Was wäre, wenn … in Deutschland einen Monat lang der Strom ausfiele?

Written by on 13/05/2019 in brand eins with 1 Comment

Ein Szenario.

(Andere Folgen der „Was wäre, wenn…?“-Kolumne aus brand eins HIER lesen.)

Ein Sonnensturm, dessen Eruptionen Transformatoren auf der Erde zerstören, wie 1989 im kanadischen Quebec geschehen. Ein Computerwurm wie Stuxnet, der in der Lage ist, die Steuerungstechnik von Kraftwerken lahmzulegen. Ein Hackerangriff auf vernetzte smarte Stromzähler. Szenarien, die zu einem großflächigen, länger andauernden Stromausfall führen könnten, sind zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber denkbar. Was würde passieren, wenn in Deutschland einen Monat lang der Strom ausfiele?
Die ersten drastischen Folgen träten sofort ein: Menschen blieben in Liften eingeschlossen, U-Bahnen, Trams und die zumeist elektrisch betriebenen Fernzüge blieben stehen. Ampelanlagen fielen aus – zahlreiche Verkehrsunfälle, Staus und Chaos wären die Folge. „Klassische Analogtelefone, die nur in der Telefonbuchse stecken, würden eine kurze Zeit weiterhin funktionieren, aber die gibt es kaum noch“, sagt Maik Poetzsch, der für das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) die bislang größte Studie zu einem großräumigen Ausfall der Stromversorgung mitverfasst hat. „Moderne Telefone, auch Funktelefone mit Basisstation, wären nicht mehr funktionsfähig.“ Mobiltelefone würden dank Akku noch so lange funktionieren, wie die Notstromversorgung der Sendemasten reicht, also noch ein paar Stunden. Doch vermutlich bräche vorher das Mobilfunknetz aufgrund von Überlastung zusammen, so Maik Poetzsch.

Die TAB-Studie stammt zwar aus dem Jahr 2011, die allermeisten Ergebnisse haben jedoch nach wie vor Gültigkeit. „In manchen Bereichen hat sich die Situation sogar eher verschlechtert“, sagt Poetzsch. „Das alte analoge Funknetz, mit dem Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienste im Katastrophenfall kommunizieren, hatte eine Batteriepufferung von acht Stunden, das neue Digitalsystem nur noch von zwei Stunden.“ Das Problem wurde inzwischen erkannt, und Bund, Länder und die zuständige Bundesanstalt haben eine sogenannte Netzhärtung beschlossen, die eine Funkversorgung der Einsatzkräfte von mindestens 72 Stunden gewährleisten soll.

„Das Internet selbst würde aufgrund seiner dezentralen Struktur weiterhin funktionieren“, sagt Poetzsch, „aber da die Router und Modems der Benutzer Strom benötigen und Smartphones die Mobilfunkmasten brauchen, würde es als Kommunikationsmittel ausfallen.“ Manche Zeitungsverlage und -druckereien verfügen über meist dieselbetriebene Notstromaggregate und könnten so in der Lage sein, eingeschränkte Notausgaben zu drucken. Der wichtigste Informationskanal für die Bevölkerung dürfte jedoch der öffentlich-rechtliche Hörfunk werden, der in Notstudios produzieren und über batteriebetriebene Geräte empfangen werden kann.

Höchst problematisch wäre hingegen die Versorgung mit Lebensmitteln: „Die meisten Haushalte haben je nach Einkaufsverhalten Vorräte für zwei bis fünf Tage“, sagt Maik Poetzsch. „Die Waren in den Supermärkten reichen unseren Berechnungen nach für zwei bis fünf zusätzliche Tage – auch weil von Hamsterkäufen auszugehen ist.“ Nach rund einer Woche wäre also mit Lebensmittelmangel zu rechnen.

Die „Bundesreserve Getreide“ und die „zivile Notfallreserve“, die in Form von Tausenden Tonnen Weizen, Reis und Erbsen in geheim gehaltenen Hallen lagern, sind allenfalls dafür gedacht, einen kurzfristigen Versorgungsengpass zu überbrücken, nicht für eine längere Versorgung der gesamten Bevölkerung. Auf Nachschub im Handel wäre kaum zu hoffen: Ohne Kühlung und Durchlüftung verderben Waren in den Zentrallagern binnen Tagen. In der Fleisch-, Milch- und Eierproduktion sterben Millionen von Tieren, wenn die Stalltechnik ausfällt, da sie von Hand längst nicht mehr versorgt werden können. Vorgeschrieben sind Notstromaggregate nur für lebenswichtige Dinge wie Futter und Wasser und auch dort nur für 24 Stunden.

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Foto:
Matthew Henry / Unsplash

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About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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  1. Guennersen sagt:

    Das Buch „Blackout“, von Marc Elsberg hat mich für das Thema sensibilisiert. Empfehlenswert!

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