Eigentum ist out. Es genügt, Zugriff auf Dinge zu haben, sie zu teilen. Das ist das Credo der Sharing Economy. Aber warum setzt sie sich nicht durch? Ein Gespräch mit Philipp Glöckler, einem Pionier der Branche.
brand eins: Herr Glöckler, Sie haben 2012 die Firma Why own it gegründet. Worum ging es da?
Philipp Glöckler: Das war eine App, mit deren Hilfe die Nutzer Gegenstände ver- und ausleihen konnten: ein Surfbrett, ein ausgelesenes Buch oder eine Bohrmaschine. Erst nur mit ihren Freunden, später konnte man dann zum Beispiel auch Dinge tauschen mit Leuten in seinem Viertel, die man nicht kannte.
Teilen entspricht dem Zeitgeist. Überall hört man: „Ich muss nicht 1000 Dinge besitzen. Ich brauche keine Bohrmaschine, ich brauche ein Loch in der Wand!“ Die App sollte also Millionen von Nutzern gehabt und Sie reich gemacht haben.
Leider nicht. Wir haben es nie geschafft, das Ding zum Fliegen zu bekommen. 2015 habe ich den Stecker gezogen. Aber ich sage immer: Wenn etwas funktioniert, dann ist neben viel Arbeit auch sehr viel Glück dabei.
Warum wurde das Angebot nicht angenommen?
Es gab vor allem zwei Probleme: Zum einen haben wir nie eine kritische Masse erreicht. Irgendjemand hat zwar die berühmte Bohrmaschine verliehen, die man gesucht hat. Aber eben nicht eine Straße weiter, sondern am anderen Ende der Stadt. Das hat es umständlich gemacht, gerade wenn man sich in Zeiten von Onlineshopping und Ebay auch schnell eine nach Hause liefern lassen kann, die nicht die Welt kostet.
Was war das zweite Problem?
Es gab mehr Nutzer, die etwas ausleihen wollten, als solche, die etwas verleihen wollten. Das klassische Empty-Room-Problem habe ich unterschätzt. Alle modernen Online-Plattformen, die wie Marktplätze funktionieren, müssen beide Seiten gleich schnell hochziehen können. Airbnb konnte nur wachsen, weil es sowohl viele Leute gab, die Unterkünfte buchen wollten, als auch viele, die welche angeboten haben. Die Gründer haben das Problem damals gelöst, indem sie anfangs viele Wohnungsangebote einfach vom US-Kleinanzeigenportal Craigslist abgeschöpft haben. Dadurch konnten sie ihre Angebotsseite schnell skalieren und somit auch auf der Nachfrageseite schnell wachsen.
Bekamen Anbieter bei Why own it Geld, wenn sie etwas verliehen?
Ich wollte das umsonst machen. Die Währung sollte eher Vertrauen und Freundschaft sein. Ich wollte erst ein cooles Produkt erschaffen und es später monetarisieren.
Das klingt ein bisschen romantisch.
Meine Idee war, dass ich vor einer Reise nach Barcelona in die App schaue und sehe, dass eine Freundin einen Reiseführer für die Stadt hat. Ich treffe sie auf einen Kaffee, sie gibt mir das Buch und erzählt mir nebenbei noch von ihren Lieblingsplätzen in Barcelona. Freundschaften pflegen, Freunde besser kennenlernen und gleichzeitig Konsum reduzieren – das war meine Vision. Dass das nicht so viele Leute wirklich machen wollten, dass uns also der Product-Market-Fit fehlte, merkte ich erst viel zu spät, weil ich mich vorher so sehr auf die App und ihre Benutzbarkeit und andere Details konzentriert hatte.
Was war das Kurioseste, das verliehen wurde?
Ich war total überrascht, als ich gesehen habe, dass manche Frauen Nagellack anboten. Als ich eine Nutzerin danach fragte, erklärte sie mir, dass Nagellack irgendwann eintrocknet. Sie wollte ihn lieber hergeben, als ihn irgendwann wegzuschmeißen. Es war also kein klassisches Verleihen, heute würde sie den Nagellack wohl eher über Ebay-Kleinanzeigen oder eine lokale Facebook-Gruppe wie „Free Your Stuff“ verschenken, die es inzwischen in vielen Städten gibt.
Sie selbst hatten sich zu Werbezwecken öffentlich vorgenommen, ein Jahr lang nichts zu kaufen. Hat das geklappt?
Ja, aber Dinge für meinen Kühlschrank oder Toilettenpapier waren natürlich ausgenommen. Für mich war es immer wichtig, so glaubwürdig wie möglich zu sein. Vor Why own it hatte ich 2009 Avocado Store gegründet, einen Marktplatz für nachhaltig produzierte Kleidung. Damals war klar, dass ich selber nicht mit Sweatshop-Klamotten rumlaufen kann. Und bei Why own it musste ich derjenige sein, der sich alles leiht. Du kannst so ein Produkt nur anbieten, wenn du voll dahinterstehst.
Woher kam die Faszination für die Sharing Economy?
Avocado Store hatte gut funktioniert, und den Laden gibt es heute noch. Aber ich merkte, dass die Leute uns zwar liebten und manche auch bei uns einkauften, aber trotzdem noch zu H&M gerannt sind. Gleichzeitig wurde Carsharing wie Car2Go immer populärer, das ohne feste Stationen, spontan und per App funktionierte. Mein Mitgründer bei Avocado Store, Stephan Uhrenbacher, hatte mit 9flats gerade einen Airbnb-Klon gegründet. Dort sah ich, wie Menschen plötzlich Fremden ihre Haustürschlüssel gaben, Vertrauen schien also nicht das Problem zu sein. Ich war damals total auf dem Nachhaltigkeits-Trip und wollte die Leute dazu bringen, insgesamt weniger zu kaufen.
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Interview: Christoph Koch
Foto: rawpixel / Unsplash