Was wäre, wenn … es die deutsche Wiedervereinigung nie gegeben hätte?

Written by on 06/01/2020 in brand eins with 0 Comments

Ein Szenario.

30 Jahre ist es her, dass die Berliner Mauer fiel und die deutsch-deutsche Grenze sich öffnete. Kein Jahr später, am 3. Oktober 1990, trat die Deutsche Demo- kratische Republik (DDR) offiziell der Bundesrepublik Deutschland bei. Doch was wäre, wenn sich dies nie ereignet hätte? Wie sähe Deutschland ohne die Wiedervereinigung aus?


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Eine Abzweigung, die die Geschichte hätte einschlagen können, zeichnete sich bereits vor der Maueröffnung ab. Die DDR-Führung hätte gegen die immer größer werdenden Demonstrationen für freie Wahlen sowie Reise- und Redefreiheit ähnlich wie die chinesische Führung vorgehen können – diese ließ im Juni 1989 die Proteste auf dem Tiananmen-Platz gewaltsam niederschlagen. „Von allen alternativen Szenarien ist das mit Abstand das wahrscheinlichste“, sagt Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker und Autor zahlreicher Bücher (das aktuelle heißt „Die Übernahme: Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“) über die DDR und die Wiedervereinigung.

Danach hätte vermutlich das Militär die Macht an sich gerissen, wie auch bei der zweitwahrscheinlichsten Variante: „Die Mauer wäre zwar geöffnet worden, doch kurze Zeit später wäre die Nationale Volksarmee (NVA) ausgerückt und hätte mit militärischer Gewalt die Grenze wieder geschlossen“, sagt Kowalczuk. Das sei ein realer Plan der SED gewesen, der jedoch daran scheiterte, dass NVA-Generäle nicht mitzogen.

Was aber wäre passiert, wenn die DDR nach dem Mauerfall ihre staatliche Eigenständigkeit behalten hätte? Selbst der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl sprach in seinem Zehn-Punkte-Programm, das er Ende November 1989, gut zwei Wochen nach dem Mauerfall, im Bundestag präsentierte, noch vorsichtig von „konföderativen Strukturen zwischen beiden Staaten“. Auch drei der vier Alliierten waren zunächst gegen einen Zusammenschluss, nur die USA plädierte dafür.

Die DDR als Billiglohnland

Wie hätte eine eigenständige, reformierte DDR ausgesehen? Dafür hätte die ostdeutsche Bevölkerung bei den ersten freien Volkskammer-Wahlen am 18. März 1990 anders abstimmen müssen: statt für einen schnellen Beitritt der DDR zur BRD laut Artikel 23 des Grundgesetzes für eine eigene Verfassung. Doch die wirtschaftliche Lage des Landes war desolat. Zudem schwand nach und nach die Möglichkeit, billiges russisches Erdöl aus der Pipeline „Freundschaft“ in Raffinerien zu veredeln und gegen Devisen weiterzuverkaufen, da Russland immer weniger Öl gegen Kredit zur Verfügung stellen wollte. In den Monaten zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung verließen jeden Tag Tausende Menschen den Osten. Dieser Trend hätte sich laut dem Politikwissenschaftler Jochen Staadt von der Freien Universität Berlin fortgesetzt: „Ostdeutschland als separates Land wäre entvölkert worden“, sagt er im Interview mit dem schwedischen Magazin »The Local«. „Statt der drei Millionen, die gegangen sind, wären es in einem reformierten sozialistischen Staat dreimal so viele gewesen.“

Andere Forscher zeichnen das Bild eines eigenständigen Ostdeutschlands als eine Art Billiglohnland vor der Haustür des westdeutschen Bruders. Dort investieren Firmen aus aller Welt aufgrund der Fachkräfte gern und lassen so nach und nach wieder eine prosperierende Wirtschaft entstehen, die sogar emigrierte Ostbürger nach einer Weile zurücklockt. Doch wie Staadt glaubt auch Kowalczuk nicht an diese Version: „Viele der besten Leute und vor allem der größte Teil der Jugend wären sofort abgehauen, das Land wäre leer gewesen“, sagt er. Wie in Russland oder Ungarn hätten Oligarchen die Wirtschaft kontrolliert – „einfach weil Staat und Gesellschaft keine Mittel gehabt hätten, sich dagegen zu wehren“.

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Text: Christoph Koch
Foto: Nick Fewings / Unsplash

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About the Author

About the Author: Christoph Koch ist Journalist (brand eins, GEO, NEON, Wired, GQ, SZ- und ZEIT-Magazin, Süddeutsche, etc.), Autor ("Ich bin dann mal offline" & "Digitale Balance" & "Was, wäre wenn ...?") sowie Moderator und Vortragsredner. Auf Twitter als @christophkoch unterwegs, bei Mastodon @christophkoch@masto.ai .

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