja: Achtzig Prozent der Konsumenten achten vor einer Kaufentscheidung auf Online-Reviews, fand eine Studie des britischen Marktforschungsinstitutes YouGov Ende 2009 heraus. 62 Prozent gaben an, sich schon einmal aufgrund schlechter Bewertungen umentschieden zu haben.
Am meisten Einfluss haben die Bewertungen im Reisemarkt. »Früher war das offizielle System der Hotelsterne die einzige Richtschnur, die ein Reisender hatte, wenn er ein Haus aus der Ferne einschätzen wollte«, sagt Dr. Adrian von Dörnberg, Touristikprofessor an der Hochschule Worms. »Wie die Atmosphäre war, wie freundlich der Service, das verriet einem dieses System nicht. Heute macht sich der Kunde sein eigenes Bild im Netz – unter anderem durch die Bewertungen anderer.« In einer noch unveröffentlichten Studie unter Reisenden zwischen zwanzig und dreißig hat Dörnberg ermittelt, dass etwa neunzig Prozent der Befragten auf die Aussagekraft von Onlinebewertungen vertrauen.
„Um ein Hotel runterzumachen, sind Bettwanzen der Killer.“
Dieses Vertrauen könnte leiden, wenn eine Klage gegen eine der größten Plattformen für Hotelbewertungen Erfolg hat: Gegen Tripadvisor wird gerade eine Sammelklage von hunderten Hotels vorbereitet, die behaupten, die Website würde nichts gegen »falsche Behauptungen« unternehmen – es sei nicht einmal sichergestellt, dass diese anonymen Kritiker wirklich je zu Gast in den Hotels waren. »Der absolute Killer, wenn jemand ein Hotel runtermachen will, sind Bettwanzen«, sagt Chris Emmins. Mitgründer der Agentur Kwikchex, die die Kläger vertritt. »Bei Restaurants sind es angebliche Lebensmittelvergiftungen.« Die Portale selbst verstecken sich hinter ihrem Kleingedruckten, in dem sie meist jede Verantwortung für die Meinung Dritter ablehnen, die bei ihnen veröffentlicht wird.
Björn Zierow, der das Hotel »Villa Sorgenfrei« in Radebeul bei Dresden betreibt, muss sich um schlechten Leumund bislang keine Sorgen machen. Sein Hotel wird von den Gästen hervorragend bewertet – sowohl auf Tripadvisor als auch bei hrs.com. Letzteres freut Zierow besonders. »Ich empfehle zur Orientierung vor allem Seiten wie HRS, wo nur bewerten kann, wer das Hotel auch wirklich gebucht hat«, sagt der Hotelier auf Anfrage.
Internetseiten, bei denen Kunden anonym bewerten können, stecken in einer Zwickmühle: Einerseits kurbeln diese Bewertungen ihr Geschäft an. Besonders die positiven Urteile, aber auch schon das Vorhandensein eines Bewertungssystems führen bei Onlineshops laut einer Studie der Universität Nebraska zu einem Umsatzplus von 26 Prozent. (Klar, wer sich durch die diversen Autoradiobewertungen geklickt hat, kauft vermutlich auch eher auf der entsprechenden Seite ein, als zum Elektromarkt zu fahren.) Die Onlineplattformen wollen also zunächst so viele Bewertungen wie möglich, wenn’s geht, positive – ob sie echt sind, ist erst einmal nicht so wichtig. Langfristig ist die Glaubwürdigkeit dieser Bewertungen aber wichtig für das Geschäftsmodell der jeweiligen Seiten – im Falle von Seiten wie Tripadvisor (Reisen) oder Ciao (Produktempfehlungen aller Art) sogar ihre Daseinsberechtigung.
Auch die Kunden werden schlauer
Nach und nach bauen sie also die Sicherheitsvorkehrungen gegen Fälschungen aus. Bei Amazon kann seit einigen Jahren nur noch bewerten, wer auch Kunde ist. Was es nicht unmöglich macht, falsche Accounts anzulegen – aber mühsamer und teurer. Bei Tripadvisor setzt man auf Filtersoftware, die beispielsweise mehrere Bewertungen desselben Absenders blockiert, aber auch auf eine wachsame Lesergemeinde, die verdächtige Loblieder oder Bettwanzengejammer meldet. Ausschließen lassen sich Manipulationen trotzdem nie, das sieht auch Professor von Dörnberg: »Aber die Kunden werden erfahrener und können die geschwindelte Spreu vom Weizen trennen. Trotzdem sei Vorsicht geboten, vor allem wenn geschäftliche Interessen erkennbar seien: »TUI will gerade sein Bewertungsportal »Cheqqer« nach Spanien und Holland auch auf den deutschen Markt bringen und hat alle Mitarbeiter aufgefordert, dort Bewertungen einzustellen. Es wurde nicht vorgegeben, welche Hotels wie zu bewerten sind, aber man kann ahnen, dass es Verzerrungen zugunsten von TUI geben wird.«
Können wir Onlinerezensionen noch trauen? Die meisten Experten, mit denen NEON gesprochen hat, vermuten, dass dreißig bis fünfzig Prozent aller Onlinerezensionen gefälscht sind, je nach Branche und Sicherheitsmaßnahmen der Plattform. Zumindest müssen wir unseren Blick schärfen, nicht jedes Jubeln für bare Münze nehmen. Oder mal wieder unsere Freunde fragen, welches Buch oder welches Hotel sie uns empfehlen.
Text: Christoph Koch
Fotos: Norman Konrad
Erschienen in: NEON
ich habe ein Praktikum bei einer solchen Firma gemacht und kann sagen, dass die Branche wirklich sehr gefährlich und skrupellos ist. Konsumenten werden im Internet irregeführt und zum Kauf bestimmter Produkte verleitet. Wer gibt aber die Garantie dafür, dass es keine Produkte wie Glücksspiele, Pharmaprodukte oder überhaupt für politische Parteien sind?