In der neuen Reihe “Mein Medien-Menü” stellen interessante Menschen ihre Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten vor. Ihre Lieblingsautoren, die wichtigsten Webseiten, tollsten Magazine, Zeitungen und Radiosendungen – aber auch nützliche Apps und Werkzeuge, um in der immer größeren Menge von Informationen, den Überblick zu behalten und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Jeden Montag also ein neues Medien-Menü – diese Woche mit Dirk von Gehlen, Redaktionsleiter bei jetzt.de und Autor von „Mashup – Lob der Kopie„.
Hätten die Bildschirme, Buch- und Zeitungsseiten Augen und könnten aufzeichnen, wann ich wiederum sie anblicke, sie könnten diese Kolumne hier vermutlich wahrheitsgetreuer beantworten als ich. Der große, flache Bildschirm, der seit kurzem an der Wand hängt, würde zum Beispiel erzählen, dass er sich sehr ein wenig unnütz fühlt. Dass er nur selten klassisches Fernsehprogramm anzeigt, sondern höchstens mal mit einem USB-Stick oder DVDs gefüttert wird (über Serien, ihre Erzählstruktur und den Einfluss auf die Gesellschaft ist an unterschiedlicher Stelle alles gesagt. Deshalb nur ein paar Titel, die belegen, dass davon das allermeiste stimmt: Mad Men, Black Mirror, Modern Family, Homeland, Breaking Bad).
Vorausgesetzt der große Bildschirm an der Wand käme überhaupt zu Wort. Denn viel häufiger beobachtet mich ein viel kleinerer Bildschirm beim Medienkonsum: der meines iPhones. Das kleine Gerät ist nicht nur ständig an der Akku-Grenze, sondern auch ständiger Begleiter. Durch die Twitter- und der Instapaper-App ist es zu der zentralen Schnittstelle meines Medienkonsums geworden. Dank Feedly und Flipboard werden auch all die Blogs in den Kanal eingespeist, die ich täglich und gerne lese (z.B. Ronny Grobs „Sechs vor Neun“-Tipps, Nerdcore, Netzpolitik, iRights, Song des Tages, kottke, Mashable) – und dass ohne das schlechte Gewissen, das der Google Reader im Browser mit seiner stets vierstelligen Zahl ungelesener Einträge ausstrahlt. Der weitüberwiegende Teil meines Text-Konsums läuft über diesen Bildschirm und zeigt mir: Die These vom Nicht-Lesen auf Bildschirmen ist zumindest für mein Medien-Menü nicht haltbar. Lange Texte aus Guardian, New Yorker oder The Atlantic werden hier nicht nur regelmäßig angespült, sondern auch sehr gerne gelesen.
Mehr noch: Bei mir spielt der kleine Smartphone-Schirm sogar eine wichtigere Rolle als der des größeren Tablets, auf dem ich zwar Wired, SZ und Intro abonniert habe und dann und wann in die FAS gucke, der mich aber trotzdem viel seltener sieht. Er ist mir im Vergleich zum iPhone irgendwie zu träge und im Vergleich zum klassischen Buch doch zu flüchtig. So bestelle ich diese (noch) klassisch auf Papier – übers iPhone (zuletzt Kevin Kelly, Moritz Volz und Zygmunt Bauman). Da ich dank Zattoo auch immer häufiger auf das Telefon genannte Gerät blicke, wenn ich dann doch mal klassisches Fernsehen schaue (sehr gerne Sportschau, die heute-show und das anprangernswert auf 23 Uhr verlegte Sportstudio), würde dieser Bildschirm sicher einen großen Wortanteil für sich beanspruchen.
Das Radio würde sich sehr darüber wundern und fragen, warum hier nur von Bildschirmen und Papier die Rede ist (skandalöserweise habe ich bisher keine taugliche Radio-App gefunden, die mich zufrieden stellt). Das Live-Programm von B5aktuell und DeutschlandRadio-Kultur gehören tatsächlich auf mein Medien-Menü – genau wie ausgewählte Podcasts aus dem zum Teil herausragenden öffentlich-rechtlichen Angebot, die ich live sehr selten anhören kann (hr2 Der Tag, breitband, Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs oder Marc-Uwe Klings „Neues vom Känguru“).
Das Papier der Süddeutschen Zeitung würde sich sehr entspannt zurücklehnen und von seiner steten Präsenz in meinem Medien-Menü berichten. Hier würde ich ergänzen, dass mich das Prinzip Zeitung am Abend sehr beglückt, also die Lektüre der Zeitung des Folgetages schon am Abend zuvor – zum Beispiel auf der iPad-App. Eine ähnliche Ruhe in der Wortmeldung würde vermutlich von dem Magazin-Papier der 11 Freunde (die Abo-Lieferung im Briefkasten ist stets wie ein netter Brief von einem – tatsächlich – Freund), Neon, Nido, enorm, Guardian Weekly und Spiegel ausgehen, die ich meist auch im privaten Kontext lese. Zeit und taz, seltener FAZ und Stern und leider fast nie mehr die Frankfurter Rundschau würden aus dem Altpapier-Eimer in der Redaktion antworten, sie lese ich eher beruflich.
Da wir aber spätestens seit den Kindheitstagen, in denen wir spekulierten, ob der Tagesschau-Sprecher sieht, dass wir nur einen Schlafanzug tragen, wissen, dass das Fernsehen nicht zurückgucken kann, ist das alles nur eine fixe Idee und meine Antwort auf die Medien-Menü-Frage lautet korrekterweise: Mein Medien-Menü verändert sich sehr schnell und sehr grundlegend.
Text: Dirk von Gehlen
Foto: Gerald von Foris
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Vielen Dank an “The Atlantic Wire” für das wundervolle Format (dort heißt es “What I Read”). Wer Vorschläge hat, wer in dieser wöchentlichen Rubrik auch einmal zu Wort kommen und seine Lieblingsmedien vorstellen und empfehlen sollte, kann mir gerne schreiben.
Disclosure: Mit vielen der Menschen, die hier in “Was ich lese” ihre Mediengewohnheiten vorstellen (werden), bin ich befreundet oder zumindest leidlich bekannt.