In der Reihe “Mein Medien-Menü” stellen interessante Menschen ihre Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten vor. Ihre Lieblingsautoren, die wichtigsten Webseiten, tollsten Magazine, Zeitungen und Radiosendungen – aber auch nützliche Apps und Werkzeuge, um in der immer größeren Menge von Informationen, den Überblick zu behalten und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Jeden Montag also ein neues Medien-Menü. Diese Woche: der reimende Blogger Ingo Neumayer.
Wie informierst du dich morgens als erstes?
Das iPhone ist zwar das erste, was morgens in die Hand genommen wird – aber nur, um meinen Wecker namens Frank Turner zum Schweigen zu bringen, der mir täglich unverdrossen “Build Me Up Buttercup” vorsingen will, es aber nie bis zum ersten Refrain schafft. Mails, Feeds und Timelines werden frühmorgens normalerweise nicht gecheckt. Danach wird uninformiert geweckt, uninformiert gefrühstückt, uninformiert in den Kindergarten gebracht. Auf dem Heimweg drängt sich meist die Titelseite des Express in mein Blickfeld und informiert über den aktuellen Stand in Sachen Dom, Poldi und Kölnische Selbstbesoffenheit. Dann setze ich mich an den Schreibtisch, und während ich mir auf der ukrainischen Fileshare-Seite meines Vertrauens das lang ersehnte Programm runterlade, mit dem ich sehen kann, wer auf meiner Facebook-Seite war, überfliege ich in der Regel drei Seiten für den ersten Überblick (und nicht immer in derselben Reihenfolge): Spiegel Online zum Aufregen, WDR.de und tagesschau.de zum Abregen. Danach stürze ich mich vollkommen chaotisch und unsystemisch auf offene Tabs, meinen Google-Reader, Facebook und, wenn ich ganz viel Zeit habe (also nie), aufs Tweetdeck.
Welche Zeitungen / Magazine hast du im Abo oder liest du regelmäßig?
Die Zeit, Süddeutsche (nur am Wochenende und montags den Sportteil, wenn was über den VfB drinsteht), Schinken Omi, GLS Bankspiegel, 11freunde, taz, Visions, Titanic, Nido, Kicker.
Was liest du auf Reisen?
Ich bin ein Print-Messie, der nichts Gedrucktes wegwerfen kann, ohne es zumindest einmal durchgeblättert zu haben – nicht einmal Chrismon oder die ADAC Motorwelt. Das führt zu konstanten eineinhalb Metern ungelesener Zeitungen und Zeitschriften in meinem Arbeitszimmer und sorgt auf Reisen dafür, dass ich alles an alten Zeitungen/Zeitschriften mitnehme, ohne dass der Rucksack platzt oder die Frau mich für verrückt erklärt. Die Freude beim Lesen besteht dann oft in der Erkenntnis, dass ein zwei Jahre altes Zeit-Dossier wider Erwarten doch so uninteressant ist, dass es nach einem Absatz bedenkenlos weggeworfen werden kann und der Eineinhalb-Meter-Stapel sich um 3-4 Millimeter verkleinert. Ach, und für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich den Wust während der Reise doch bewältigt kriege, nehme ich noch drei bis vier Bücher mit. Beziehungsweise seit neuestem: einen Kindle.
Welche Blogs liest du?
Ich würde gerne: alle. Ich schaffe: es leider nicht.
Highlights aus deinem RSS-Reader?
Unter den üblichen Verdächtigen, die jeder liest, kann man nicht oft genug www.spreeblick.com preisen – und das nicht nur, weil die Haeuslers schwäbischen Dichtern ein wöchentliches Forum geben, das diese zu blöd sind, regelmäßig zu nutzen. Sondern weil sie so nett und gescheit sind. Mich interessiert immer, was Michalis Pantelouris, Kathrin Hartmann und Hans Ulrich Gumbrecht zu sagen haben, ich lerne viel übers Übersetzen von Isabel Bogdan und ich freue mich jedesmal, wenn der Kioskforscher ein neues absurdes Magazin entdeckt und bespricht. Über Fußball lese ich bei angedacht.wordpress.com (ein VfB-Blogger, der auch vorzüglich dichten kann), www.spielverlagerung.de und www.zumblondenengel.de. Musik und Kultur gibts im Popblog der taz, auf http://www.thestoolpigeon.co.uk, bei http://www.noisemademedoit.com/ sowie www.coffeeandtv.de, www.britcoms.de und bei www.timtimebomb.com, wo der Rancid-Sänger fast jeden Tag einen neuen Song postet, der fast immer toll ist. Die Quatschblogs zum Schnellmalschmunzeln oder Wundern wechseln ständig, eine feste Konstante sind da nur Ugliest Tattoos. Dazu kommen derzeit Gruftis auf Bäumen, unkonventionelle bis versagende Eltern, protzende Rapper, Furchen in Promi-Gesichtern und www.2m40.com, ein Blog über niedrige Tunnels und zu hohe LKW. Ansonsten empfehle ich das Supermarktblog, Publikative sowie http://www.ironicsans.com/, wo ein Grafiker seine seltsamen Erfindungen vorstellt und Letters of Note, ein Blog für meist unbekannte Briefe von bedeutenden und prominenten Personen. Die Prise Retro-Style hole ich mir bei http://theselvedgeyard.wordpress.com/, und bei www.mymodernmet.com kann man auch immer mal wieder Schönes entdecken. Wenn ich mich aber tatsächlich auf nur einen einzigen Feed beschränken müsste, wäre das www.dangerousminds.com: Pop, Politik, Kultur, Weirdo-Kram, Gestern und Morgen – und das alles mit Haltung und Geschmack.
Was ist wichtige berufliche Lektüre für dich?
Wenn ich tagesaktuell arbeite, ist die “Rheinische Post” mit am wichtigsten als Bullshit-Detektor, um unnötige Recherche zu vermeiden. Denn man kann sicher sein: Alles, was dort prominent platziert ist, ist entweder übertrieben, falsch oder falsch verstanden. Ansonsten: Tagespresse, Nachrichtenagenturen, die üblichen Newsseiten im Netz.
Welche Art von Büchern liest du am liebsten (Sachbücher, Fiction, Biografien)?
Gute – zumindest ist das das Ziel. Ansonsten gibt es keine Präferenzen. Sachbücher und Biografien eher aus professionellen Gründen, aber manchmal („Der Wagner-Clan“ von Richard Carr, die Marshall McLuhan-Biografie von Douglas Coupland) wird beruflich angefangen und privat zu Ende gelesen. Die Romane, die ich in letzter Zeit gelesen habe, handeln erstaunlicherweise oft von Schach, spielen in New York oder sind von russischen Autoren – keine Ahnung warum: Zuletzt waren das „Die Vereinigung jiddischer Polizisten“ von Michael Chabon, „Chronic City“ von Jonathan Lethem, „Lushins Verteidigung“ von Vladimir Nabokov, „Die Nase“ von Nikolai Gogol, „Oblomow“ von Iwan Gontscharow, „A Visit From The Goon Squad“ von Jennifer Egan. Gerne, aber viel zu selten, nehme ich auch Graphic Novels in die Hand. „100 Bullets“ etwa – viel besser kann eine Story über Killer, Verschwörungen und Rache nicht sein.
Welches Buch hat dich in letzter Zeit am meisten beeindruckt?
„Die Blendung“ von Elias Canetti. Ein total irres Buch – in jeder Hinsicht. Und es hat auch mit Schach zu tun, fällt mir gerade auf.
Welche Apps/Tools/Programme helfen dir, informiert zu bleiben?
Browser, RSS-Reader. Und mit Pocket habe ich das digitale Äquivalent zu meinem Zeitungsstapel im Arbeitszimmer: Aktuell warten dort 330 ungelesene Artikel.
Wie viel liest du auf dem Smartphone, Tablet, o.ä.?
Ein Tablet habe ich nicht. Auf dem iPhone ab und zu Mails, Feeds über Byline, Artikel über Pocket.
Welche Rolle spielen Leseempfehlungen/Links durch Soziale Netzwerke?
Eine mittelgroße. Oft geistert der Link ohnehin schon irgendwo durch den RSS-Reader, aber Facebook hilft natürlich beim Perlenpicken. Zuletzt nutze ich Facebook mittels Spotify verstärkt, um auf neue Musik zu stoßen. Das klappt ganz wunderbar.
Wer sind deine Lieblingsautoren (Buch, Zeitung, Magazin)?
Buch: Jonathan Lethem, Magazin: Chuck Klosterman
Gibt es eine Radio- oder Fernsehsendung, die du möglichst nie verpasst?
Sportschau, Lindenstraße, Tatort
Hast du einen Lieblings-Podcast?
Wie haben sich deine Lesegewohnheiten in den letzten Jahren geändert?
Ich merke, dass ich mich gerade von meinem RSS-Reader entfremde. Früher war der wirklich rund um die Uhr offen und wurde bearbeitet, heute bleibt er manchmal tagelang unangerührt.
Und das Ziel, die Zahl der ungelesenen Feeds am Ende des Tages bei Null zu haben, ist ferner denn je. Heute bin ich froh, wenn die Zahl nur dreistellig ist. Und das ist sie auch nur, weil ich Artikel, bevor ich sie zum fünften Mal als “ungelesen” markiere, lieber nach Pocket rüberschiebe – damit sie dann dort vor sich hinmüffeln. Keine Ahnung, woran das liegt, aber der Optimismus des “Juhu, so viel Interessantes zu lesen!” hat sich bei mir in ein fatalistisches “Schaff ich doch eh niemals” verwandelt. Hmm. Vielleicht kommt ja was Neues für mich. Dieses Twitter soll ja recht interessant sein, habe ich im Focus gelesen.
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Vielen Dank an “The Atlantic Wire” für das wundervolle Format (dort heißt es “What I Read”). Wer Vorschläge hat, wer in dieser wöchentlichen Rubrik auch einmal zu Wort kommen und seine Lieblingsmedien vorstellen und empfehlen sollte, kann mir gerne schreiben.