In der Reihe “Mein Medien-Menü” stellen interessante Menschen ihre Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten vor. Ihre Lieblingsautoren, die wichtigsten Webseiten, tollsten Magazine, Zeitungen und Radiosendungen – aber auch nützliche Apps und Werkzeuge, um in der immer größeren Menge von Informationen, den Überblick zu behalten und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Jeden Montag also ein neues Medien-Menü. Diese Woche: der Journalist und Autor Malte Herwig.
Wie informierst du dich morgens als erstes?
iPhone im Bett wäre wie Bier vor dem Zähneputzen. Zeitungen erst ab Mittag, sonst komme ich am Vormittag nicht zum Schreiben. Daher: morgens Radiowecker mit Deutschlandradio Kultur. Früher kam zum Aufwachen die Feuilletonpresseschau. Die ist nun auf 5.30 vorgelegt, und das ist wohl auch besser so. Man informiert sich als Journalist ohnehin zu inzestuös und achtet zu sehr auf die Kolleginnen, wenn man nicht aufpasst.
Welche Zeitungen / Magazine hast du im Abo oder liest du regelmäßig?
The Week, den Economist, Private Eye, Intelligent Life – alles Relikte aus den Jahren, als ich noch in England lebte. Die Engländer können kein Schwarzbrot backen, aber Schwarzbrot-Journalismus haben sie drauf: diese Magazine sind dicht und informativ, ab und zu ein unerwarteter schwarzer Witz wie eine Rosine im Pumpernickel. Dazu SZ, FAS, Wired und Newsweek im iPad Abo.
Was liest du auf Reisen?
Da ich seit einigen Jahren auf Städtereisen kein Gepäck mehr einchecke und nur eine kleine Tasche mitnehme: am liebsten Ebooks. So wenig Gepäck wie möglich, auch literarisches. Die Augen offen für die Umgebung, die Ohren auch.
Welche Nachrichtenseiten im Netz sind Dir wichtig?
SPON lese ich genau so wie manchmal die Bild: mit dem Vorsatz, mich davon nicht mehr ablenken zu lassen bei den wirklich wichtigen Dingen – und dann tu ich’s am nächsten Tag doch wieder. Außerdem: umblaetterer.de, den wunderbaren Prospero-Blog des Economist und Arts & Letters Daily.
Welche Blogs liest du?
Der großartige Deadline-Blog von Constantin Seibt – die Ausnahme von der Inzest-Regel oben: was Seibt da über das Handwerkszeug des Journalismus schreibt, ist so ehrlich, wahr und ungekünstelt, daß man den Blog allen angehenden Reportern als empfehlen sollte, bevor sie noch in ein Lehrbuch schauen. Ich lese Blogs nur über RSS oder, noch liebe, per Mail in die Inbox. Alle möglichen Seiten einzeln anzusurfen, wäre mir zu umständlich.
Was ist wichtige berufliche Lektüre für dich?
Alles, was mich auf ANDERE Gedanken bringt.
Welche Art von Büchern liest du am liebsten (Sachbücher, Fiction, Biografien)?
Sachbücher, zuletzt Jonathan Steinbergs großartige Bismarck-Biografie und Eric Gujers Buch über den Bundesnachrichtendienst.
Welches Buch hat dich in letzter Zeit am meisten beeindruckt?
Ein altes, das – genau wie seine Autorin – kein bisschen alt wirkt: Francoise Gilots „Leben mit Picasso“ als Vorbereitung für ein Interview, das ich mit ihr für das SZ-Magazin in Paris führte. Gilot war zehn Jahre mit Picasso zusammen und hat in den 60ern ein Buch über ihre Beziehung geschrieben. Es ist aber kein „kiss and tell“, wie sie heute am laufenden Band produziert werden, sondern eines der besten Bücher über das Künstlerleben überhaupt.
Welche Apps/Tools/Programme helfen dir, informiert zu bleiben?
Die wichtigste ist auch die einfachste: Google Alerts für Stichworte, die mich beschäftigen.
Wie viel liest du auf dem Smartphone, Tablet, o.ä.?
Seit es genügend hohe Auflösung bietet, fotografiere ich viel mit dem iPhone, z.B. Zeitungsartikel (statt sie auszuschneiden wie früher) oder wenn ich in Archiven unterwegs bin. Nach einem dreitägigen Besuch in den National Archives in Washington hatte ich knapp 4000 „Kopien“ auf dem iPad, die ich jederzeit durchsuchen kann beim Schreiben.
Welche Rolle spielen Leseempfehlungen/Links durch Soziale Netzwerke?
Twitter kann da ganz gut sein, aber ich verfolge das nie systematisch, sondern eher, wenn ich an der Bushaltestelle oder im Stau stehe. Die wichtigsten und exklusivsten Informationen und Tips gibt’s immer noch wie seit Urzeiten: persönlich auf Zuruf!
Von wem oder was fühlst du dich dort besonders gut informiert?
Von den Leuten, bei denen ich dafür sorge, dass sie ein Interesse daran haben, mich mit Informationen zu versorgen.
Gibt es tägliche oder wöchentliche Leserituale?
Seit meiner Kindheit muß ich beim Essen lesen, egal was. Wenn kein Magazin in Griffweite ist, dann eben den Text auf dem Milchkarton.
Wer sind deine Lieblingsautoren (Buch, Zeitung, Magazin)?
Ich habe nicht *den* Lieblingsautoren. Aber es gibt einige Autoren oder -innen, die Sachen geschrieben haben, die mich prägen und begleiten. Das können Bücher, Artikel oder Sätze sein, z.B. die letzten Verse aus T.S. Eliots „Love Song of J. Alfred Prufrock“ („We have lingered in the chambers of the see…“) oder der Anfang einer Geschichte wie in Matthias Matusseks toller früher Reportage über das Provinztheater in Anklam oder ein grandioser Satz mittendrin wie in William Langewiesches Reportage über das Haditha-Massaker von 2005: „Snipers permitting, you can walk it top to bottom in less than an hour, allowing time enough to stone the dogs.“ Aber ich wollte nie einen Bart wie Hemingway oder eine Bar wie Faulkner haben oder irgendeinem Autor ganz und gar nacheifern.
Gibt es eine Radio- oder Fernsehsendung, die du möglichst nie verpasst?
Deutschlandradio Kultur zwischen Kulturnachrichten (6.30h) und Politischem Feuilleton (7.20h).
Hast du einen Lieblings-Podcast?
Ich habe total viele Podcasts abonniert, komme nur leider zu selten dazu, sie mir anzuhören.
Wie haben sich deine Lesegewohnheiten in den letzten Jahren geändert?
Die Unterscheidung des Economist in Lean-Forward und Lean-Backward Medien trifft es ganz gut: wer will schon vor dem Computer gebückt eine lange Geschichte lesen? Tablets machen da schon einen großen Unterschied, weil man sich wieder zurücklehnen und körperlich auf den Text einlassen kann.
Ich habe irgendwann gemerkt, daß das Lesen immer kürzer, immer schneller, immer oberflächlicher wird. Seitdem reduziere ich meine Email und Internetnutzung bewußt. Übrigens gilt das auch für das Sehen: Vom Zweistunden-Spielfilm zur Zwanzigminuten-Serie zum Fünfminuten-Clip. Wie haben wir früher „Apocalypse Now“ in einem Stück runtersehen können? Das geht heute nur noch im Kino, wenn auch gewöhnlich nicht so radikal, wie ich es beim Internationalen Filmfestival von Pjöngjang in Nordkorea erlebt habe: dort hängten die Saaldamen einfach Eisenketten um die Türgriffe, sobald der Film anfing.
Das richtige Lesen geht heute eigentlich nur noch im Buch (meinetwegen auch E-Book). In der Hektik unserer Tage helfen da nur zwei Dinge: Muße oder Müssen. Entweder man zieht sich radikal zurück oder man muss um sein Leben lesen. Oder man lässt es eine Zeitlang ganz und denkt und schreibt stattdessen selbst. Schopenhauer hat das Zuviel-Lesen in seinem Essay „Wann wir Lesen, denkt ein anderer für uns“ mal damit verglichen, dass man nur noch in den Spuren anderer geht. Wenn ich dann schon lese, will ich wenigstens in frische Fußstapfen treten und nicht schon in tausendmal ausgelatschte. Peter Handke ist ein guter Autor für sowas, weil er Neuland erkundet.
Irgendetwas, das ich vergesse habe, du aber trotzdem gerne liest?
Angesichts der Reizüberflutung können wir es mit Johann Strauss halten: „Glücklich ist, wer vergisst“
Foto: Malte Herwig
Malte Herwig ist Reporter beim SZ-Magazin und schreibt nebenbei Bücher wie die viel beachtete Biografie des Schriftstellers Peter Handke („Meister der Dämmerung„, DVA). Aktuell arbeitet er an einem Buch über die Generation Grass und das Dritte Reich, das im Frühjahr 2013 erscheinen wird. Twitter: @malteherwig
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Vielen Dank an “The Atlantic Wire” für das wundervolle Format (dort heißt es “What I Read”). Wer Vorschläge hat, wer in dieser wöchentlichen Rubrik auch einmal zu Wort kommen und seine Lieblingsmedien vorstellen und empfehlen sollte, kann mir gerne schreiben.
Disclosure: Mit vielen der Menschen, die hier in “Was ich lese” ihre Mediengewohnheiten vorstellen, bin ich befreundet oder zumindest leidlich bekannt.