Fabian Hemmert konstruiert Smartphones, die Gefühle haben, und Stifte, die den Besitzer bei der Unterschrift spüren lassen, wie viel Geld er gerade ausgibt. Ein Gespräch über Smartphoneliebe und den Geist in der Maschine.
Sie haben versucht, eine Art lebendiges Smartphone zu konstruieren. Wie sieht das aus?
Einer unserer Prototypen hat eine Atmung und einen Herzschlag. Der wird durch Vibration simuliert und beschleunigt sich, wenn Anrufe verpasst wurden oder viele Nachrichten vorliegen. Wenn der Akku schwach wird, wird auch der Herzschlag schwächer. Für die Atmung lassen wir das Gerät durch einen Servomotor leicht an- und abschwellen.
Verstärken Atmung und Herzschlag die Bindung zu dem Gerät?
Gerade zu unserem Smartphone haben wir ja ohnehin schon ein sehr emotionales Verhältnis. Das beginnt damit, dass wir ihm menschliche Eigenschaften oder Gefühle zuschreiben. Wir sagen: »Mein Telefon spinnt mal wieder.« Oder: »Meinem Handy geht der Saft aus.«
Das übertragen wir auch oft auf uns selbst: »Mein Akku ist leer.«
Genau. Wenn jemand heute sagt: »Ich hab einen Virus«, dann weiß man oft nicht, ob er selbst krank ist oder sein Rechner. Wir identifizieren uns sehr stark mit unseren Geräten, bei den Smartphones sieht man das extrem.
Woran liegt das?
Das könnte mit dem Touchscreen zu tun haben. Der überwindet die Trennung, die durch Maus oder Tastatur noch gegeben ist. Die Interaktion mit der digitalen Welt wird immer unmittelbarer. Es wächst dadurch gerade eine Generation von Nutzern heran, die gelernt hat, dass man digitale Inhalte scheinbar anfassen kann. Trotzdem ist die Interaktion mit den Geräten noch sehr beschränkt.
Warum wollen Sie das mit Ihrer Forschung ändern?
Wir versuchen in unserem Labor zu vermitteln: zwischen dem, was technisch inzwischen möglich ist, also der Anbieterseite, und dem, was für den Menschen hilfreich sein kann, also der Nutzerseite.
Haben Sie auch etwas entwickelt, was ein wenig nützlicher ist als ein atmendes Telefon?
Zum Beispiel ein Smartphone, das seinen Schwerpunkt verlagern kann. Dadurch kann es seinen Nutzer sozusagen in eine bestimmte Richtung ziehen, was für die Kartennavigation praktisch sein kann. Die Annahme dahinter lautet: Der Geist wird entlastet, wenn man den Körper einbezieht. Ein anderes Beispiel dafür ist ein Stift, mit dem man auf Touchscreens schreiben kann. Durch das Bremsen der Kugel in der Stiftspitze können wir glatte oder raue Oberflächen simulieren. Der Benutzer spürt sofort, ob er »auf glattem Papier« oder »auf rauem Stein« schreibt.
Wozu ist das gut?
Man könnte den Stift so programmieren, dass dem Nutzer seine Unterschrift, wenn durch sie ein größerer Geldbetrag beim Shopping im Netz überwiesen wird, schwerer von der Hand geht als für einen kleinen. Oder dass eine wichtige Datei sich nur mit mehr Kraftaufwand in den Papierkorb ziehen lässt als eine unwichtige. So spürt der Benutzer unmittelbar und real, welche Konsequenzen seine Handlungen haben. Wir haben festgestellt, dass die meisten Menschen solche Signale sofort intuitiv richtig deuten.
Brauchen wir Handys mit Gefühlen?
Unsere Testpersonen waren sich da auch nicht einig. Wir haben ihnen einen Smartphone-Prototyp vorgeführt, der sich einer sich nähernden Hand entweder zuwandte oder sich ein wenig zurückbewegte. Die Probanden ordneten den Bewegungen sofort Emotionen wie Neugier, Schüchternheit oder Angst zu. Einige haben sogar das »ängstliche« Gerät vorsichtig gestreichelt, um es zu beruhigen. Die fanden das putzig. Andere Probanden waren irritiert, manche haben sich richtig gegruselt.
Vor dem »Geist in der Maschine«?
Schwer zu sagen, woher die Angst stammt. Es könnte einfach sein, dass es etwas Unvertrautes ist, das man noch nicht gewohnt ist. Vielleicht wollen wir aber auch einfach keine Maschinen um uns, die eine Meinung von uns haben.
Wann und wie werden die Erkenntnisse, die Sie aus diesen Prototypen gewinnen, in käufliche Modelle einfließen?
Bisher sind das alles Forschungsprototypen. Ob die Dinge, die wir erforschen, je in kommerzielle Produkte eingebaut werden, kann ich nicht sagen. Das ist für meine Arbeit aber auch nicht so entscheidend. Mich treibt eher die Neugier.
Ein anderer Prototyp, den Sie entwickelt haben, heißt »Intimate Mobile«. Was ist das?
Ein Smartphone, das Gefühle nicht selbst simulieren, sondern zwischen zwei Nutzern übermitteln soll. Durch Feuchtigkeit, Luftströme und Veränderung seiner Außenhülle kann es beispielsweise die physischen Aspekte eines Händedrucks oder eines Kusses übertragen.
Hat dieser Test ähnlich kontroverse Reaktionen ausgelöst wie das »schüchterne« Gerät?
Nein, hier waren die Probanden sich einig: Alle haben es gehasst. Männer wie Frauen, Jüngere wie Ältere.
Ist diese anfängliche Skepsis nicht normal? Die ersten Mobiltelefone wurden auch für unnütze Angeberwerkzeuge gehalten.
Das stimmt. Aber es gibt auch immer Dinge, die technisch machbar sind und sich trotzdem nie wirklich durchsetzen. Cybersex ist so ein Beispiel, das schon seit Jahren als Verheißung im Raum steht, aber nie ein Massenphänomen wurde, weder in Second Life noch sonst wo. Oder die Videotelefonie, die ja mittlerweile meistens problemlos und gratis verfügbar ist. Trotzdem entscheiden sich die Menschen in 99 Prozent der Fälle für ein normales Telefonat – weil es ihnen reicht, den anderen nur zu hören.
Vor einiger Zeit gab es einen Skandal, als publik wurde, dass Facebook den Newsfeed einiger Nutzer manipuliert hatte und so herausfand, dass die Menschen besser gelaunte Postings schreiben, wenn sie vorher positivere Meldungen anderer gesehen haben. Sind Maschinen bald in der Lage, Gefühle zu verstehen?
Gefühle zu messen, geschweige denn zu verstehen, ist sehr schwierig. Schon Sprachanalysen scheitern an Ironie oder Sarkasmus, da die Maschine erst mal alles wörtlich nimmt. Auch Gesichtsausdrücke zu scannen ist schwierig, weil gehobene Mundwinkel allein nichts darüber aussagen, ob ich wirklich fröhlich bin oder nur eine genervte Grimasse schneide.
Was ist mit dem Hautwiderstand?
Den kann man mittlerweile relativ einfach messen, ebenso wie die Pulsvaria-
bilität. Lügendetektoren arbeiten so. Das Problem ist, dass man damit nur den Erregungslevel messen kann, nicht aber, was dahintersteckt. Vereinfacht gesagt: Die Maschine kann erkennen, ob mich etwas kaltlässt oder ob ich emotional reagiere. Aber ob ich positiv oder negativ reagiere, ob mich etwas freut oder nervt oder traurig macht, kann sie bisher nicht zuverlässig bestimmen.
Wäre die erste Voraussetzung für das Verstehen von Gefühlen nicht sowieso eine wahre Intelligenz der Geräte? Der Turing-Test wird immer wieder kontrovers diskutiert. Demnach besitzen Maschinen eine Intelligenz, wenn sie Menschen davon überzeugen, dass diese sich gerade nicht mit einem Roboter, sondern mit einem anderen Menschen unterhalten.
Ich halte den Turing-Test für komplett überholt. Ein Chatprogramm, das ein paar Testpersonen für einen 13-jährigen Ukrainer halten, wie es 2014 für Aufregung sorgte, beweist noch keine künstliche Intelligenz. Diese Dialogzeilen simulieren lediglich ein angemessenes Verhalten – wenn auch sehr gut. Aber angemessenes Verhalten zeigt auch mein Staubsaugerroboter. Damit eine Maschine wirkliche Intelligenz oder Gefühle entwickeln kann, wäre ein Bewusstsein notwendig. Schachcomputer sind ein ähnliches Beispiel: Kasparow war traurig, als er gegen Deep Blue verloren hat. Aber Deep Blue freute sich nicht über seinen Sieg.
Sind Gefühle bald das Einzige, das wir den Maschinen voraushaben?
Ja, und deswegen sollten wir auch nicht versuchen, unser Verhältnis zu den Geräten so emotional aufzuladen. Unsere Beziehung zur Technik sollte vielmehr gelassener werden. Das Auto ist dafür ein gutes Beispiel: Es begann als funktionales Werkzeug, das uns von A nach B bringen sollte. Im Lauf der Zeit wurde es sehr stark emotional aufgeladen: Es wurde ein Statussymbol, wir begannen uns darüber zu definieren, welches Auto wir fuhren. Seit einiger Zeit entwickelt sich das zurück.
Sie meinen durch Carsharing?
Zum Beispiel. Viele Menschen sehen das Auto wieder als Gebrauchsgegenstand, als etwas, was sich nicht zu besitzen lohnt, solange man Zugang dazu hat. Zu einem Carsharing-Auto baut man keine emotionale Beziehung auf. Es sollte unser Ziel sein, auch unser Verhältnis zum Smartphone zu entspannen. Heutzutage werden die Leute ja hochgradig nervös, wenn sie ihr Smartphone zu Hause vergessen haben oder der Akku alle ist. Vielleicht haben wir bald eine Art Phone-Sharing, wo wir solche Geräte benutzen können, ohne sie besitzen zu müssen. Das klingt heute undenkbar – aber das war Carsharing vor zehn oder zwanzig Jahren ja auch.
Der 32-jährige Designforscher Fabian Hemmert arbeitet am Design Research Lab der Berliner Universität der Künste. Einer von Hemmerts Forschungsschwerpunkten ist die Interaktion zwischen Mensch und Maschine.
Interview: Christoph Koch
Fotos: Fabian Hemmert (2) / Martin Neumann, 2470 Media
Erschienen in: SZ-Magazin 3/2015