Wie funktioniert Industrie im digitalen Zeitalter, und was bedeutet das für die Mitarbeiter? Besuch bei der Firma Kärcher.
„Jeder Kunde kann ein Auto in jeder gewünschten Farbe haben, solange es schwarz ist.“ Mit diesem Satz fasste Henry Ford zusammen, was das Problem industrieller Massenfertigung war und ist. Sie bringt effizient und schnell Dinge hervor – aber eben immer die gleichen.
Bei der sogenannten Scheuersaugmaschine Typ B40 der schwäbischen Firma Kärcher ist das anders. Die B40, genauso wie ihr Schwestermodell B60, ist in etwa so groß wie ein Einkaufswagen, wenn auch deutlich massiver. Sie fährt handgesteuert mit einem Elektromotor, wischt Böden und saugt sie anschließend sofort trocken. Kunden, die sie kaufen, können bestimmen, ob mit Rollen oder Scheiben gewischt werden soll, wie breit oder schmal diese sein sollen, wie das Lenkrad gestaltet ist und ob eine automatische Tank-Innenreinigung erfolgen soll. Insgesamt gibt es ungefähr 40.000 verschiedene Kombinationen. So gut wie keine bestellte Maschine gleicht am Ende der anderen. Die Kunden können sich auch die Farbe aussuchen – die meisten bleiben allerdings bei einer Kombination aus Anthrazit und dem typischen Kärcher-Gelb.
„Früher hatten wir einen Katalog mit nur wenigen verschiedenen Varianten“, sagt Carsten Schlenker, Werkleiter am Hauptstandort in Winnenden, eine halbe Stunde nordöstlich von Stuttgart. „Da bereitete ein Kommissionierer die erforderlichen Teile in einem Setwagen vor, daraus wurde dann in der Fertigungslinie die Maschine zusammengebaut.“ Früher – das heißt in diesem Fall noch Anfang 2015. Seitdem hat die vielbeschworene Industrie 4.0 Einzug gehalten in Winnenden.
Das Firmengelände von Kärcher ist hier im Laufe der Jahrzehnte mit dem Ort verschmolzen: Es gibt moderne Bürogebäude und ein ansehnliches Auditorium. Manche Abteilungen sitzen aber auch in ehemaligen Einfamilienhäusern, welche die Firma im Zuge ihrer Ausdehnung aufgekauft hat.
Doch auch, wenn manches hier traditionell wirkt: In der Fertigung geht es höchst modern zu. In Zusammenarbeit mit dem Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hat die Firma für ihre fahrenden Putzkolosse eine komplett digitalisierte Fertigungslinie entwickelt. Das heißt nicht, dass Roboter die Montage übernehmen – das machen nach wie vor die Mitarbeiter. Doch die werden dabei von Computertechnik unterstützt. Statt eines Kommissionierers, der die erforderlichen Bauteile heraussucht, sind alle Teile für alle Produktvarianten an der Linie vorrätig. In einer für einen Menschen jedoch nicht mehr zu überblickenden Zahl. Den Überblick behält darum das entstehende Produkt selbst, es „weiß“, in welcher Variante es gebaut werden soll und welche Teile erforderlich sind. Dafür sorgt ein Funkchip, der am Montagewagen angebracht ist und in dem die Information direkt aus dem Auftragssystem heraus gespeichert wird.
An jeder der über zwölf Montagestationen funkt der Chip nun an das Regal mit den benötigten Bauteilen. Die entsprechenden Fächer signalisieren mit farbiger Beleuchtung, welche Teile zu entnehmen und einzubauen sind. Im sogenannten „Pick by light“-Verfahren leuchtet das Fach mit dem als Nächstes zu entnehmenden Bauteil grün. Später zu montierende Teile werden blau angestrahlt. Kisten, die nichts enthalten, was aktuell benötigt wird, bleiben dunkel. Greift der Arbeiter ins falsche Fach, warnt ihn ein rotes Licht.
Kommissionierlisten oder Packzettel, wie sie früher üblich waren, gibt es nicht mehr. Auf einem Bildschirm sieht der Monteur zudem aufgelistet, welche Teile im aktuellen Schritt einzubauen sind. Für kompliziertere Arbeitsschritte (oder unerfahrenere Arbeitskräfte) können Bilder und Videos eingeblendet werden. Auch am Ende der Fertigungslinie, wenn die Maschine geprüft wird, weiß der Prüfplatz dank Funksignal genau, über welche Funktionen diese vom Kunden bestellte Variante verfügen sollte und welche wie getestet werden müssen.
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Text: Christoph Koch