»Von wegen fünf Sterne!« – Humblebragging ist überall

Written by on 12/11/2013 in Neon with 3 Comments

Was ist schlimmer, als schamlos mit etwas anzugeben? So zu tun, als würde man sich darüber beklagen.

»Ich kam, sah und siegte«, soll Julius Cäsar einst gesagt haben. Würde er heute leben, würde dieser Satz wohl so aussehen: »Ich kam, sah und siegte – muss man denn immer alles selber machen?« Eine neue Unsitte greift um sich – die des Angebens, garniert mit einer Prise Bescheidenheit oder ein wenig Gejammer. In den USA hat sich dafür der schöne Begriff »Humblebrag« etabliert.

Auf Deutsch klingt die wörtliche Übersetzung »Bescheidenheitsprahlen« nicht ganz so elegant, ebenso wenig »Angeberheulen« oder »Scheinjammern«. Vielleicht könnte man jemanden, der gleichzeitig prahlt und sich beschwert, als »Aufleider« bezeichnen?

humblebrag

Ganz egal, welchen Begriff man wählt, das Phänomen ist jedem bekannt: die Freundin, die sich in der Vorlesung beschwert, dass sie »so toooodmüde« ist von der wilden Feierei in diesem tollen neuen Club. Der Freund, der sich zwei Tage nach dem Erscheinen darüber beklagt, dass der neue Essayband von Jonathan Franzen »leider echt enttäuschend« sei. Ihnen genügt es nicht zu zeigen, wie aufregend ihr Partyleben ist oder wie schnell sie anspruchsvolle Bücher verschlingen. Sie wollen nicht nur Bewunderung, sondern – und das ist der Punkt, an dem es so schwer erträglich wird – auch noch Mitleid.

Es war Harris Wittels, Autor für amerikanische Fernsehserien wie »Parks and Recreation«, der das Phänomen vor einigen Jahren auf den Namen »Humblebrag« taufte. Mit einem gleichnamigen Twitter-Konto sammelte und retweetete er besonders schauderhafte Fälle. Zum Beispiel ein Zitat des Regisseurs Lee Unkrich, der geschrieben hatte: »Nur falls jemand denkt, mir sei das alles zu Kopf gestiegen: 36 Stunden nachdem ich den Oscar gewonnen habe, bin ich schon wieder zu Hause und mache eine verstopfte Toilette sauber.« Oder einen Tweet eines Mitgliedes der Band Two Door Cinema Club: »In dem Taxi, in dem wir sitzen, kam gerade ein Lied von uns im Radio. Total unangenehme Situation!« Der erfolglose Musiker, der in einem überfüllten Bus zum Arbeitsamt fährt, definiert »unangenehm« vermutlich anders.

Das Phänomen der falschen Bescheidenheit ist natürlich nicht auf Twitter oder Facebook beschränkt. Doch das Internet sei »das perfekte Medium dafür«, meint Wittels. Warum, weiß er selbst nicht so genau. Vielleicht liegt das an dem 140-Zeichen-Limit von Twitter, das für genau zwei Halbsätze reicht, von denen der eine sich dann scheinbar bescheiden über Großkotzigkeit des ersten mokiert; dann wäre die Aufleiderei ein Ergebnis sprachlicher Rhythmik. Vielleicht ist der Humblebrag auch der kleinste gemeinsame Nenner aus Mitteilungsdrang und Witzelzwang – beides sind von Facebook forcierte Verhaltenszüge.

Wittels hat jedoch auch Beispiele aus der analogen Vergangenheit parat. So habe der Nirvana- Sänger Kurt Cobain bei einem Konzert einmal geklagt, es sei schon eine seltsame Ironie: »Mein ganzes Leben lang habe ich alles getan, um mich von Sport fernzuhalten – und jetzt treten wir hier in diesem riesigen Sportstadion auf.« Aber solche Zitate waren damals noch etwas Seltenes.

Ist einem die Flause erst einmal aufgefallen, bemerkt man sie überall. Ob auf Facebook oder in der Trambahn, am Telefon oder in der Kantine: Wir alle humblebraggen. Ständig. Jede Erfolgsmeldung, jedes freudige Ereignis muss ja unbedingt kommuniziert werden. Wer sich und seine Erfolge nicht verkaufen kann, wird bei der nächsten Krise womöglich auf B+ heruntergestuft.

Schweigen scheint einfach keine Option. Andererseits plagt beim allzu lauten Künden von Erfolgsgeschichten das schlechte Gewissen. Eigenlob stinkt ja. Also muss jede Jubelmeldung dringend mit einer Teflonschicht Ironie überzogen werden. Es soll ja niemand auf die Idee kommen, man wäre jetzt ernsthaft stolz auf dieses Stipendium. Pffft, gibt doch Wichtigeres. Deshalb sagt oder postet man dann Sachen wie »Puh, hat doch noch geklappt. Aber wer gibt mir jetzt die fünf durchgeackerten Nächte ohne Schlaf vor der Abgabe zurück?« Warum fällt es zunehmend schwer, auf eine Auszeichnung oder einen absolvierten Halbmarathon stolz zu sein, sich ehrlich darüber zu freuen und das mit seinen Freunden zu teilen? Ohne Ironie, Hintertür und Scheingejammer?

Vermutlich, weil man der Schrift keinen eindeutigen Ton geben kann. Sagen kann man etwas so, dass man seinen Stolz zeigt, aber zugleich auch seine Demut. Schreiben kann man es auch so, aber viele Leser werden es nicht merken oder nicht merken wollen und nur den Stolz wahrnehmen – und als Hochmut auslegen. Schade, denn eigentlich ist ein ehrliches Grinseprahlen viel sympathischer als ein verschwiemeltes »Das WLAN hier im Hotel ist so langsam, ich dreh noch durch! #vonwegenfünfsterne « oder »Abflug nach New York morgen um 6:30 – wer denkt sich solche Flugpläne aus?!?« Ja, das sind echte Beispiele.

Ein Evergreen der Bescheidenheitsprahlerei sind auch solche Monologe: »Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich noch nicht aufgeflogen bin. Ich denke die ganze Zeit, dass sie irgendwann vor meiner Tür stehen werden, weil jemand gemerkt hat, dass ich nur ein Hochstapler bin.« Schon kapiert: Da hat es jemand zu etwas gebracht – denn von einem Aushilfskellner hat man den Satz noch nie gehört.

Und dennoch ist diese Person der hadernde, zweifelnde, ewig unsichere Supersympath geblieben, bei dem man doch gar nicht anders kann, als ihn zu mögen. Na ja, wenn man die Geschichte der Hochstaplerparanoia zum dritten Mal gehört hat, kann man vielleicht doch. Vor allem im Internet beliebt ist der Kunstgriff der »ernst gemeinten Frage«. Der Aufleider tarnt die Prahlerei dabei als Problem, für das er eine Lösung sucht. So fragte zum Beispiel das Model Tyra Banks in die Onlinerunde: »Aua! Ich glaube, ich bekomme eine Sehnenscheidenentzündung. Das kommt davon, wenn man seinen Roman mit dem Dreifingersystem schreibt. Weiß jemand Rat, abgesehen von einem Tippkurs?«

Harris Wittels, der Mann, der Humblebragging seinen Namen gab, ist inzwischen ein Meister dieser Kunstform geworden. Sein im vergangenen Herbst erschienenes Buch, in dem er Highlights aus seiner Sammlung veröffentlicht und extrem lustig kommentiert, beginnt selbstverständlich mit einem perfekten Humblebrag: »Oh Mann, ich kann nicht glauben, dass dieses dumme kleine Wort mir tatsächlich einen Buchvertrag eingebracht hat.«

Text: Christoph Koch
Erschienen in: NEON

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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  1. Christoph Koch: "Eine digitale Versöhnung ist die Lösung." | 01/04/2021
  1. Faruk Gürlek sagt:

    ich mache so etwas ähnliches ständig, der Grund ist, dass ich nicht einfach stolz sein kann aus Angst vor Neid und Gedanken wie „was ist denn daran toll?“ oder „ist doch dummes zeug“. Scheint mir als gönne niemand mehr nem anderen iwas daher bau ich ne kleine Hintertür ein um im Notfall flüchten zu können ohne Schaden zu nehmen . Garnichts teilen ist die andere Option, aber erfährt man nie ob das was man teilt tatsächlich wert war zu teilen und ob es weiterführende Ideen oder Antworten gibt.

  2. Mo sagt:

    Am schlimmsten ist es auf LinkedIn. Dort werden Top Voices und Influencer abgefeiert für absolut peinliche Lächerlichkeiten. Am schlimmsten in der HR und Coaching Blase.

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