Boy Meets Betriebssystem – Spike Jonze über „Her“

Written by on 27/01/2015 in Neon with 0 Comments

In Spike Jonzes oscarprämiertem Film »Her« verliebt sich Joaquín Phoenix in sein Mobiltelefon. So wie vielleicht bald sehr viele von uns.

Das Leben von Theodore Twombly ist auf den ersten Blick recht angenehm. Im Los Angeles der nahen Zukunft schreibt er beruflich Liebesbriefe für andere Menschen. Er ist gut darin. Er hat Freunde und eine sehr schöne Wohnung. Andererseits machen ihm die Scheidungspapiere zu schaffen, die seine Nochfrau endlich unterschrieben haben möchte. Theodore war einmal glücklich – jetzt läuft er inmitten von anderen Berufspendlern durch die stilvolle und saubere Stadt und gibt seinem Smartphone die Anweisung: »Spiel einen melancholischen Song.« Als eine Firma namens Element Software das erste intelligente Betriebssystem der Welt anbietet, greift Theodore neugierig zu. Er ist auch nur kurz irritiert, als er während der Installation gefragt wird, ob er ein extrovertierter Mensch sei und wie er das Verhältnis zu seiner Mutter beschreiben würde. Was kurz darauf in Theodores Computer und Smartphone zum Leben erwacht, ist eine Art Siri mit Seele: eine künstliche Intelligenz, die Ironie versteht, einen zögernden Tonfall erkennt, auch sonst nicht von einem menschlichen Gesprächspartner zu unterscheiden ist – und als Bonus mit der sexy Stimme von Scarlett Johansson spricht. So beginnt die ungewöhnliche Liebesgeschichte »Her«, die am 27. März in die deutschen Kinos kommt. »Die ursprüngliche Idee kam mir schon vor etwa zehn Jahren«, erzählt der Regisseur Spike Jonze, bekannt durch Filme wie »Being John Malkovich« und »Adaption«. »Ich war auf einer Website, auf der man mit einem angeblich intelligenten Roboter chatten konnte. Für eine Weile war ich wie elektrisiert, denn das Programm schien tatsächlich auf mich einzugehen und mich zu verstehen. Es schien sogar ein wenig Witz zu besitzen.« Als Jonze dann nach einer Weile merkte, dass die Antworten doch schematisch waren, ließ die Begeisterung nach – aber die Idee einer Liebesgeschichte zwischen Mensch und künstlicher Intelligenz war geboren.

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Zuerst ist »Samantha« – diesen Namen hat sich Theodores neues Betriebssystem selbst gegeben, nachdem es ein Buch mit Kindernamen in einer Zweihundertstelsekunde gelesen hat – nur eine nützliche virtuelle Assistentin. Samantha scannt Theodores Festplatte und seine Mails, erinnert ihn an Termine und korrigiert seine Korrespondenz. Doch schnell entwickelt sie Humor, eine eigene Persönlichkeit und romantische Gefühle – die Theodore erst zögerlich, dann begeistert erwidert. Ist so eine Romanze wirklich realistisch? John Sullins von der Sonoma State University beschäftigt sich wissenschaftlich mit den philosophischen Fragen, die eine künstliche Intelligenz aufwirft – also zum Beispiel auch mit der Möglichkeit, sich in ein intelligentes Betriebssystem zu verlieben. »Was jeder künstlichen Intelligenz momentan noch fehlt, ist die Fähigkeit, menschliche Emotionen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren«, sagt er in einem Interview. »Sobald diese aber Realität wird, wird sich jeder in seinen Computer oder in sein Smartphone verlieben.« Zu einem ähnlichen Schluss kommt der britische Forscher David Levy, der Verfasser des Buchs »Love and Sex With Robots«: Bis 2050 werde »Her« Realität sein. »Ich habe den Film gerade erst gesehen«, erklärt er, »und ich bin mir sicher, dass wir die Art von Persönlichkeit und Emotionen, die die Software im Film hat, in wenigen Jahrzehnten erleben werden.« Firmen wie Affectiva arbeiten tatsächlich bereits sehr erfolgreich an Software, die Gefühle via Kamera erkennen kann, und die Technikschmiede MIT entwickelte kürzlich eine App, die anhand von Bewegungs- und Kommunikationsmustern erkennen kann, ob Kriegsveteranen an Depressionen leiden. Die digitale Spracherkennung macht permanent rasante Fortschritte, und Google Now weiß, wohin wir wahrscheinlich als Nächstes mit der U-Bahn fahren wollen.

Trotzdem: Liebe? Wirklich? So unvorstellbar es klingen mag: Wenn man Theodore dabei zusieht, wie er Samantha durch die Kameralinse den Strand zeigt, wie er das Lied hört, das sie für ihn komponiert hat, oder wie er nachts mit ihr diskutiert und lacht – dann kommt kein schales Gefühl auf. Man sieht keinen verkorksten Typen, der seine Gummipuppe heiraten will, sondern den wunderschönen Strudel des Frischverliebtseins. Und findet Liebe – und auch der beste Sex – nicht sowieso zu einem großen Teil im Kopf statt? »Mir ging es darum zu zeigen, wie Liebe einen Menschen verändern kann«, sagt Spike Jonze, der zum ersten Mal in einem Film nicht nur für die Regie, sondern auch für die Geschichte verantwortlich ist: »Wie wir die Welt plötzlich über Nacht mit völlig anderen Augen sehen. Wie wir uns dem anderen immer weiter offenbaren und dadurch Intimität entsteht.« Es ist schwierig, wenn nicht unmöglich zu sagen, in wen Theodore sich eigentlich verliebt.

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Samantha ist einerseits ein radikaler Weg, die maximale Freiheit und maximale Individualität zu genießen, die gerade so hoch im Kurs steht: eine Partnerin, die man nicht nur ausschalten kann, sondern die auch auf den Vorlieben basiert, die sie in Theodores Antworten und auf seiner Festplatte findet. Gleichzeitig entwickelt Samantha aber eine eigene Persönlichkeit, Ängste und Selbstzweifel – oder ist das nur die Persönlichkeitsstruktur, von der sie weiß, dass sie bei Theodore besonders gut ankommt? Wie bei Narziss, der sich in sein Spiegelbild im Teich verliebt, könnte man bei Theodore sagen, dass seine Zuneigung nicht Samantha, sondern seinem eigenen Datenschatten gilt. Gleichzeitig ist es jedoch Samantha, die den frisch Getrennten aus der Einsamkeit und Selbstbezogenheit rettet.

Spike Jonze, ohne dessen Videoclip-Meisterwerke für die Beastie Boys, Weezer oder Fatboy Slim der Sender MTV nicht mehr gewesen wäre als eine öde Musikabspielbude, hat mit »Her« einen sehr mutigen Film gedreht. Denn unsere sozialen Normen verbieten es, die Beziehung Mensch-Maschine als einer zwischenmenschlichen gleichwertig zu betrachten. Schließlich ist der Mensch die Krone der Schöpfung und darf vielleicht am Fließband, nicht jedoch intellektuell oder als Lebenspartner ersetzbar sein. Doch soziale Normen können sich ändern: Vor fünfzig Jahren hätten die Menschen sich geweigert, in ein Flugzeug zu steigen, das von einem Autopiloten gesteuert und gelandet wird. Vor zehn Jahren rümpfte man die Nase über Paare, die sich »im Internet « kennengelernt hatten. Auch »Her« zeigt diese Entwicklung: Anfangs fragt sich Theodore noch, ob ihn die Liebe zu Samantha als Freak abstempelt, doch nach und nach lernt er andere Leute kennen, die mit ihrem Betriebssystem befreundet oder liiert sind – und ein Double Date mit einem Arbeitskollegen und dessen menschlicher Freundin verläuft nicht anders als zwischen zwei gewöhnlichen Paaren. Filme wie »Blade Runner« basieren noch auf der Frage des sogenannten Turing-Tests: also inwieweit wir im Gespräch erkennen können, ob wir es mit einem Menschen oder einer Maschine zu tun haben. »Her« stellt die viel spannendere Frage, ob uns der Unterschied irgendwann egal sein wird.

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In »Her« gibt es keinen allmächtigen Internetkonzern, der jede Information, die Theodore seiner Samantha gegenüber preisgibt, kapitalistisch verwertet. Es gibt keine NSA, keinen Datenschutzbeauftragten, keine Post- Privacy-Debatte. »Mir ist klar, dass das alles Themen sind, die der Film berührt«, sagt Spike Jonze. »Aber sie haben nichts mit der Liebesgeschichte zu tun, die ich erzählen wollte, deshalb haben sie mich nicht interessiert. Mir war es wichtiger zu zeigen, wie eine Liebesbeziehung funktioniert. Wie schwierig es ist, in einer Beziehung zu wachsen, dem anderen Raum zu geben und sich gleichzeitig nicht auseinanderzuentwickeln. « Es gibt viele Arten, »Her« zu deuten: als Film über die Vereinsamung durch Technik. Oder über die Erlösung durch Technik. Als Film über Authentizität, über Kommunikation – oder einfach über die Liebe, »diese einzig sozial akzeptierte Form des Wahnsinns«, wie es Theodores beste Freundin formuliert.

Die einen sagen, »Her« sei der beste Film des Jahres. Die anderen sagen, er sei der gruseligste. Das Faszinierende ist: Beides stimmt.

Text: Christoph Koch
Fotos: Warner

Erschienen in: NEON 4/13

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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