Digitale Rettung für die Musikindustrie?

Written by on 30/05/2013 in Neon with 2 Comments

Seit 1999 sind die Umsätze der Musikbranche beständig gefallen. Jetzt geht es zum ersten Mal wieder aufwärts. Ist die Krise der Plattenfirmen überwunden?

Philip Ginthör, CEO von Sony Music in Deutschland, Österreich und der Schweiz, freute sich »wahnsinnig«, als er zum ersten Mal die magische schwarze Zahl hörte. Sie lautet 0,3. Um so viel Prozent ist der Umsatz der Musikbranche 2012 weltweit gewachsen. Seit 1999 waren die Umsätze der Branche kontinuierlich geschrumpft, von 38 Milliarden Dollar auf rund 16 Milliarden. Die CD-Verkäufe brachen ein, Plattenfirmen machten dicht, wer im Umfeld der Branche arbeitete, bekam Anfang der Nullerjahre ständig Abschiedsmails: »Heute ist mein letzter Arbeitstag hier bei …« Es war schlimm.

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Nach dreizehn Jahren Sturzflug sind 0,3 Prozent Zuwachs ein Grund zum Jubeln. Zumal es sich – auch laut unabhängigen Branchenkennern – tatsächlich um eine Trendwende handelt. »Dieses Wachstum wird durch zwei Dinge befeuert«, sagt Ginthör, im deutschsprachigen Raum verantwortlich für das Geschäft von Künstlern wie Depeche Mode, Pink oder David Bowie: »Durch sehr gute Musik in einer nie da gewesenen Vielfalt. Aber auch durch die Digitalisierung, die es den Menschen ermöglicht, in neuen Nischen Musik zu entdecken und legal zu hören.« Ein Musikmanager, der die Digitalisierung lobt?

Lange hatte die Branche das Internet als Feind bekämpft: mit kopiergeschützten CDs, die plötzlich nicht mehr überall liefen, oder mit der gnadenlosen Jagd auf Filesharer, die dazu führte, dass Großkonzerne Teenager verklagten und sich dann über schwindende Sympathien wunderten. Doch tatsächlich ist es das Internet, das für die magische schwarze Zahl verantwortlich ist: Die legalen Musikdownloads über Plattformen wie iTunes oder Amazon steigen beständig, noch steiler aber zeigt die Kurve bei Musikabodiensten wie Spotify, Rhapsody oder Deezer nach oben: 44 Prozent Zuwachs im vergangenen Jahr. Wenn Apple und Google in den Streamingmarkt einsteigen, wie gemunkelt wird, könnte dessen Rolle noch wichtiger werden. (Update: Google hat inzwischen seinen Streamingdienst „Google Play Music All Access“ vorgestellt.)

Auch in Deutschland wuchsen die Einnahmen aus dem digitalen Bereich um knapp zwanzig Prozent, doch der Anteil am Gesamtumsatz ist so klein, dass der hiesige Markt 2012 noch leicht im Minus liegt. Das könnte sich ändern, wenn sich Dienste wie Spotify (in Deutschland erst seit März 2012 auf dem Markt) so breit etabliert haben wie in anderen Ländern. Denn es hat in den vergangenen Jahren kaum etwas genutzt, Filesharer zu verklagen oder illegale Downloadseiten zu schließen – Studien zeigen vielmehr, dass Onlinepiraterie zurückgeht, sobald es in einem Markt legale Angebote gibt.

Hartwig Masuch, der Chef von BMG, gibt zu, dass die Musikindustrie daher an der eigenen Krise mitschuldig ist. »Das Internet wurde vor allem als Gefahr gesehen. Die Branche nahm sich jahrzehntelang zu wichtig und wollte immer mehr bestimmen, wie ein Künstler auszusehen und zu klingen hat. Die Folge war ein sehr konformes Repertoire. Das ist nie gut.« Dem Musikbusiness habe die Krise daher gutgetan, sagt Masuch, den das Magazin Billboard kürzlich auf Platz 44 der 100 wichtigsten Menschen der Branche wählte. Darunter falle auch die Schrumpfung übergroßer Egos: »Früher gab es riesige Gehälter, Firmenflugzeuge und diese Haltung: ›Baby – ich mach dich zum Star!‹ Viel zu oft gibt es das immer noch – aber die Idee vom Musikmogul ist nicht mehr aufrechtzuerhalten.« Es gehe jetzt darum, den Respekt der Kunden, der Songwriter und Musiker wiederzubekommen: »Schließlich gibt es keine Künstlerbiografie von jemandem, der mehr als zehn Jahre im Geschäft war, in der nicht seitenlang die Unzufriedenheit mit Plattenfirmen beschrieben wird.«

Durch das Aufkommen des MP3-Formats, der Tauschbörsen und des iPods war die Musikindustrie die erste, deren Geschäftsmodell durch das Internet auf den Kopf gestellt wurde. Inzwischen geht es anderen Branchen ähnlich: Zeitungsverlage verklagen Google, die Filmindustrie kämpft so verbissen wie erfolglos gegen Filesharer, wie es die Musikkollegen taten, und die Buchbranche treibt Leser in den Wahnsinn, weil sich das auf dem iPhone gekaufte E-Book durch den Kopierschutz nicht auf dem Kindle weiterlesen lässt. Was ließe sich also von der Musikindustrie lernen? »Kreative und Fans müssen nicht uns verstehen, sondern wir müssen sie verstehen«, sagt Philip Ginthör. »Musikkonsum ist mobil, sozial, allgegenwärtig und personalisiert – das trifft auch auf viele andere Medien zu. Deshalb müssen alle noch schneller mit neuen Diensten und Angeboten auf den Konsumenten zugehen. « Hartwig Masuch sieht die größte Veränderung eher auf der Seite der Künstler: »Wenn früher Labels oder Verlage Nein sagten, hatte man keine Chance, Rockstar oder Buchautor zu werden«, sagt er. »Heute kann jeder zu Hause Musik in guter Qualität aufnehmen, sein Buch bei Amazon verkaufen und seine Filme bei Youtube zeigen. Ich bin erstaunt, dass die Buchbranche oder das Fernsehen so lange brauchen, um zu erkennen, dass es ihnen ebenso ergehen wird wie uns.«

Vereinzelt scheint die Erkenntnis jedoch anzukommen: In den USA, wo E-Books bereits eine größere Rolle spielen, werben erste Verlage Mitarbeiter der Musikindustrie ab, um sich das digitale Geschäft erklären zu lassen. Musikmanager, die das Internet verstehen – bis vor Kurzem wäre das noch ein hämischer Witz auf Twitter gewesen.

 

Die Masse macht‘ s: Wie viel verdienen Künstler woran?

Einmal viel

Bei einer fünfzehn Euro teuren CD landen rund drei Euro beim Künstler. Bei einem digitalen Albumdownload zu zehn Euro sind es etwa zwei Euro (variiert je nach Plattform und Labelvertrag).

Mehrmals wenig

Für das Abspielen seines Liedes bei einem legalen Streamingdienst bekommt der Musiker, je nach Verhandlung, etwa einen halben Cent. Klingt wenig – kann sich aber bei großen Acts läppern, je nach Häufigkeit der »Plays«. Allein die Plattform Spotify hat in weniger als einem Jahr weltweit über 250 Millionen Dollar ausgezahlt.

Text: Christoph Koch
Erschienen in: NEON

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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