„Kinder, die immer das Gleiche essen, neigen zu Depressionen“, mahnte die „Süddeutsche“ kürzlich prominent gleich auf Seite eins. Das hätten Forscher der amerikanischen Duke University herausgefunden. Ich halte das, Entschuldigung, für ganz großen Quatsch. Und zwar mit Soße. Zum einen wirkt es wie ein klassischer Fall von Korrelation versus Kausalität: Nur weil Kinder, die Nachhilfe bekommen im Durchschnitt schlechtere Noten haben, wäre es ja auch Unsinn zu vermuten, dass die Nachhilfe für diese verantwortlich sei.
Zum anderen wundere ich mich, woher die Forscher die Vergleichsgruppe nahmen. Also die Kinder, die NICHT jeden Tag ihr Lieblingsessen essen wollen – seien es nun Nudeln mit Ketchup oder mein früheres Go-to-Essen als Kind: „Fleisch mit Knochen“. Es gab eine Phase, in der ich glaubte, ich sei ein Hund. An Depression kann ich mich hingegen nicht erinnern.
Seien wir ehrlich: Es gibt generell kaum etwas Zwanghafteres als ein Kleinkind. Die Klettverschlüsse der Schuhe müssen auf eine ganz bestimmte Weise über Kreuz geklettet werden, damit eine Blume entsteht. Auf keinen. Fall. Anders. Wir Erwachsenen hassen es ja auch, wenn Dinge sich ändern. Wir haben nur gelernt, unseren Impuls zu unterdrücken, uns schreiend auf den Boden zu werfen, wenn das iPhone-Betriebssystem sein Design ändert.
Manchmal sitze ich mit J., dem kleinen Sohn meines besten Freundes auf der Couch und bevor J. ins Bett muss, dürfen wir noch fünf Minuten „Mausfant“ auf Youtube gucken. Die Folgen sind sehr kurz, in fünf Minuten schafft man ungefähr zehn Folgen. Der kleine J. schaut dann am liebsten seine Lieblingsfolge zehnmal hintereinander. Es ist halt die beste. Dennoch gibt es kein Kind, bei dem ich mir weniger Sorgen um seine psychische Gesundheit machen würde. Irgendwann wird er die Mausfant-Episode über haben. Genauso wie jedes Kind, das am liebsten jeden Tag Nudeln mit Ketchup essen will, irgendwann merkt, dass es dabei eine Menge verpasst. Aber nicht, weil seine Eltern ihm aus Panik vor Depressionsschüben etwas anderes reingezwungen haben. Sondern indem sie dem Kind eine normale, gesunde, gemischte Kost vorleben.
Essen ist nun mal ein sehr persönlicher, sehr autonomer Akt – die Vegiday-Raserei der Deutschen sei mein Zeuge. Wenn Kinder jeden Tag die gleichen Quetschkartoffeln mit Butter essen wollen, dann ist das auch einfach nur ihre Art zu sagen: „Hey, das hier ist immer noch mein Leben. Danke für eure Vorschläge, wie ich es zu leben habe. Aber kein Interesse.“
Wie man Kinder am einfachsten dazu bekommt, am Essenstisch experimentierfreudiger zu werden, hat mir übrigens die amerikanische Spitzenköchin Alice Waters verraten. Sie arbeitet in ihrem Projekt „The Edible Schoolyard“ mit Schülern aus sozial schwachen Familien zusammen, deren Ernährungspyramide auf Chipstüten errichtet wurde. (Noch mal: Wenn diese Kinder depressiv werden, dann vermutlich nicht wegen der Chips, sondern weil ihre Eltern arbeitslos, crackabhängig oder beides sind, liebe Forscher.) Waters legt mit den Kindern Gemüsegärten an und brät Spiegeleier über offenem Feuer. „Wenn Kinder es selber ernten und selber kochen, dann essen sie es auch“, sagte Waters zu mir. Nach ihrem Geheimrezept für „Fleisch mit Knochen“ habe ich sie nicht gefragt. Ich finde Schweinekoteletts inzwischen nämlich gar nicht mehr so toll.
Nido-Autor Christoph Koch hat selber keine Kinder – was ihn aber nicht davon abhält, lautstark seine Meinung zu Kinderthemen zu äußern. Beschimpfen Sie ihn dafür ruhig auf Twitter: @christophkoch.
Erschienen in: Nido
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