Die amerikanische Köchin Alice Waters kämpft seit vierzig Jahren gegen Fast Food und gilt als Mutter der Biokost-Bewegung. Sie erklärt, welche Stadtpflanzen gut schmecken und warum sie mal den Schuh eines Hollywoodstars kochte.
Frau Waters, der Anteil von Biolebensmitteln steigt Jahr für Jahr, alle reden über »farm to table«. In Ihrem Restaurant ist das schon seit den 1970er Jahren ganz normale Realität. Sagen Sie: Fühlen Sie sich als Siegerin der Geschichte?
Mir ging es tatsächlich erst mal nur um die besten Zutaten und den intensivsten Geschmack. Das führte mich zu den Biobauern in Kalifornien. Ich war so begeistert von diesen Lebensmitteln, dass ich mir irgendwann einfach nur von den Landwirten sagen ließ, was sie anbauen, und mir dazu passende Rezepte ausdachte. Außerdem schrieb ich auch die Namen der Bauernhöfe auf die Speisekarte, damit die Restaurantgäste sehen konnten, woher die Zutaten stammten.
Heute bieten selbst Discount-Supermärkte Biomarken an. Eine positive Entwicklung?
Ich bin da puristisch und habe eher das Gefühl, dass das ursprüngliche Konzept stark verwässert worden ist. Natürlich ist es toll, wenn die Idee von biologisch angebautem Essen einer größeren Masse vorgestellt und zugänglich gemacht wird und manch einer dadurch anfängt, sich Gedanken zu machen. Aber in den meisten Fällen sind die angeblich so grünen Supermarkprodukte doch weit weg von dem, was ich unter »bio« verstehe.
Das müssen Sie erklären.
Nun, die Discounter-Erdbeeren sind technisch gesehen vielleicht »bio«, weil kein chemischer Dünger eingesetzt wurde. Aber sie wurden trotzdem mit industriellen Methoden am anderen Ende der Welt angebaut. Viele Begriffe werden von der Lebensmittelindustrie einfach gekapert. Ein Rind zum Beispiel steht oft sein ganzes Leben im Stall und nur zwei Wochen auf der Wiese und darf trotzdem als »Weiderind« verkauft werden. Ich finde es besser, wenn die Leute auf den Markt gehen und dort Kartoffeln und Tomaten von Bauern kaufen, deren Herstellungsmethoden sie kennen.
Aber was ist mit den Menschen, die zwei Jobs haben und kaum über die Runden kommen? Ist es nicht unrealistisch, zu verlangen, sie sollen einfach über einen Wochenmarkt streifen und an verschiedenen Ständen teure Biogurken und -kartoffeln kaufen?
Es ist tatsächlich ein Problem, dass gute Ernährung zu einer Art Luxus geworden ist. Das liegt am Siegeszug der Fast-Food-Kultur und daran, dass unsere Gesellschaft verlernt hat, zu kochen. Wir wissen nicht mehr, wie man aus einem Huhn drei ganze Mahlzeiten macht. Sich günstig zu ernähren, hat viel mit Planung zu tun. Ich kann ein tolles Essen für eine ganze Familie mit sehr wenig Geld und einer Viertelstunde Zeit kochen, wenn ich gut vorbereitet bin. Hülsenfrüchte und Saisongemüse sind immer günstig.
Welche Beispiele fallen Ihnen noch ein?
Ein Kohlkopf kostet so gut wie nichts und es gibt tausend verschiedene Wege, ihn köstlich zuzubereiten. Auch ein Kürbis ist preiswert, vielseitig und haltbar. Außerdem darf man Einkaufen nicht als eine Belastung sehen. Wenn ich auf den Markt gehe, dann ist das der Höhepunkt in meiner Woche! Ein Markt ist ja immer auch Begegnung. Schauen Sie sich Berlin an! Wie gut täte dem leeren Potsdamer Platz ein regelmäßiger Markt! Wenn ich dann vom Einkauf auf dem Markt nach Hause komme, bin ich nicht erschöpft, sondern inspiriert.
Wie sieht es bei Ihnen in der Küche aus?
Ich habe ein winziges Haus und die Küche ist mit Abstand der größte Raum darin. Es gibt einen großen Tisch, an dem möglichst viele Freunde sitzen und gemeinsam kochen und essen können. Ich finde es großartig, wenn man zusammensitzt und sich unterhält, während man Gemüse und Kräuter hackt. Und hinterher drehen wir die Musik auf und waschen gemeinsam ab. Es rennen immer Kinder herum es ist ein bisschen wie in einer Kommune.
Was ist Ihr wichtigstes Küchengerät?
Ich habe keine Mikrowelle, keine Küchenmaschine oder andere Apparate. Ich koche fast alles über offenem Feuer. Mein Lieblingsutensil ist ein guter Mörser. Und natürlich ein paar gute, scharfe Messer. Mehr braucht man nicht.
Die ungewöhnlichste Zutat, die Sie je in einen Topf geworfen haben, war vermutlich der Schuh des Starregisseurs Werner Herzog. Sie kochen sonst eigentlich doch höchst gesund, hier haben Sie eine Ausnahme gemacht. Wie kam es dazu?
Werner hatte mit einem anderen Regisseur gewettet, dass dieser niemals einen bestimmten Film fertig bekäme. Falls doch, so versprach Werner, würde er seinen eigenen Schuh essen. Und als er dann die Wette tatsächlich verloren hatte, sollte ich den Schuh für ihn kochen. Wahrscheinlich hatte er gehofft, dass ich etwas einigermaßen Schmackhaftes daraus mache. Übrigens hat ein gemeinsamer Bekannter von uns darüber wiederum einen Kurzfilm gedreht: »Werner Herzog Eats His Shoe«.
Wie kocht man einen Schuh?
Es gibt natürlich kein fertiges Rezept. Aber ich wusste, dass Ente zum Beispiel wunderbar zart wird, wenn man sie in ihrem eigenen Fett kocht. Also probierte ich das auch mit dem Stiefel, den Werner in mein Restaurant in Berkeley brachte. Ich kochte ihn für mindestens 24 Stunden in Entenfett, fügte Knoblauch und Thymian hinzu wirklich zart wurde der Schuh leider nicht. Aber Werner schnitt ihn trotzdem tapfer mit einem Messer klein und aß zumindest einen Teil davon. Ich glaube nicht, dass es gut geschmeckt hat. Aber Werner war sehr tapfer.
Seit Jahrzehnten gilt Ihr Restaurant »Chez Panisse« als eines der besten der Welt. Wo lernt man, gut zu kochen? Von den Eltern?
Bei uns in der Familie konnte niemand gut kochen. Aber wir hatten, seit ich klein war, einen Gemüsegarten. Während des Zweiten Weltkriegs waren in den USA sogenannte »Victory Gardens« populär, durch Gemüseanbau sollte die Bevölkerung den Krieg gegen die Nazis unterstützen. Dadurch kam ich schon früh mit frischen Lebensmittel in Kontakt: Rhabarber- und Tomatenstauden und Maiskolben.
Wann haben Sie angefangen, zu kochen?
Als ich neunzehn war, ging ich für ein Jahr zum Studieren nach Frankreich. Das war mein kulinarisches und kulturelles Erweckungserlebnis Anfang der 1960er Jahre gab es in Frankreich keinen einzigen McDonald’s und keinen Cola-Automaten. Beides Dinge, die in den USA damals immer stärker den Alltag bestimmten. Heute mag »Slow Food« ein Trend sein, aber damals war ganz Frankreich eine Slow-Food-Kultur. Ich ging zweimal am Tag zum Markt: Morgens kaufte ich frisches Baguette und Aprikosenmarmelade und abends Austern direkt aus dem Meer. Als ich zurück nach Amerika ging, wusste ich: Ich will leben wie die Franzosen.
Also eröffneten Sie ein Restaurant?
Nicht gleich, das kam etwas später. Ich war damals sehr engagiert in der linksliberalen Studentenbewegung und gab mit Freunden eine Untergrundzeitung heraus, in der es um freie Meinungsäußerung, Politik und Rockmusik ging. Aber ich hasste das Hippie- Essen: brauner Reis und verkochtes Gemüse, bluäh! Das wirkte alles so unzivilisiert. Ich wollte vier Gänge und Stoffservietten und frische Blumen auf dem Tisch. Ich fing an, zu Hause für meine Freunde zu kochen. Ich dachte: Wenn es denen schmeckt, kann ich ja auch ein Restaurant aufmachen.
Woher kam das Startkapital?
Ich borgte mir 10 000 Dollar und steckte bald in einer Krise. Ich habe für ein Vier-Gänge-Menü nur 3,75 Dollar verlangt, den Angestellten aber fünf Dollar pro Stunde bezahlt.
Wie haben Sie die Pleite verhindert?
Ich bin keine besonders gute Geschäftsfrau. Deshalb habe ich die finanziellen Dinge irgendwann kompetenteren Leuten überlassen. Aber kulinarisch gesehen war das Restaurant vom ersten Tag an ein Erfolg, weil wir die Leute für frisches, saisonales Essen begeistern konnten.
Später schrieben Sie dem damaligen US-Präsident Clinton mehrere Briefe und forderten ihn auf, im Garten des Weißen Hauses Gemüse anzubauen. Haben Sie sich gefreut, als Michelle Obama dort nun einen Gemüsegartenanlegen ließ?
Ich war begeistert! Vor allem, weil sie dort gemeinsam mit ihren beiden Töchtern pflanzt und arbeitet. Bill Clinton hat mich damals zwar ignoriert, aber ich habe vor einiger Zeit einen Brief von Hillary Clinton bekommen: Sie schrieb mir, dass sie damals Tomaten auf dem Dach des Weißen Hauses angebaut hätte. Sie hatte also eine Art Geheimgarten!
Was empfehlen Sie jemandem, der in seiner Stadtwohnung kaum Platz hat, aber auch selbst etwas anbauen will?
Kräuter! Glatte Petersilie, Thymian oder Minze sind sehr unkompliziert und verwandeln selbst ein einfaches Essen in etwas Lebendiges und Geschmackvolles. Ein guter Trick übrigens bei jährlich blühenden Kräutern wie Basilikum oder Petersilie: Die Spitzen und Blüten abzwicken. Dann wachsen sie eher in die Breite als in die Höhe und halten länger.
Was wächst wild in der Stadt und ist essbar, ohne dass es jemand weiß?
Sowohl bei mir in Kalifornien als auch hier in Europa wächst fast überall wilder Fenchel. Er schmeckt und riecht intensiver als der gezüchtete, den man im Laden kaufen kann, und hat oft ein tolles Anisaroma. Der wilde Fenchel weist zwar nicht diese bekannte dicke Knolle auf, weshalb ich gerne seine gelben Blütenbüschel verarbeite. Im Frühjahr kann man daraus eine tolle Pastasauce machen, später im Jahr benutze ich den Fenchel, um Fische zu füllen. Die Pollen und Samen kann man trocknen und ganzjährig als Gewürz für Fleisch benutzen oder um Saucen und Relishes zu verfeinern.
Um die Ernährung von Schulkindern zu verbessern, haben Sie das Projekt »Der essbare Pausenhof« gegründet. Folgt jetzt der »essbare Gehsteig«?
Ich habe gerade erst von der Stadt Andernach in der Nähe von Berlin gehört: Dort lässt die Stadtverwaltung auf allen öffentlichen Plätzen Gemüse und Kräuter statt Blumen oder Hecken anbauen. Und jeder darf sich bedienen. Was für eine brillante Idee! Ich habe mich schon oft gefragt, warum wir in Parks oder auf städtischen Wiesen nicht öfter Rhabarber oder Grünkohl anstelle von Stiefmütterchen anpflanzen. Das sieht doch toll aus und es macht satt.
ALICE WATERS, 70, ist Küchenchefin und Gründerin. Sie arbeitete zunächst als Montessori-Lehrerin. Heute ist sie außerdem eine einflussreiche Lebensmittelaktivistin und Vizepräsidentin des Vereins »Slow Food«. Sie hat zahlreiche Kochbücher veröffentlicht. Gerade erschien ihr Standardwerk »The Art of Simple Food« auf Deutsch.
DREI LIEBLINGSREZEPTE VON ALICE WATERS
(entnommen aus: »The Art of Simple Food«, Prestel Verlag, und »The Art of Simple Food II«, Crown Publishing)
MANGOLD-CROSTINI MIT RHABARBER-HOBELN
»Der säuerlich-grasige Geschmack von rohem Rhabarber ist angenehm frisch im Zusammenspiel mit den erdigen Noten von Mangold und Grünkohl. Verjus (französisch »grüner Saft«: der Saft unreifer, noch grüner Trauben) steuert Säure und Fruchtigkeit bei. Falls Sie Verjus nicht bekommen können, verwenden Sie eine Mischung aus Zitronensaft und Champagner-Essig.«
- Den Backofen auf 190 °C vorheizen.
- Vier Portionen: Von 1 Bund Mangold das Grün von den fleischigen Stielen abschneiden und in kochendem Salzwasser blanchieren. Herausnehmen, abtropfen lassen und das meiste, aber nicht alles Wasser herausdrücken. Dann grob hacken. Mit Salz würzen und mit 1 Schlenker Olivenöl beträufeln.
- 4 Scheiben rustikales Weißbrot auf ein Backblech legen und im vorgeheizten Ofen kross backen, etwa 10 Minuten.
- Dann mit Olivenöl beträufeln. Eine einfache Vinaigrette anrühren aus 1 EL Verjus, Salz, frisch gemahlenem schwarzem Pfeffer, 2 EL Olivenöl. Blätter und den zähen Stielansatz von ½ Rhabarberstängel entfernen. In fingerlange Stücke teilen und mit einem Gemüseschäler der Länge nach in dünne Hobel schneiden. In einer Schüssel mit der Vinaigrette vermischen, mit einer Prise Salz abschmecken. Den gegarten Mangold unterheben. Noch einmal mit Salz und Säure abschmecken. Dann auf den getoasteten Brotscheiben anrichten und servieren.
TORTILLA MIT GARTENSALATEN
»Mein Salatgarten hat mich zu einem köstlichen Mittagessen inspiriert: frische Salatblätter, mit würzigem Joghurt in eine warme Tortilla gepackt. Ich nehme jedes Mal etwas anderes, je nachdem, was ich habe zarte Frühlingssalate, Winterrucola, Gurken, bittersüßen Frisée, Minzeblätter oder Radieschenscheiben. Auch eine Scheibe Braten vom Vortag schmeckt gut.«
- Pro Person 1 Handvoll Salatblätter (Rucola, Frisée, je nach Saison), 1 paar Blätter frische Kräuter (Minze, Koriander o. ä.) waschen und trocknen. Dazu 1 Esslöffel Naturjoghurt, 1 Prise Salz, 1 Prise frisch gemahlene Gewürze (Kumin, Schwarzkümmel, Koriander- oder Fenchelsamen) in einer Schlüssel vermengen.
- Für die Tortillas (acht Stück): 2 Tassen Vollkornmehl, ½ Teelöffel Salz, 2 Teelöffel Olivenöl vermengen. Dann nach und nach ½ bis maximal ¾ Tasse Wasser dazugeben und mit einer Gabel verrühren, bis ein weicher, aber nicht nasser Teig entsteht. Diesen achteln, eine halbe Stunden zugedeckt ruhen lassen, dann in runde Fladen ausrollen und in einer Pfanne jede Seite 30 bis 45 Sekunden ohne Fett anbräunen.
- Die Tortillas mit dem Joghurt und den Kräutern belegen, ein wenig Olivenöl darüberträufeln und zusammenklappen.
MAROKKANISCHES SPARGEL-GEMÜSERAGOUT
»Dieses Ragout servierst du nach marokkanischer Art allein oder mit gedämpftem Couscous, Chermoula und Limettenschnitzen. Etwas frisches Koriandergrün als Garnitur ist schmackhaft und dekorativ zugleich.«
- Vier Portionen: In einem Suppentopf mit schwerem Boden 3 EL Olivenöl heiß werden lassen. 1 mittlere gewürfelte Zwiebel, 1 TL fein gehackten jungen Knoblauch anschwitzen, dabei oft umrühren. Wenn beides schön weich, aber nicht gebräunt ist, 3 Tassen vorgegarte Kichererbsen, 3 Tassen des Kichererbsen-Kochwassers, 1 Prise Safran, 1 TL trocken geröstete, dann gemahlene Kreuzkümmelsamen, 1 TL trocken geröstete, dann gemahlene Koriandersamen, 1 TL Paprikapulver, ½ Zimtstange, ¼ Tasse gehackte eingelegte Zitrone zugeben, leise zum Köcheln bringen und 10 Minuten weiterköcheln.
- Nach Geschmack salzen und pfeffern, dann 1 Tasse sehr junge, frische, geschälte Erbsen (mit Schale etwa 450 g), 200 250 g Spinat, gewaschen und abgetropft, 1 Tasse Zuckerschoten, geputzt und längs halbiert, zugeben, 5 Minuten weiterköcheln. Wenn nötig, etwas mehr Flüssigkeit zugeben, das Gericht soll sehr saftig sein.
- Währenddessen 350 g grünen Spargel, von holzigen Enden befreit und wo nötig geschält, in simmerndem Salzwasser al dente ziehen lassen. zum Servieren das Gemüseragout in Suppenteller füllen und die Spargelstangen darauf arrangieren.
Interview: Christoph Koch
Erschienen in: NEON 5/2015