Ein Szenario.
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Die Europäische Union (EU) wurde bereits mehrfach totgesagt. Zu Zeiten der sogenannten Eurosklerose in den Siebziger- bis Achtzigerjahren etwa oder beim dänischen Referendum 1992, der Ablehnung des Maastrichter Vertrags. Ebenso auf dem Höhepunkt der Griechenlandkrise, nach dem Brexit-Votum sowie im aktuellen Streit um die Flüchtlingspolitik. Bislang erwies sich die EU als robuster, als ihre Kritiker gedacht hätten.
Doch was wäre, wenn sie sich tatsächlich auflösen würde? Theoretisch wäre das Ende auf zwei Wegen möglich. Der unwahrscheinlichere: Ähnlich dem Brexit erklärt ein Land nach dem anderen seinen Austritt und verlässt zwei Jahre später die Union. Die zweite Variante: Alle Mitgliedsländer entscheiden gemeinsam, den Vertrag von Lissabon aufzukündigen. „Damit wäre auch der Euro Geschichte“, sagt Matthias Kullas, Fachbereichsleiter Wirtschaft beim Centrum für Europäische Politik (CEP). „Es sei denn, man würde sofort einen neuen Vertrag über eine Währungsunion von ansonsten völlig souveränen Einzelstaaten abschließen. Doch das halte ich für nahezu ausgeschlossen.“
Es wäre nicht das erste Mal, dass eine staatenübergreifende Währung verschwindet: Gleiches geschah beispielsweise zum Ende der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, der Sowjetunion und der Republik Jugoslawien. Die Folgen waren in allen Fällen katastrophal: Etwa die Hälfte aller Hyperinflationen im 20. Jahrhundert lasse sich auf den Kollaps der Währungen dieser drei Wirtschaftsräume zurückführen, schreibt der Ökonom Anders Åslund, der das Ende der Rubelzone untersucht hat. Es sei einfacher, so sein Fazit, eine Währungsunion zu gründen als sie aufzulösen.
In den Rubel-Ländern sanken die Löhne nach dem Aus der gemeinsamen Währung um rund 50 Prozent, wobei Exportländer wie die Russische Föderation genauso litten wie Importländer wie Lettland oder Estland. Eine Studie der Ing-Bank kam 2010 zu dem Ergebnis, dass eine Auflösung der Eurozone einen Rückgang der Wirtschaftsleistung im gesamten EU-Raum zwischen 5 und 9 Prozent im ersten Jahr und 9 bis 14 Prozent in den ersten drei Jahren zur Folge hätte.
„Eine neue deutsche Währung würde massiv aufwerten, während Nachfolgewährungen in Südeuropa dramatisch abwerten müssten“, sagt der CEP-Experte Kullas. „In beiden Fällen wären große Probleme die Folge: sowohl für die Exportnation Deutschland als auch für Länder wie Griechenland, die mit einer schwachen Währung ihre Rohstoffeinkäufe in Dollar nicht mehr finanzieren könnten.“
Die Studie „The Day After The Euro“ der Bank of America kommt zu dem Ergebnis, dass eine wiedereingeführte D-Mark sofort 30 Prozent teurer wäre als die südeuropäischen Nachfolgewährungen des Euro. Um zu vermeiden, dass Waren in Nachbarländern viel teurer oder günstiger würden, wäre die Wiedereinführung von Zöllen die Folge.
Auch aus anderen Gründen würde die Wirtschaft leiden. Die Zulieferernetze und komplexen Wertschöpfungsketten, die sich in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg gebildet und zunehmend ausdifferenziert haben, was eine große Spezialisierung einzelner Standorte ermöglichte, gingen verloren. „Es käme zu Produktivitätsverlusten, steigenden Lager- und Transportkosten und sinkendem Wettbewerb“, sagt Kullas. Die Konsequenz daraus wären einerseits Arbeitsplatzverluste, andererseits steigende Preise. „Es käme mit Sicherheit zu einer massiven Rezession.“ In manchen Ländern wären sogar Versorgungsengpässe bei Nahrungsmitteln oder Medikamenten möglich, falls bestimmte Handelsabkommen wegfallen oder hohe Zölle erhoben würden.
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Foto: Sara Kurfeß (Unsplash)