Statt aus dem Bioladen die Kartoffeln direkt vom eigenen Acker holen? Statt in den Zoo am Wochenende lieber zum Patenschaf? Es gibt viele Möglichkeiten, ein bisschen mehr Natur zu erleben, ohne gleich auf einen Bauernhof ziehen zu müssen
Sie kommt in jeder jungen Familie so sicher wie Zahnweh und der Streit um die angemessene Ins-Bett-geh-Zeit: die Diskussion darüber, ob man nicht eigentlich aufs Land ziehen sollte. Denn die Betonwelt um einen herum kann nerven – und Kinder, die Kühe nur noch in Lila und aus Schokolade kennen, will man auch nicht so gerne. Aber was wäre, wenn es einen Kompromiss gäbe? Wenn man eins näher an die Natur und das Essen, das sie uns beschert, herankäme? Wenn man, statt im Biomarkt die regionalen Äpfel auszusuchen, gleich einen eigenen Apfelbaum hätte? Oder eine eigene Kuh? Und trotzdem abends ins Theater gehen könnte, ohne drei Stunden Anreise auf sich nehmen zu müssen?
Die Shareconomy, also das Mieten oder nur anteilige Besitzen von Dingen, hat sich von Carsharing bis Airbnb bereits in so vielen Bereichen unseres Lebens durchgesetzt – warum soll es nicht genauso mit dem guten Leben und der Nähe zur Natur klappen, die sich viele Stadtbewohner so wünschen? Es gibt genügend Möglichkeiten, wie man sein Leben mit geringem Aufwand ein bisschen naturverbundener gestalten kann, ohne ganz auf die Stadt verzichten zu müssen. Denn die ist ja auch ganz schön.
Wald & Flur
Ein erster Schritt, mehr Natur ins eigene Leben zu kriegen, kann sein, sich ein Stück Acker oder eine Gartenparzelle zu mieten. Angebote gibt es dafür mittlerweile in vielen Städten, und das Prinzip ist fast immer das gleiche: Hobbygärtner können gegen eine geringe Pacht Gemüse, Salat, Kräuter, Blumen und alles andere anbauen, was ihnen so einfällt. Rund um München werden zum Beispiel von der Initiative „Unser Land“ sogenannte Sonnenäcker angeboten (unserland.info); Landwirte legen dabei am Rand ihrer normalen Felder mit dem Pflug Kartoffeldämme an, in deren Erde dann die ganze Familie wühlen, säen und jäten kann. Und selbst die krummste Möhre schmeckt von der eigenen Scholle um Längen besser als das Prachtexemplar aus dem Laden.
Wenn der Rücken es nicht zulässt, sich einen steinigen Acker Untertan zu machen, ist vielleicht eine eigene Obstwiese das Richtige. Ein Beispiel: Unter streuobstwiesen-boerse.de kann man in Baden-Württemberg nach zu verpachtenden Ländereien suchen, auf denen man dann die Wochenendnachmittage verbringen kann: ideal, um unter den eigenen Bäumen zu spielen, Wiesenblumen zu pflücken oder einfach nur vor sich hin zu dösen und den Bienen beim Summen zuzuhören. Frankfurter haben besonderes Glück, sie können sich unter apfelappell.de sogar Streuobstwiesen sichern, die die Stadt kostenlos verpachtet.
Manch einem geht es letztlich nur um das gute Gefühl, irgendwo ein Stückchen Natur zu besitzen und gar nicht so sehr darum, diese Natur auch live zu erleben. Für diese Klientel gibt es die Möglichkeit, als reine Geldanlage in einen Olivenhain zu investieren. Statt schnöder Fonds nennt man dann rund 100 Jahre alte Olivenbäume in Andalusien sein Eigen. Und sichert damit nicht nur biologische Vielfalt und eine „Jahrtausende alte Kulturlandschaft“ (so der Investorenprospekt), sondern auch Arbeitsplätze in Südeuropa. Da wird es einem doch gleich warm ums Herz – genauso wie ums Bankkonto.
So geht das:
- Infos zu den Sonnenäckern rund um München auf unserland.info. In vielen Städten gibt es ähnliche Projekte. Auch im Kleinanzeigenteil von Ebay sind manchmal kleinere Flächen für Privatleute zu finden. Öl bringt Kohle Die Laufzeit für das physische Investment in achtzig bis 120 Jahre alte Olivenbäume beträgt hier beispielsweise zehn Jahre: sachwertboerse.com Wer statt Geld nur Olivenöl will, kann auch unter mondland.de/olivenbaum-patenschaft oder olivenland.de nachsehen.
- Obstwiesen Baden-Württemberg: streuobstwiesen-boerse.de Raum Frankfurt: apfel-appell.de, hier kann man sich sogar um eine kostenlose Wiese bewerben.
- Herrenlose Obstbäume und andere freie Erntemöglichkeiten versammelt die Plattform mundraub.org
Obst & Gemüse
Wer ein bisschen mehr möchte als die klassische Gemüsekiste im Abo und dafür bereit ist, auch ein wenig handfest mitzuhelfen, fühlt sich sicher bei einer sogenannten CSA wohl. Das Kürzel steht für Community-Supported Agriculture oder zu Deutsch solidarische Landwirtschaft.
Immer mehr solcher „Solawis“ gründen sich um Großstädte herum und beliefern deren Bewohner mit biologisch angebautem Obst und Gemüse. Der Unterschied zur „normalen“ Gemüsekiste: Man bestimmt nicht nur mit, was angebaut wird, sondern hilft auch dabei. Auf dem Hof „Zur bunten Kuh“ im sächsischen Frankenberg wird die Landwirtschaft beispielsweise noch mit Pferdekraft ausgeübt und Hilfe der Abnehmer ist ausdrücklich erwünscht (diebuntekuh. info). Die Modalitäten, wie oft man mithelfen darf oder muss, variieren von Hof zu Hof. Ein gängiges Modell ist beispielsweise ein monatlicher Mitmachtag, an dem dann je nach Jahreszeit gemeinsam gesät, Unkraut gezupft oder geerntet wird.
Wem das zu viel Dreck unter den Fingernägeln ist, der kann auch Pate eines einzelnen Apfelbaums werden. Der ist etwas weniger betreuungsintensiv, kann aber trotzdem nach Belieben besucht (und beklettert) werden. Und wenn im Herbst die Äpfel reif sind, kann man die eigene Ernte nach Hause tragen – oder in einer Mosterei zu Apfelsaft versaften lassen. Oder man lässt sich auf einer Wildkräuterwanderung erklären, was die heimischen Wälder und Wiesen an Pflückwerk bereithalten. Sonja Schulze führt solche Wanderungen in der Nähe von Chemnitz durch, dort hat sie ein Gehöft von ihrem Großvater geerbt und züchtet Sprossen, Kräuter und Blüten für Bioläden und Restaurants (landsprosse.de). Freitags und samstags führt sie Familien auf einer zwei- bis dreistündigen Wanderung durch das Chemnitztal: „Ich erzähle die Geschichte dieser Landschaft, des Flusses – nebenher wird gesammelt und ich erkläre, was essbar ist und wie man es zubereitet.“ Die Wanderung endet auf Schulzes Hof, wo der Solarkocher schon in Betrieb ist. Dazu richtet die Gruppe ein Wildkräuterbuffet mit Salaten an und isst anschließend gemeinsam an einer langen Tafel. „Kinder finden es toll, zu sammeln und zu pflücken, was man hinterher essen kann“, sagt Schulze.
So geht das:
- Solawi finden: Eine gute Übersicht über Höfe mit solidarischer Landwirtschaft (nach Postleitzahlen geordnet) findet sich hier: solidarische-landwirtschaft.org
- Mit Pferden den Acker pflügen: Wer auf dem CSA-Hof „Zur bunten Kuh“ mithelfen will, muss nach Frankenberg in Sachsen. Infos gibt es hier: diebuntekuh.info Baumpate werden Den Traum vom eigenen Apfelbaum kann man sich zum Beispiel bei apfelpatenschaft.de oder apfelpatenhof.de verwirklichen.
- Kräuter sammeln: Wer mit Sonja Schulze Sprossen und Wildkräuter sammeln will, kann sich auf landsprosse.de über Termine informieren und Kontakt aufnehmen.
Tier & Mensch
Bei einigen der bereits erwähnten Solawis kann man nicht nur beim Gemüseanbau helfen, sondern auch beim Tierestreicheln. Der CSAHof „Schwarze Schafe“ in Wangelkow an der Ostsee (hof-schwarze-schafe.de) beherbergt in seinen Ställen und auf seinen Weiden Schweine und Ostfriesische Milchschafe und bietet den „Investoren“ von Wolle über Schafmilchkäse bis zu Brat- und Leberwurst zahlreiche Produkte. Auch hier ist jedoch statt reinem Konsum regelmäßiger Besuch auf dem Hof und Mithilfe gewünscht. Diese Hilfe kann ganz unterschiedliche Formen annehmen: Der eine packt im Stall mit an, der andere repariert die kaputte Heuraufe, der dritte löst Probleme, die der Hofcomputer macht. Die Betreiber, die vor zwei Jahren auf CSA-Betrieb umgestellt haben, waren selbst „überrascht und berührt“ von dem Interesse, das ihnen entgegenschlug: „Einige Helfer waren bis zu vier Wochen bei uns!“ Wer nicht gleich ein ganzes Praktikum auf dem Hof absolvieren will, ist vielleicht mit einem angemieteten Bienenstock gut beraten. Jürgen Parg bietet mit seiner „Imkerei Glückshonig“ Bienenstöcke in der malerischen Grube Messel in Hessen an, die zum Unesco Weltnaturerbe zählt. „Ich fahre regelmäßig zu den Bienenvölkern und oft kommen Familien mit, die ihr Volk besuchen wollen“, erzählt der 46-jährige Imker. „Die bekommen von mir Schleier und Handschuhe und können sofort mithelfen.“ Die Kinder seien erfahrungsgemäß begeistert und viel furchtloser als die Eltern – auch hier bekommt man einen „Ernteanteil“, nämlich zehn Gläser Honig. „Und der stammt dann tatsächlich nur von dem jeweils eigenen Volk“, versichert Parg, der den Honig in seiner Imkerei schleudert und etikettiert. „Manche Familien kommen nur einmal, um sich zu vergewissern, dass es ihren Stock auch wirklich gibt, andere wollen beinahe jede Woche mitkommen“, sagt er. „Und die ganz Begeisterten machen im zweiten Jahr einen Imkerkurs bei mir und stellen sich dann einen eigenen Bienenstock auf den Balkon.“ Lieber Milch statt Honig? Immer mehr Höfe bieten auch eine sogenannte Kuh-Aktie an, bei der man einen Investitionsbetrag (meist 500 Euro oder 100 Euro für eine „Kalb-Aktie“) jährlich mit Naturalien in Form von Milch und Käse verzinst bekommt. Die Kühe können dabei ebenso besucht werden wie die Esel oder Yaks, die der holsteinische Tierpark „Arche Warder“ anbietet.
Und wer sich Tieren annehmen will, die es besonders schwer hatten, kann als Pate beim Deutschen Tierschutzbüro Kaninchen, Schweine, Schildkröten oder Wellensittiche besuchen, die aus den Händen von illegalen Tierhändlern befreit wurden.
So geht das:
- Schafe züchten: Bei der Schafzucht helfen Der CSA-Hof „Schwarze Schafe“ sucht noch Mitglieder – Informationen unter home.hof-schwarze-schafe.de/csa .
- Bienenstock mieten: Die „Imkerei Glückshonig“ befindet sich im hessischen Otzberg (glueckshonig.de). Alternativen gibt es unter speisegut.com und beegood.de Kuh-Aktie Muhende Investments gibt es zum Beispiel beim Kattendorfer Hof (kattendorfer-hof.de), beim Hof Klostersee unter klostersee.org oder in der Schweiz bei kalbtaufe.ch Tier-Paten Informationen über Patenschaften für von illegalen Händlern befreite Tiere gibt es bei tierschutzbuero.de oder gut-aiderbichl.de. Die Patenschaften können auch verschenkt werden.
- Rind und Schwein leasen: Der Biohof Hausberg bietet Jungtiere zum Leasing an, man kann bestimmen, wie die Tiere gefüttert, wann sie geschlachtet werden sollen -und erhält das Fleisch vom eigenen Tier (biohof-hausberg.de).
Text: Christoph Koch
Erschienen in: Nido
Foto: pexel.com