Der Amerikaner Stephen Leatherman prämiert jährlich die zehn besten Strände. Nach wissenschaftlichen Kriterien.
Wie kommt ein seriöser Wissenschaftler zu dem Namen »Dr. Beach«?
Ich bin Geowissenschaftler und unterrichte an der Uni. Einer der beliebtesten Kurse heißt »Wellen und Strände« und befasst sich unter anderem mit Stranderosion. Viele meiner Studenten feiern zu viel und sind tagsüber müde – als ich einmal einen von ihnen weckte, wusste er meinen Namen nicht und sagte nur: »Sorry, Dr. Beach!«
Jedes Jahr erstellen Sie eine Rangliste der besten Strände der USA. Wie kamen Sie dazu?
Ein anderer meiner Studenten wurde Redakteur bei einem Reisemagazin und fragte mich, ob ich ihm eine Liste der zehn besten Strände schreiben könnte. Nachdem diese Liste erschienen war, klingelte mein Telefon Sturm. Bürgermeister von Küstenorten und Strandliebhaber aus dem ganzen Land waren dran: »Wie kommt mein Strand auf Ihre Liste?« Also stellte ich fünfzig Kriterien auf, nahm mir zwei Jahre Zeit, und seit 1989 veröffentliche ich jedes Jahr meine offiziellen Top Ten.
Wie viel Zeit verbringen Sie im Durchschnitt am Strand?
Wenn ich forsche, wie momentan zum Thema Rippströmung, bin ich oft am Strand. Meine Konferenzen finden nicht in Hotels in Las Vegas statt, sondern am Meer. Meine Freizeit verbringe ich auch am Strand – ich rechne es nicht zusammen, aber ich bin sicherlich etwa die Hälfte meiner Zeit dort.
Sammeln Sie alle Daten für Ihr Ranking selbst ein oder schicken Sie Studenten los?
Am Anfang habe ich wirklich jeden einzelnen Strand selbst besucht. Jetzt habe ich Leute vor Ort, die mir Informationen schicken und mich wissen lassen, wenn sich etwas ändert. Aber alle Strände, die eine reelle Chance haben, in die Top Ten zu kommen, besuche ich nach wie vor selbst.
So sehr verändert sich ein Strand doch gar nicht – müssten nicht jedes Jahr dieselben Strände gewinnen?
Jeder Strand kann nur einmal gewinnen. Danach kommt er in eine Art »Hall of Fame« und darf nicht mehr antreten. Außerdem ändern sich Strände durchaus: Sei es durch Wirbelstürme oder andere Naturkatastrophen, sei es, weil die Stadtverwaltung ein Rauchverbot einführt. Der beste Strand 2011, Siesta Beach in Sarasota Florida, ist ein rauchfreier Strand. Das macht viel aus, denn Zigarettenkippen brauchen ewig, bis sie verrotten, Tiere fressen sie, können sie aber nicht verdauen und so weiter.
Was unterscheidet einen okayen Strand von einem Top-Ten-Strand?
Am wichtigsten sind sauberer Sand und sauberes Wasser. Weißer Sand ist besser als dunkler, und feiner Sand ist besser als grober. Das Wasser muss warm sein, algenfrei und sicher: Zu starke Strömungen oder zu hohe Wellen, wie es sie oft in Hawaii gibt, bedeuten Punktabzug. Dazu kommt die Infrastruktur – Parkplätze, Toiletten, Duschen und so weiter.
Ein gerader Strand bekommt bei Ihnen mehr Punkte als ein gebogener – ist das nicht sehr subjektiv?
Das stimmt, ein bisschen schon – aber bei einem langen geraden Strand haben Sie einen viel weiteren Horizont, also einen besseren Ausblick. Solche ästhetischen Kriterien zählen für mich auch.
Wenn ich eine Reise plane: Wie kann ich die Qualität eines Strandes von meiner Couch aus einschätzen?
Das ist sehr schwierig.
Ich würde mit Google Earth anfangen.
Ja, damit können Sie schon mal erkennen, welche Form der Strand hat und wie weiß der Sand ist. Sie können sehen, ob große Hotels in der Nähe sind oder ob eine Autobahn oder Kläranlage unmittelbar danebenliegt. Mit ein wenig Glück finden Sie sogar heraus, welche Art von Wellen es dort gibt. Was Sie leider nicht sehen können, ist, wie es unter der Wasseroberfläche aussieht. Ob es scharfkantige Felsen gibt oder schnelle Strömungen. Und ob das Wasser sauber ist.
Wie kann ich das von zu Hause herausfinden?
Die Beschaffenheit der Felsen am ehesten, indem Sie jemanden vor Ort anrufen, zum Beispiel die Küstenwache. Das kann aber etwas umständlich sein. Für die Wasserqualität gibt es die Blue-Flag-Auszeichnung, mit der Strände auf der ganzen Welt mit besonders sauberem Wasser ausgezeichnet werden. Aber am Ende müssen Sie den Strand einfach ausprobieren – oder meiner Liste vertrauen.
Dort führen Sie aber nur amerikanische Strände auf. Kennen Sie auch die Küsten Europas?
Oh ja, ich habe es nur noch nicht geschafft, alle Strände dort zu besuchen. Und nur so könnte ich eine fundierte Liste erstellen. Aber sagen wir so: Ich arbeite daran.
Welches sind bisher Ihre europäischen Lieblingsstrände?
Die Strände an Englands Südwestküste sind wundervoll! Das Wasser ist ein wenig kühl, deswegen sind sie als Badestrände angenehm unterschätzt. Mein Favorit ist Lulworth Cove: ein riesiger kreisrunder Strand, der vorne nur eine winzige Öffnung zum Meer hat. Er ist vor 10 000 Jahren durch unterschiedlich harte Gesteinsschichten entstanden und sieht atemberaubend aus. Die Strände der Kanalinsel Jersey vor der Küste der Normandie sind ebenfalls traumhaft. Dort ist das Wasser schon ein wenig wärmer. Großartig ist auch der Strand der kleinen dänischen Stadt Skagen, die auf einer großen Landzunge liegt.
Und wenn man es warm mag?
Dann empfehle ich Cleopatra’s Beach auf der kleinen türkischen Insel Sehir. Etwas weitab vom Schuss, aber dafür wahnsinnig feiner Sand und kristallklares Wasser, durch das man bis zu dreißig Meter tief auf den Grund schauen kann.
Wo sollte man Ihrer Meinung nach nicht hinfahren?
Von den Stränden in Ägypten war ich enttäuscht. Zu viel Verschmutzung.
Versuchen Städte oder Hotels oft, Ihre Liste zu beeinflussen?
Ich werde dauernd eingeladen. Aber ich nehme nie an. Ich komme inkognito, und niemand weiß, wann. Nur so kann meine Liste unabhängig und relevant bleiben.
Haben sich schon Leute beschwert, weil Sie deren Geheimtipp verraten haben?
Manchmal. Aber ein ganz kleiner Strand, den niemand kennt, kommt eh nicht in meine Top Ten. Ich achte schon darauf, dass genügend Kapazitäten da sind, um den folgenden Besucherstrom zu verkraften. Außerdem muss es ja sanitäre Anlagen und Parkplätze geben, damit es überhaupt für eine gute Platzierung reicht.
Jedes zweite Roadmovie endet am Meer. Warum sind Strände so ein magischer Sehnsuchtsort?
Da gibt es viele Gründe: Man kommuniziert direkt mit der Natur, wenn man am Meer ist. Im Gegensatz zur Stadt hat man einen weiten Horizont, man kann den Blick in die Ferne schweifen lassen, das ist sehr erholsam. Ich glaube sogar, dass es etwas damit zu tun hat, dass wir Salz in unserem Blut haben und deswegen Salzwasser uns magisch anzieht. Das Meerwasser reinigt unsere Haut, die Luft, die vom Meer kommt, ist frei von Schadstoffen und Pollen. Es gibt unzählige Krankheiten, bei denen einem ein Aufenthalt am Meer verschrieben wird. Und hey, das ganze Leben auf diesem Planeten entspringt dem Meer!
Brian Wilson von den legendären Beach Boys ließ sich Sand in sein Wohnzimmer schütten, um beim Komponieren am Klavier Sand unter seinen Füßen zu spüren. Können Sie ihn verstehen?
Absolut! Ich habe ihn sogar mal getroffen, als wir gemeinsam in einer Fernsehsendung waren. Guter Typ. Ich verstehe Menschen nicht, die am Strand ihre Schuhe anlassen oder in Strandschuhen herumlaufen. Das ist doch eine Sünde!
Sie forschen auch zum Thema Klimawandel. Wie wird er unsere Strände beeinflussen?
Das größte Problem ist der Anstieg des Meeresspiegels. Das führt zu Erosion und damit dazu, dass Strände immer steiniger werden. Das ist schon jetzt ein Problem, aber es wird noch schlimmer werden.
Nach der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko haben Sie jedoch Entwarnung gegeben. War damals alles halb so wild?
Es gab Schäden in Louisiana, ansonsten war es an den Stränden wirklich weniger schlimm als befürchtet. Natürlich ist so ein Unfall nicht gut, aber das meiste Öl blieb rund hundert Meilen von der Küste entfernt.
Stimmt es, dass Sie Präsident Obama damals dazu brachten, ins Meer zu springen?
CNN fragte mich, was der Präsident tun solle, um zu zeigen, dass keine Gefahr besteht. Ich sagte: »Ganz einfach: Wenn er selbst ins Wasser geht, kann er beweisen, dass es sicher ist.« Kurz danach gingen Obama und seine Familie tatsächlich im Golf von Mexiko schwimmen. Keine Ahnung, ob er meinem Rat gefolgt ist oder seiner eigenen Intuition.
Interview: Christoph Koch
Erschienen in: NEON
Fotos: Stephen Leatherman