Trinkgeld zu geben ist aus ökonomischer Sicht irrational. Und gerade deshalb so spannend für Wirtschafts- und Verhaltensforscher.
Die Motive
Für Menschen, die danach streben, ihren persönlichen Nutzen zu maximieren, ergibt es keinen Sinn, Trinkgeld zu geben. Da es meist nach der erbrachten Leistung gewährt wird, kann es diese nicht mehr beeinflussen. Und in der Regel bringt es ihnen auch zukünftig nichts, wenn sie Mitarbeiter im Hotel oder Restaurant mit ein paar Euro mehr belohnen. Wieso ist Trinkgeld dann trotzdem so weit verbreitet?
Michael Lynn, ein auf Hotellerie und Gastgewerbe spezialisierter Wirtschaftsprofessor an der Cornell University, geht von fünf Motiven aus: Manche Menschen geben demnach Trinkgeld aus Pflichtgefühl, andere, weil sie nicht für knausrig gehalten werden wollen. Einige erhoffen sich künftig einen besseren Service, andere möchten dem Trinkgeldempfänger gern etwas Gutes tun.
Und es gibt noch diejenigen, die sich mit einer großzügigen Gabe profilieren wollen. Wer auf Statusgewinn aus ist, gibt tendenziell denen Trinkgeld, die in ihren Berufen selten welches bekommen – wie Automechanikern oder Tierärzten. Wer das nur aus Pflichtgefühl tut, dessen Euros landen vor allem bei klassischen Empfängern wie Kellnern.
Wann viel gegeben wird
Die Qualität der Dienstleistung spielt bei der Höhe des Trinkgeldes kurioserweise so gut wie keine Rolle. „Wenn man die Menschen fragt, warum sie Trinkgeld geben, sagen die meisten zwar, dass sie guten Service belohnen wollen“, sagte Miachael Lynn in einem Interview mit dem US-Sender PBS. „Aber wenn man ihr Trinkgeld damit vergleicht, wie sie die Servicequalität bewerten, gibt es kaum einen Zusammenhang.“ Die Unterschiede zwischen den Beträgen ließen sich nur zu maximal fünf Prozent mit der Servicequalität erklären, hat Lynn in einer Studie herausgefunden. Zu wenig, um statistisch aussagekräftig zu sein. Was das Trinkgeld aber mit großer Zuverlässigkeit steigen lässt: mehr Getränke verkaufen und somit den Rechnungsbetrag erhöhen.
Das Zwischenmenschliche
Ein weiterer Einflussfaktor ist die soziale Verbindung zu den Gästen. Sich namentlich vorzustellen oder den Gast mit Namen anzusprechen (dieser lässt sich über die Reservierung oder Kreditkarte herausfinden) zahlt sich laut den Forschern der Cornell University fast immer aus. Experimente haben außerdem gezeigt, dass Kellner, die neben dem Tisch in die Hocke gehen, um die Bestellungen auf Augenhöhe aufzunehmen, zwischen 75 Cent und einem Dollar mehr Trinkgeld pro Tisch kassierten.
Vorsicht mit Vorschlägen
Manche Restaurantquittungen oder Dienstleistungs-Apps schlagen einen bestimmten Trinkgeldbetrag vor. Studien – unter anderem mit einer Wäschedienst-App – zeigten, dass hohe vorgeschlagene Prozentsätze dazu führen, dass insgesamt weniger Leute Trinkgeld geben. Diejenigen, die es tun, geben jedoch so viel mehr, dass es sich am Ende rechnen kann.
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Foto: Sam Dan Truong / Unsplash