„Mommyjacking“ sagen die Amerikaner dazu, wenn Eltern jedes Gespräch kapern und auf das Thema Kinder lenken. Jetzt melden sich die Opfer zu Wort.
Du bist so müde, dass du beim Mittagessen in der Kantine mit dem Gesicht in dein Essen fällst. Als du beiläufig erwähnst, wie erledigt du bist, ermahnt dich eine Kollegin halb im Scherz – aber eben auch nur halb: „Na, warte mal ab, bis du ein Baby hast – DANN weißt du, was müde sein wirklich heißt.“
Ein anderer Tag. Du hast gerade den ersten Marathon deines Lebens beendet. Du bist stolz. Du teilst das der Welt – nun ja, deinen dreihundertirgendwas Freunden – auf Facebook mit. Zack! „Die Geburt der kleinen Laura war auch ein echter Marathon! vierzehn Stunden im Kreißsaal… :P“ – so lautet der dritte Kommentar.
Jeder kennt vermutlich die Unsitte, wenn Eltern eine Konversation kapern und egal, um welches Thema es eigentlich geht, das eigene Kind in den Mittelpunkt rücken, nein, rammen. In den USA gibt es sogar einen Begriff für das Phänomen: „Mommyjacking“ – Mütter (und natürlich auch Väter), die Konversationen hijacken. Natürlich sind Eltern, mit denen Stolz und Mitteilungsdrang durchgehen, ein ganzes Stück weniger schlimm als richtige Entführer. Muss man gar nicht drüber reden. Nerven können sie trotzdem. Blair Koenig, Autorin des Blogs „STFU, Parents“ (inzwischen auch zum Buch geworden), hat den Konversationsentführern deshalb eine regelmäßige Rubrik gewidmet. „Einer der Kommentatoren in meinem Blog hat sich den Begriff ursprünglich ausgedacht“, erinnert sie sich. „Mittlerweile schicken mir die Leser unzählige Beispiele, sehr oft sind es Facebook-Screenshots.“ Koenig, die Wert darauf legt, weder etwas gegen Kinder noch gegen deren Eltern zu haben, glaubt, dass es im Grunde zwei Typen von Mommyjackern gibt: „Zum einen Egozentriker, die wirklich glauben, dass alles, was ihre Freunde tun, zuallererst mit ihnen zu tun hat. Es gibt aber auch solche, die ihr Verhalten selbst gar nicht bemerken. Von denen haben sich sogar schon einige gemeldet und sich dafür bedankt, dass sie jemand darauf aufmerksam gemacht hat.“
Die Liste an Beispielen für Mommyjackings ist lang, und es gibt verschiedene Arten, seinen elterlichen Narzissmus auszuleben.
- Da gibt es den wichtigen Meilenstein, den jemand erreicht hat („Wow, endlich die Doktorarbeit abgegeben“) – und die stolze Mutter, die prompt vermeldet: „Toll – mein kleiner Torben sagt, er will später auch mal ‚Tokktor’ werden!“
- Oder das selbstgerechte Mommyjacking: Statt jemandem, der klagt „Mein Zahnarzt ist ein Sadist“, ein klein wenig Trost zu spenden, schreibt die stolze Mutter: „Mach du mal eine Geburt ohne PDA durch, dann reden wir weiter.“ Natürlich mit Zwinkersmiley. Ist ja alles nur Spaß.
- Auch Daten lassen sich kapern. So wird das Posting „Wir haben am Samstag heimlich in Las Vegas geheiratet“ von professionellen Mommyjackern natürlich mit einem „Glückwunsch! Genau eine Woche vor dem dritten Geburtstag unserer kleinen Prinzessin!“ beantwortet.
- Nicht mal Todesfälle und andere traurige Nachrichten sind immun. Es gibt genügend Screenshots, die beweisen, dass man auch auf ein Posting wie „Vor acht Jahren ist mein Bruder gestorben. Ich vermisse ihn immer noch sehr“ mit Dingen antworten kann wie: „Lass den Kopf nicht hängen! Übrigens: Unser Philipp bekommt im Oktober auch ein kleines Brüderchen.“
Perfekte Mommyjacking-Opfer sind Menschen, die selbst noch keine Kinder haben und sich das nun permanent unter die von Babykotze verschonte Nase reiben lassen müssen. Ein Klassiker ist die eingangs erwähnte Müdigkeit, auf die nach den Gesetzen des Mommyjackings nur junge Eltern ein Anrecht haben. Aber auch wer darüber klagt, dass er zu viel zu tun hat, bekommt gerne mal den Ratschlag, das sei ja „ein gutes Training für später, wenn du mal Kinder hast“. Überhaupt scheint für Mommyjacker alles ein „gutes Training“ für die spätere Elternschaft zu sein: Stress, Multitasking, Lärm, Konfrontation mit Exkrementen oder Erbrochenem – hey, alles gar nicht so schlimm, „wenn du später mal Kinder hast, gehört das schließlich zum Alltag“.
Im Teenageralter gibt es die „Mein-Freund-Mädchen“, denen kein Bezug zu weit hergeholt ist („Ach, das ist ja interessant, mein Freund hat auch Zivildienst gemacht…“), um zu signalisieren, dass sie vergeben sind. Zehn oder zwanzig Jahre später tun manche Eltern alles, um ihr Kind via Konversationsspagat einzubinden. Egal, ob es auch nur ansatzweise an das anknüpft, was vorher gesagt wurde: Erzählt man von einem Theaterbesuch, fällt den Mommyjackern ein, dass sie seit der Geburt von Leonie nicht mehr im Theater waren. Berichtet man von einem Restaurantbesuch, informieren Mommyjacker sofort über die Essensvorlieben des kleinen Niklas. Und egal, was man auf Facebook postet – es wird sich ein Mommyjacker finden, der einen Kommentar daruntersetzt, dessen Subtext schreit: „Hey! Ich und mein Kind sind viel wichtiger als deine Verlobung oder dein Horrortag im Büro!“
Natürlich gibt es auch kinderlose Egozentriker – und selbstverständlich sind nicht alle Eltern Mommyjacker. Aber selbst wer in seinem Freundeskreis von Mommyjacking verschont bleibt, findet online eine beängstigende Menge von Beispielen. Doch warum boomt die Unsitte gerade auf Facebook so dermaßen? Bloggerin Koenig hat eine Erklärung: „Mommyjacking ist eine narzisstische, selbstsüchtige Angewohnheit – aber sie entspricht damit genau unserem Geisteszustand, wenn wir auf Facebook unterwegs sind. Wir suchen in diesem endlosen Strom aus Nachrichten irgendwas, das UNS anspricht, das UNS interessiert. Wir sind sozusagen auf Autopilot.“ Dazu kommt, dass sich online kaum jemand die Mühe macht, Mommyjacker auf ihre lästige Angewohnheit aufmerksam zu machen.
Was also tun, wenn das nächste Mal eine Mutter mit Tunnelblick die Unterhaltung kapert? „Man kann die Leute humorvoll darauf aufmerksam machen“, sagt Blair Koenig. „Der Begriff Mommyjacking selbst eignet sich ja dafür, sich darüber auf nette Art lustig zu machen. Einen echten Streit sollte wegen so etwas niemand vom Zaun brechen.“ Wer auf Facebook Opfer von Mommyjacking wurde und seinem Ärger Luft machen will, kann Koenig auch einen Screenshot schicken: „Ich anonymisiere alles, bevor ich es poste.“ Manche Nutzer schicken ihr auch Mommyjacking-Fälle mit der Bitte, diese nicht zu veröffentlichen. Die brauchen einfach nur ein Ventil. Aber das ändert sich bestimmt, wenn sie selbst mal Kinder haben – denn dann haben sie für solchen Quatsch gar keine Zeit mehr.
Text: Christoph Koch
Fotos: stfuparentsblog.com
Erschienen in: Nido 10/14
Ist ja gruselig, vor allem dieses ewige „Kinder sind das tollste auf der Welt“ / „Kinder sind so unglaublich anstrengend“. Ich bin selbst Vater und finde solche Sprüche nervig und teilweise auch anmaßend.
Dadyjacking :-)