„Don’t be evil“ schrieb sich Google einst auf die Fahnen – und in den Verhaltenskodex. Was ist aus dem Bekenntnis geworden?
Als Tausende Google-Mitarbeiter an Standorten auf der ganzen Welt am Vormittag des 1. November 2018 ihre Büros verließen und sich vor den Firmengebäuden versammelten, waren sie wütend. Wütend über die Abfindung von 90 Millionen Dollar, die der Manager Andy Rubin laut einem Bericht der »New York Times« bekommen hatte – obwohl er das Unternehmen wegen sexueller Belästigung verlassen musste. Wütend aber auch über die generelle „Boys‘-Club-Mentalität“ der Firma, über Benachteiligung von Frauen und Minderheiten und über die Verpflichtung, alle arbeitsrechtlichen Probleme statt vor Gericht in internen Schlichtungsverfahren zu klären. Auf den Protestschildern stand „Nicht OK Google“ oder „Schützt die Opfer, nicht die Täter“ und immer wieder: „Don’t be evil“.
Obwohl dieses Motto nie Teil einer Werbekampagne war, dürfte es ebenso bekannt sein wie Nikes Slogan „Just do it“ oder „Ich liebe es“ von McDonald’s. Der Satz gehört zu Google wie die bunten Buchstaben des Logos. Doch je größer das Unternehmen wurde, je vielfältiger seine Geschäfte, umso schwieriger scheint es, das vermeintlich einfache Versprechen zu halten.
Als Erfinder der Slogans gelten zwei frühe Mitarbeiter. Marissa Mayer, Google-Angestellte der ersten Stunde und spätere Chefin des Konkurrenten Yahoo, schilderte dessen Genese 2008 in einem Interview mit dem »Sydney Morning Herald« wie folgt: Ihr damaliger Schreibtischnachbar und Google-Mitarbeiter Nummer sieben, ein Programmierer namens Amit Patel, habe bereits 1999 mit Sorge die Entwicklung der jungen Firma verfolgt. Google begann damals, prominente Platzierungen in den Suchergebnissen an Werbekunden zu verkaufen. Patel hinterließ eine Mahnung im Konferenzraum, in dem die Verkäufer die Anzeigenkunden trafen: „In unglaublich ordentlicher Handschrift schrieb er in kleinen Buchstaben ‚Don’t be evil‘ unten rechts auf das Whiteboard“, erinnert sich Mayer. Von der Tafel in ein offizielles Dokument schaffte es der Satz am 19. Juli 2001.
Google war inzwischen stark gewachsen, und ein Dutzend erfahrener Mitarbeiter, darunter auch Patel und Mayer, sollten eine Liste mit Wertvorstellungen des Unternehmens ersinnen. Paul Buchheit, der später Gmail erfand und wie Patel als Programmierer arbeitete, fand sämtliche Vorschläge seiner Kollegen lahm: Phrasen, die ihn unangenehm an seine Zeit beim Chip-Hersteller Intel erinnerten. „Also schlug ich etwas vor, das interessant, aber auch ein wenig unangenehm sein sollte“, erinnert sich Buchheit in Steven Levys Google-Biografie „In The Plex“. Ihm fiel Patels Satz „Don’t be evil“ ein. „Das fand ich ein griffiges und interessantes Statement. Die anderen lachten. Aber ich sagte: Nein, im Ernst.“
Marissa Mayer und die Personalchefin Stacy Sullivan baten, den ihrer Ansicht nach zu negativen Slogan durch etwas Positiveres wie „Do the right thing“ zu ersetzen. Aber Patel und Buchheit blieben hartnäckig – und obwohl am Ende eine Reihe von Grundsätzen verabschiedet wurde, blieb „Don’t be evil“ als einziger legendär. Weil er sowohl eingängig als auch ein wenig pathetisch ist. Vielleicht auch, weil Patel ihn danach auf jedes Whiteboard der Firma schrieb.
Für ein paar Monate schwebte der Schwur – mal ausgesprochen, mal nicht – über allen Meetings. Und führte zum Beispiel zu der Entscheidung, keine Werbeanzeigen für „zu negative“ Websites anzunehmen. Als Eric Schmidt, gerade frisch angeheuert, einem Reporter des Magazins »Wired« 2001 ein Interview gab, wurde der Slogan öffentlich. „Klingt sehr nach ,Star Wars‘. Aber was bedeutet der Satz?“, fragte das Magazin. Schmidt schob die Verantwortung Sergey Brin zu, einem der beiden Gründer: „Böse ist das, was Sergey als böse einstuft.“
Vom Motto zum Mühlstein
Sergey Brin und sein Mitgründer Larry Page waren von dem Slogan jedenfalls so überzeugt, dass sie ihn im Jahr 2004 zum Kernstück ihres Investorenprospekts für Googles Börsengang machten. Unter dem Titel „Don’t be evil“ schrieben sie dort: „Wir glauben fest daran, dass wir – als Aktionäre und generell – langfristig mit einer Firma besser beraten sind, die Gutes für die Welt tut, auch wenn wir dadurch auf manche kurzfristigen Gewinne verzichten.“ Im Anhang des Prospekts findet sich sogar ein »Playboy«-Interview mit den beiden Gründern, in dem der Slogan ausführlich diskutiert wird: „Wir haben versucht zu definieren, was es bedeutet, Gutes zu tun, die richtige, ethische Entscheidung zu treffen“, sagt Brin dort. „Am Ende scheint ,Sei nicht böse‘ der einfachste Weg zu sein, es zusammenzufassen.“ Und Page ergänzt: „Anscheinend finden es die Leute besser als ,Sei gut.‘ “
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Foto: Paweł Czerwiński /Unsplash