Freie Software galt lange als Projekt einiger Idealisten. Heute setzen auch Konzerne wie Microsoft darauf. Wieso das nichts mit Nächstenliebe zu tun hat, erklärt Rafael Laguna, Mitgründer der Open Xchange AG.
Vor fast 15 Jahren sagte der Microsoft-Gründer Bill Gates: „Open-Source-Entwickler sind Kommunisten“, er war ein vehementer Gegner dieser offenen und freien Software. Vor Kurzem hat Microsoft die Plattform GitHub gekauft, auf der sich die meisten Open-Source-Programmierer austauschen und zusammenarbeiten. Wie kam es zu dem Sinneswandel?
Rafael Laguna: Als Bill Gates das mit dem Kommunismus sagte, war Microsoft Windows noch die zentrale Plattform. Linux, die Open-Source-Alternative, wurde mit harten Bandagen bekämpft, es gab jede Menge Klagen. Inzwischen hat Microsoft erkannt, dass das Betriebssystem der digitalen Welt von heute nicht mehr Windows ist, sondern das Internet. Und das basiert zu weiten Teilen auf Open-Source-Software. Von HTML über Webserver-Software und E-Mail bis zu den ersten Browsern – das waren Programme und Protokolle, deren Quellcode offengelegt wurde und von allen benutzt und weiterentwickelt werden durfte. Die gehören niemandem, bis heute. Und nur durch diese freie Verfügbarkeit und Offenheit hat sich das Internet so rasant entwickeln können.
Ein Konzern hat sich verändert, die Welt der Betriebssysteme ebenso. Was hat sich in der Open-Source-Community getan?
Früher hieß es oft: „Ach, die Open-Source-Entwickler, die verhungern alle und machen das zum Wohle der Welt.“ Beides stimmte nicht. Erstens ging es meist nicht um das Wohl der Welt, sondern um die Lösung eigener Probleme. Linus Torvalds entwickelte Linux, weil er ein anpassungsfähiges Betriebssystem für mehrere Nutzer brauchte und nichts Passendes fand. Außerdem war auch immer schnell Geld im Spiel.
Viele Entwickler arbeiteten bei Firmen, die erlaubten, den Quellcode freizugeben, weil das nicht zum Kerngeschäft der Firma gehört. Die Ansage war: „Wir brauchen das und das, bitte programmiere uns das, hinterher kannst du damit machen, was du willst.“ Der große Unterschied zu früher ist, dass Open Source mittlerweile industriedominierend ist – der Grundgedanke aber an vielen Stellen verwässert. Open Source wird dominanter, aber auch schwächer.
Könnten Sie das genauer erklären?
Open Source heißt, dass der Quellcode einer Software freigegeben wird – unter einer Lizenz, die es jedem ermöglicht, ihn weiterzuentwickeln. Dabei gibt es zwei verschiedene Varianten. Die strengere besagt, dass man das, was man selbst ergänzt hat, wieder unter derselben Lizenz freigeben muss. Bei der anderen Variante ist das nicht zwingend vorgeschrieben. Die Idee von Open Source geht aber noch weiter. Sie besagt, dass man ohne Genehmigung Teil eines Netzwerks werden kann, und das mithilfe von föderierten Systemen. Das bedeutet: Jeder verwaltet seine eigenen Daten, aber es gibt gewisse Standards, die die Zusammenarbeit ermöglichen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Das beste Beispiel ist E-Mail: Sie müssen nicht wissen, welchen E-Mail-Server oder welches Programm ich benutze – das Einzige, was Sie kennen müssen, ist meine Mail-Adresse. Das liegt daran, dass E-Mail auf Protokolle aufbaut, die genehmigungslos und föderiert sind. Dieser Geist macht Open Source aus. Derzeit wird er allerdings nach und nach ganz subtil verändert.
Wie geschieht das?
Die Open-Source-Initiativen von Google oder Microsoft verzichten oft auf eines der Grundprinzipien. Zum Beispiel kann man auf zahlreichen Websites, bei denen man ein Konto anlegen muss, auch sein Google-Login nutzen. Das ist dank Open Authorization, kurz OAuth, möglich, einem offenen Login-Standard. Nur hat Google auf das föderierte System verzichtet, es funktioniert also nur mit einem Konto des Konzerns.
Also ist Open Source nicht immer wirklich offen und vor allem nicht immer so gemeinnützig, wie man denken könnte?
Absolut. Open Source wird immer häufiger strategisch eingesetzt, etwa um eigene Schwächen auszugleichen. Unternehmen öffnen sich auf einem Gebiet, auf dem sie nicht so gut sind, und nutzen die Weisheit der Masse. Die andere Strategie ist, den Konkurrenten zu schädigen: Wenn der mit einem bestimmten Service oder einer Software erfolgreich ist, dann investieren Sie in etwas Ähnliches, veröffentlichen es als Open Source – und machen es Ihrem Gegner schwerer, Geld zu verdienen.
IBM hat das beispielsweise mit Eclipse so gemacht: Der Konkurrent Sun Microsystems lebte davon, die beste Plattform für Java-Programmierer bereitzustellen, die es damals gab. IBM hatte ein ähnliches Produkt namens Visual Age, das weit weniger erfolgreich war. Also hat IBM seine Entwicklerplattform als Open Source frei zugänglich gemacht und im Rahmen einer Stiftung veröffentlicht, deren Namen Eclipse ist.
Eclipse bedeutet Sonnenfinsternis.
Das war ein Angriff auf Sun. Der auch funktionierte, denn daraus ist die beste Java-Umgebung entstanden. Es war also in gewissem Sinn zum Wohl der Allgemeinheit, aber nicht zum Wohl von Sun. Google machte später etwas Ähnliches. Da man nicht von Sun abhängig sein wollte, entwickelte die Firma gewissermaßen ihr eigenes Java, gab es als Open Source frei und setzte ihr Betriebssystem Android drauf. Da Google Android kostenlos an Telefonhersteller wie Samsung abgab, war Sun mit seinem Produkt Java aus dem Geschäft mit mobilen Geräten raus.
Sprechen wir über Ihre Projekte. Eines davon, ID4me, ist eine Alternative zu den Buttons „mit Facebook anmelden“ oder „mit Google einloggen“, die man heute überall sieht.
Genau, aber eben föderiert und genehmigungsfrei. Dafür nehmen wir die Domain Ihrer Mail-Adresse wie Web.de oder Ihre Firmenadresse oder Ihre eigene Website, ganz egal. Und wir verheiraten das mit dem erwähnten OAuth-Protokoll, das unter anderem Facebook und Google auch verwenden.
Die Deutsche Bank und die Telekom haben kürzlich einen solchen Authentifizierungsdienst namens Verimi vorgestellt. RTL und einige Partner haben so etwas unter dem Namen Net ID versucht. Meist hört man nach einem Jahr nichts mehr von solchen Projekten. Was lässt Sie glauben, dass es bei Ihnen besser läuft?
Die von Ihnen genannten Projekte laufen nicht, weil die Unternehmen auf Silos setzen, die sie dann vollständig kontrollieren. Nun mögen Deutsche Bank, RTL oder GMX hier große Namen sein, aber in vielen anderen Ländern nicht. Und wenn man etwas im Internet macht, ist es immer global. Man kann nicht sagen, ich entwickle etwas nur für das deutsche Internet.
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Interview: Christoph Koch
Foto: Tim Mossholder / Unsplash