In der Reihe “Mein Medien-Menü” stellen interessante Menschen ihre Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten vor. Ihre Lieblingsautoren, die wichtigsten Webseiten, tollsten Magazine, Zeitungen und Radiosendungen – aber auch nützliche Apps und Werkzeuge, um in der immer größeren Menge von Informationen, den Überblick zu behalten und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Jeden Montag also ein neues Medien-Menü – diese Woche (nach einer Woche Pause wegen Faulheit) zu Gast: der Münchner Autor und Moderator Friedemann Karig.
Morgens wache ich auf, streichle mit geschlossenen Augen neue Mails und Nachrichten aus dem iPhone und versuche, an der Temperatur des Touchscreens die Nachrichtenlage zu erfühlen. Dann hebe ich die Lider und schaue, was die irren Frühaufsteher bei Twitter melden; freue mich, wenn ich mit ein, zwei schönen Momenten schnell an den Punkt meiner Timeline komme, an der mir gestern die Augen zufielen. Manchmal leitet mich dabei ein interessanter Link weit hinein in den Morgen: Ich beginne zu lesen, was mir meine hervorragend funktionierende Filterblase anträgt, und auf einmal sitze ich frisiert und koffeiniert am Schreibtisch, ohne zu merken, dass ich das Endgerät gewechselt habe. Mir ist nämlich fast egal, wie und wo ich einen Text lese: Print, Laptop, Handy – nahezu gleich. Schmökere ich auf etwas portablem, laufe ich derweil herum und finde mich nach der letzten Zeile an einem Ort (Balkon, Speisekammer, Wand neben Schuhregal) wieder, dessen ganz eigene Atmosphäre die Lektüre bereicherte.
Ich habe die ZEIT abonniert, mit der ich leidlich zufrieden bin, die ich fast vollständig lese und nur manchmal verwünsche (Stichwort: Guttenberg, Urheberrecht, dauernde Uhrenhefte des ZEIT-Magazins). Viele andere Publikationen lese ich Tage nach ihrem Erscheinen, wenn ich in der Wohnung von Freunden darüber stolpere und dann dreißig Minuten „asozial“ bin, wie sie es nennen. Denn seit ich meine Abos zusammengestrichen habe, ist jedes herumliegende GEO-Heft, jedes übrig gebliebene FAS-Feuilleton ein Schatz.
Auf Dauer jedoch machen die meisten Blätter keinen Spaß. Der SPIEGEL war mir zu deprimierend, die Süddeutsche zu oft und ihr Sportteil dubios. Also habe ich sie abbestellt und freue mich über einzelne, für die Zugfahrt gekaufte Exemplare ausnahmsweise sehr. Auch wenn sie unterwegs oft zugunsten der ominösen „guten Bücher“ vernachlässigt werden, von denen im Urlaub dutzende wegkonsumiert werden wie Aperitifs auf der Sonnenterrasse. Jesses, das liest sich richtig unsympathisch!
Ach, apropos unsympathisches Bahnfahren: Das Lesen des Bahnmagazins „mobil“ bereitet mir ein perverses Vergnügen, ähnlich dem schmerzenden Züngeln an einer beginnenden Zahnfleischentzündung. Wer sich wie die Bahner traut, Judith Rakers als „erfrischend anders“ zu betiteln, verdient Aufmerksamkeit.
Ich lese die üblichen Blogs und ein paar unüblichere. Über die Jahre bin ich ein bisschen zum trotzigen Fanboy dieser unterschätzten Schreiber geworden, empfehle sie bis zur Penetranz und wundere mich, dass keiner von den schlauen Intellektuellen mal da nachliest, was er meinen soll. Denn die Jungs und Mädels haben oft sehr viel Recht. Der großartige Andreas Altmann hat neulich hier geantwortet, was er an Blogs liest: Keine, Herr bewahre! Das ist eine autokastratische Abwehrhaltung, die ich anprangere und überkompensiere mit dem regelmäßigen Konsum von 20+ Blogs. Neben den üblichen Verdächtigen (Netzpolitik, Neunetz, Hyperland, von Gehlen, Kappes, Schwenzel, Lobo, Niggemeier, Wattig, Bunz, Passig) auch einige unübliche (Sprachlog, Zeichenlese, Glumm).
Typische Auswahl? Ich bin wohl ein Netzkonservativer. Bei dieser Gelegenheit möchte ich eine Frage wiederholen, die auf Twitter bisher keine Antwort fand: Warum gibt es keine halbwegs lesbaren deutschen Literaturblogs? Oder übersehe ich sie seit Jahren?
Grundsätzlich lese ich an normalen Tagen die Online-Ausgaben der großen Zeitungen quasi komplett durch bzw. so lange, bis mein Menschenhass auswächst. An guten Tagen habe ich dazu keine Zeit.
In diesem Kontext wirkt der Klick auf Sport als Pausensnickers des Geistes. Ich lese dementsprechend sehr, sehr viele Sportnachrichten, und stimmte der Schockoriegel-Vergleich, wäre ich intellektuell adipös. Ich hasse dabei fast jede Fußballanalyse leidenschaftlich: Die Süddeutsche beispielsweise hat keine Ahnung und Ihre Einzelkritik ist ein schlechter Witz, Spiegel Online ist geradezu grotesk inkompetent, die 11 Freunde kümmert sich viel zu sehr um Folklore. So ist das eben beim Fußball. In letzter Zeit habe ich spox.com liebgewonnen, da schreiben demütige Kenner mit einer gewissen Verschrobenheit über die informationsintensivste Nebensache der Welt, ohne dass ich bei der Lektüre mit dem Vollspann zucken muss. Und kompetenten Aggregatoren wie Raphael Honigstein kann man blind vertrauen.
An dieser Stelle fällt mir auf, dass ich wirklich eher Personen als (Medien-)Marken folge; über Twitter und Facebook und Google+ und deren Blogs. Ich lese, was sie mir empfehlen. Das minimiert den Bullshit-Ratio und ist die Zukunft. Meine Antwort auf die Frage „Von wem fühlst Du Dich besonders gut informiert?“ wären wohl einige Namen aus meinen Timelines.
Wenn ich jedoch ernsthaft arbeite, besonders so lange ich etwas schreibe, bin ich stolz darauf, all diese „Ablenkungen“ stundenlang sein lassen zu können, und zwar ohne Tricks. Einfach die Internetverbindung zu kappen ist Selbstbetrug. Man muss diesen Kampf schon ausfechten und gewinnen, sonst ist der Sieg nichts wert.
Meistens lese ich fünf Bücher parallel. Wenn ich das Gefühl habe, nach 10 Seiten schon die nächsten 300 zu kennen, bleibt das Buch aufgeschlagen und gedemütigt neben meinem Bett liegen, bis es einen Knick im Rücken hat. Wenn ich mich auf den ersten zehn Seiten schon mehrmals sehr echauffieren muss über unterirdischen Stil, himmelschreiende Dummheit oder einfach umfassende Schlechtigkeit, werfe ich das Buch wortwörtlich und nicht ohne den Genuss meiner eigenen Theatralik an die Wand; dass es vom Aufprall direkt hinter die Kommode rutscht und dort verschimmelt. So widerfahren zuletzt: „Der Hundertjährige, der die Hauptfigur in einer prätentiösen, einfältigen Geschichte sein muss“. Will das jemand geschenkt?
Gute Bücher werden hingegen verehrt und noch lange exponiert herumliegen gelassen, auf dass mich ein Besuch darauf anspricht und ich ein Loblied singen kann. Wie beispielsweise zuletzt bei Ernst Ruge „In Zeiten des abnehmenden Lichtes“, alles von den guten irren Amerikanern (Franzen, Wallace, Boyle), Wolfgang Büschers Pathostrips durch Deutschland.
Sachbücher lese ich auch, konnte mich aber seit Clay Shirky nicht mehr vehement für ein spezielles begeistern. Gerne bestelle ich in der Staatsbibliothek zu München 14 Bücher zu einem Thema und blättere alle akademisch kurz durch, überschreite die Leihfrist um einige Tage und fühle mich angemessen auktorial.
Ich besitze einen Kindle und habe darauf zuletzt einen sehr mittelmäßigen pseudohippen Krimi gelesen. Noch ist das eBook bei mir nicht durchgebrochen, einfach weil ich keine Lust habe, fast so viel Geld für eine Datei wie für ein Buch (WIE FÜR EIN BUCH!!) zu bezahlen. Kommt aber sicher demnächst, Stichwort Bundle-Angebote: bei Kauf des Buchs gibt´s das eBook für 30% dazu, ach nein, Buchpreisbindung, tja, Pech. Mag den Kindle trotzdem. Besitze kein iPad.
Für seriöses Radiohören bin ich wohl zu ungeduldig – eine Schwäche, an der ich arbeiten werde, falls ich mal selber Radio mache. Dementsprechend höre ich auch niemals Podcasts. Und das Konzept „Hörbuch“ habe ich nie verstanden. Aber ich sehe sehr gerne Fail-Videos auf youtube. Dann sitze ich mit meinem Mitbewohnerfreund kichernd vorm Rechner und bin wieder elf. Toll.
Ich schaue inzwischen wieder recht viel „Fernsehen“, ausschließlich auf dem Laptop, weil kein Fernseher vorhanden. Und zwar alles, was die Filterblase so ranspült: Reportagen, Berichte, Skurriles. 80% aus quasiprofessionellem Interesse, 20% aus Spaß. In die erste Kategorie fallen vor allem Talksendungen und thematisch Relevantes, immer nur so lange, wie ich das meist schwache Niveau des Bedenkenträgerfernsehens ertrage. In die erste und zweite gehört bspw. vieles auf den ZDF-Spartensendern (Roche & Böhmermann, Stuckrad Late Night, NeoParadise, denn deren sanfte Infantilisierung bringt mich verlässlich zum Lachen), die dort ausgestrahlten Dokumentationen und Reportageformate (bspw. Herr Eppert), ein bisschen Harald Schmidt, mal einen Brennpunkt, mal ein Heute Journal.
Und natürlich konsumiere ich als guter Staatsbürger den kompletten öffentlich-rechtlichen Sonntagabend. Denn wer dann nicht angekatert Fernsehen schaut, egal ob Tatort (manchmal), Scheck (oft), TTT (auch oft) oder Krömer (mitteloft), ist entweder Terrorist oder tot.
Ich schaue natürlich die üblichen amerikanischen Serien und manchen Film im Original – und zwar aus Verfügbarkeitsgründen fast ausschließlich illegal. Im Gegenzug bezahle ich monatlich sehr gerne ein bisschen Geld, um die Bundesliga auf dem iPhone sehen zu können. Wer jemals an einem verregneten verkaterten Samstagmittag die Konferenz auf dem Handy im Bett schauen durfte, versteht.
Neulich habe ich festgestellt: Ich lese mehr denn je. Ich habe niemals zuvor in meinem Leben so genau auswählen können, was ich konsumieren möchte, und muss trotzdem nicht auf obskure Fundstücke verzichten, die betrunkene Menschen nachts verbreiten. Vielleicht ist das die große Stärke des Netzes: Es kennt keine Promillegrenze.
Friedemann Karig ist freier Autor und Moderator und bloggt auf alrightokee.de. Letztes Jahr moderierte er das WebTV-Format Ehrensenf und präsentierte auf der IAA 2011 für Mercedes. Man hört, er twittere auch.
Text & Foto: Friedemann Karig.
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Vielen Dank an “The Atlantic Wire” für das wundervolle Format (dort heißt es “What I Read”). Wer Vorschläge hat, wer in dieser wöchentlichen Rubrik auch einmal zu Wort kommen und seine Lieblingsmedien vorstellen und empfehlen sollte, kann mir gerne schreiben.
Disclosure: Mit vielen der Menschen, die hier in “Was ich lese” ihre Mediengewohnheiten vorstellen (werden), bin ich befreundet oder zumindest leidlich bekannt.
Pathostrips durch Deutschland
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Schon passiert. Danke für den Hinweis!