Maschinen werden in kreativen Berufen verstärkt zum Einsatz kommen. Prophezeit der Kulturmanager Holger Volland. Ein Gespräch über das Potenzial und die Grenzen künstlicher Intelligenz.
Für das Projekt „The Next Rembrandt“ hat ein selbstlernendes System ein Gemälde angefertigt, das für Laien kaum von einem echten Rembrandt zu unterscheiden ist, aber auch keine exakte Kopie darstellt. Wie ging das vonstatten?
Eine künstliche Intelligenz (KI), wie man so eine selbstlernende Software verkürzend nennt, hat erst Hunderte von Rembrandt-Gemälden analysiert und dabei definiert, was seine Bilder ausmacht: Farben, Licht, Komposition und viele andere Faktoren. Das Bild selbst wurde dann mit einem 3D-Drucker angefertigt, um die verschiedenen Farbschichten hinzubekommen. Es handelt sich nicht um eine 1:1-Kopie wie bei einer Fälschung, sondern um ein neues Gemälde mit einem Motiv, das Rembrandt so nie gemalt hat, aber hätte malen können. Es ahmt perfekt seinen Stil nach.
Handelt es sich dabei um eine kreative Leistung?
Es gibt bis heute keine eindeutige Definition von Kreativität. Worauf man sich einigen kann: Es ist die Fähigkeit, ein originelles Ergebnis für eine Problemstellung zu finden. Dabei unterscheiden wir so gut wie nie zwischen den kreativen Prozessen und dem kreativen Ergebnis. Wenn wir einen solchen KI-Rembrandt irgendwo hängen sehen, inmitten von anderen Bildern, dann vergleichen wir automatisch Ergebnisse miteinander und nennen das dann Kreativität. Bei uns Menschen ist Kreativität aber ein Prozess, während dessen wir uns mit einer Aufgabe beschäftigen, mögliche Lösungen in unserem Hirn hin und her wälzen und vielleicht darüber schlafen. Es bedeutet auch, dass wir aus ganz vielen Bereichen Erfahrungen einfließen lassen und daraus am Ende die beste Lösung destillieren. Eine KI schaut sich an, was Van Goghs Sonnenblumen einzigartig macht, und – zack – erzeugt es auf Knopfdruck ein völlig neues Bild im Van-Gogh-Stil. Deshalb: Ja, das Ergebnis ist kreativ. Das gilt für alle Gebiete, auf denen KI derzeit tätig ist, von Musik über Malerei bis hin zu mithilfe von maschinellem Lernen verfassten Romanen. Dennoch gibt es momentan keine kreative KI.
Kunst lebt auch von radikalen Brüchen. Joseph Beuys klatschte, statt eine besonders schöne Landschaft zu malen, einen Berg Fett auf einen Stuhl. Von neuronalen Netzwerken ist so etwas schwer vorstellbar, oder?
Theoretisch wäre es denkbar, auch Regelbrüche zu programmieren. Ein vielversprechendes Konzept sind außerdem sogenannte Generative Adversarial Networks (GAN), also zwei lernende Systeme, die gegeneinander antreten.
Und sich dabei gegenseitig anspornen?
Sozusagen. Das erste System generiert zum Beispiel Bilder von Katzen, und das zweite System sagt, ob diese Bilder echt oder künstlich erzeugt sind. Dafür muss das zweite natürlich vorher gelernt haben, wie eine Katze aussieht. Das generierende System lernt durch Millionen Versuche mit Feedback nach und nach, ein möglichst perfektes Katzenbild zu erzeugen. Dieses Lernen per Wettstreit kann auch mit Kunst funktionieren. Die eine Seite könnte darauf trainiert werden, verschiedene Kunststile zu erkennen. Der zweiten Seite müsste man dann die Aufgabe stellen, ein Bild zu kreieren, das typische Elemente mehrerer Künstler vereint, aber vom ersten System dennoch als einem bestimmten Stil zugehörig eingestuft wird. Doch um auf Beuys zurückzukommen: Die Lust am Regelbruch und daran, sich als Individuum einzubringen und andere womöglich zu schockieren, hat eine lernende Maschine natürlich nicht. KI hat keine Persönlichkeit, die sie gern in den Vordergrund bringen möchte. Man braucht auch ein wenig Egomanie, um einen solchen Regelbruch zu wagen, und die geht einer KI völlig ab.
Welches Potenzial haben sich selbst verbessernde neuronale Netze in Bezug auf Tätigkeiten, die als kreativ gelten und daher dem Menschen vorbehalten waren?
Aktuelle Projekte zeigen etwa die ziemlich perfekte Kopie einer natürlichen menschlichen Stimme, die man für automatisierte Filmbeschreibungen oder das Sprechen von Nachrichten verwenden kann. Andere Systeme können fehlende Bildteile in Fotos ersetzen, automatisch Filme retuschieren oder attraktive Headlines für Social-Media-Posts generieren. Jede Woche erscheinen derzeit neue wissenschaftliche Artikel darüber, wie Maschinen Aufgaben auch in kreativen Branchen übernehmen.
Müssen also nicht nur Lagerarbeiter bangen, von Robotern ersetzt zu werden, sondern auch Schriftsteller oder Komponisten von Werbe-Jingles?
Es werden nahezu alle Berufe mit Machine Learning zu tun haben. Künstler und Kreative haben aber auch die gesellschaftliche Aufgabe, das Bestehende zu hinterfragen oder Probleme sichtbar zu machen. Diese Rolle bleibt, denn das kann KI nicht. Eine andere Frage ist, ob wir kreativen Menschen weiterhin die nötigen ökonomischen Ressourcen zur Verfügung stellen. Ob es weiterhin genügend Leute gibt, die unbedingt ein von einem Menschen gemaltes Bild haben wollen – oder ob nicht viele sagen: „Ich hätte gern etwas in Rot und Gelb, 1,80 mal 2 Meter, weil das gut über mein Sofa passt. Ob es von einem Menschen gemalt wurde oder nicht, ist mir eigentlich egal.“
Welche Rolle spielt diese Technik heute schon in der Arbeitswelt?
Firmen wie Unilever, Vodafone oder Hilton benutzen einen Dienstleister namens HireVue für die Personalauswahl (siehe auch brand eins 12/2017: „Der Computer, der mich einstellte“) *. Bewerber beantworten von zu Hause aus Fragen per Video, und das Unternehmen analysiert diese Interviews mittels KI. Die Annahme ist, dass man aus der Art, wie jemand spricht, aus Mimik und Körperhaltung, Aussagen darüber treffen kann, ob er bestimmte Kriterien erfüllt, die für die betreffende Stelle notwendig sind.